Das Ensemble Wooden Elephant machte in einem Kulturrucksack-Konzert im vergangenen Mai klassische Musik für Fünft- und Sechstklässler zum Erlebnis. Foto: Gaby Weiß - Gaby Weiß

Esslingen bläst zur kulturellen Teilhabe-Offensive: Durch gezielte Maßnahmen will die Stadt dazu beitragen, dass mehr Menschen als bisher die vielfältigen kulturellen Angebote nutzen.

EsslingenEsslingen ist reich an kulturellen Angeboten – wer sie nutzen möchte, hat häufig die Qual der Wahl. Doch längst nicht jeder nimmt am kulturellen Leben teil. Manche haben nie einen Zugang gefunden, bei anderen stehen soziale oder sprachliche Hemmnisse im Weg, Kinder und Jugendliche müssen oft erst für sich entdecken, was ihnen Literatur, Theater, bildende Kunst oder Musik bieten. Deshalb bläst die Stadt nun zu einer „kulturellen Teilhabe-Offensive“. Dahinter steht der Gedanke, neue Wege in die Kultur zu eröffnen.

Dass es in Esslingen Handlungsbedarf gibt, hat der damalige Kulturamtsleiter Benedikt Stegmayer bereits 2017 in seiner Kulturkonzeption deutlich gemacht: „Die kulturelle Bildung ist bisher zu stark vernachlässigt worden. Im Bereich der kulturellen Teilhabe gibt es nur wenige Projekte wie beispielsweise Stage Divers(e), Fugato oder Kultur am Rande sowie sporadische Einzelprojekte wie zuletzt ‚Tanz mit der Schönheit’ im Kulturzentrum Dieselstraße. Auch wenn diese von den Akteurinnen und Akteuren engagiert verfolgt werden, ist der städtische Einsatz in diesem Bereich als deutlich zu gering zu bewerten. Nachhaltige und weitreichende Strukturen können so kaum geschaffen werden.“ Seither hat der Gemeinderat die Bedeutung einer intensiveren Kulturvermittlung immer wieder betont. Als erste Konsequenz haben die Ratsmitglieder eine zusätzliche Personalstelle für Kulturpädagogik geschaffen. Mit Jonas Pirzer hat das Kulturamt einen Mitarbeiter gefunden, der dieses Thema vorantreibt.

Für Jutta Bogdahn-Klotz, die kommissarische Leiterin des Kulturamts, ist Kulturvermittlung ein wesentlicher Baustein der Kulturpolitik: „Esslingen hat so viel zu bieten. Wir wollen dafür sorgen, dass die vielfältigen Angebote möglichst vielen bekannt sind und ausgiebig genutzt werden.“ Mit dem Kulturpass, der Esslingern mit sehr geringem Budget einen kostenlosen oder zumindest deutlich günstigeren Zugang zu Kultureinrichtungen und -angeboten eröffnet, und mit dem Kulturrucksack, der Fünft- und Sechstklässler an klassische Musik, Theater, Kino und bildende Kunst heranführen soll, gibt es bereits zwei wichtige Angebote, die helfen sollen, noch mehr Menschen für Kultur zu begeistern. Der Kulturrucksack wird in jedem Schuljahr von rund 1400 Schülerinnen und Schülern genutzt. Und den Kulturpass haben aktuell rund 2000 Esslingerinnen und Esslinger in der Tasche. „Da sehen wir noch einiges Entwicklungspotenzial“, erklärt Jutta Bogdahn-Klotz. Deshalb planen Kultur- und Sozialamt in den kommenden Wochen eine Infokampagne, um dieses Angebot, das durch die Unterstützung von mehr als 40 Kultureinrichtungen erst möglich wird, noch besser publik zu machen.

Doch im Rathaus denkt man noch weiter und möchte die kommunalen Initiativen zur Kulturvermittlung weiter intensivieren und besser systematisieren. Hinter den Kulissen arbeitet das Kulturamt derzeit an einer kulturellen Teilhabestrategie. Dabei lassen sich die Esslinger von der Stuttgarter Agentur Kulturgold unterstützen, die auch andere Kommunen bei der kulturellen Nutzungsforschung und Entwicklungsplanung bereits unterstützt hat. „Wir wollen diesen Prozess sehr stark dialogorientiert anlegen“, erklärt Jonas Pirzer. Zunächst werden im Oktober 15 Expertinnen und Experten zum Thema kulturelle Bildung und Teilhabe in Einzelinterviews ihre Erfahrungen, Wünsche und Ideen beisteuern. Anschließend werden Esslinger Kultur-, Bildungs- und Sozialeinrichtungen mit Hilfe von Online-Fragebögen einbezogen werden. Nach einer ersten Zwischenbilanz im Frühjahr 2020 sind dann vier bis sechs so genannte Fokusgruppen-Gespräche geplant – dort sollen Menschen zu Wort kommen, „die üblicherweise wenig an der Kultur teilhaben“. Und alles zusammen wird dann in einem Abschlussworkshop im Frühsommer 2020 zu einem Papier mit Handlungsempfehlungen verdichtet. „Das soll kein Papier für die Schublade werden“, versichert Jutta Bogdahn-Klotz. „Am liebsten wäre es uns, wenn wir schon in den Interviews und Gesprächsrunden mit Fachleuten und Multiplikatoren gemeinsam neue Projekte entwickeln und anstoßen könnten, die dann zeitnah umgesetzt werden.“

Bausteine des Konzepts zur Kulturvermittlung

Kulturpass: Wer nur ein geringes Einkommen von bis zu 1050 Euro hat oder Sozialleistungen bezieht, kann in Esslingen kostenlos oder zumindest vergünstigt Konzerte, Kino und Theater erleben sowie Stadtbücherei, Museen, Musikschule, Volkshochschule und vieles mehr umsonst oder immer deutlich günstiger nutzen. Mehr als 40 örtliche Kultureinrichtungen und -vereine bieten Kulturpass-Inhabern freien Eintritt oder halten ein bestimmtes Kontingent an Freikarten für ihre Veranstaltungen vor. Wer sich den Kulturpass beim Bürgerservice des städtischen Sozialamts besorgt hat, kann sich seine Eintrittskarten telefonisch bei den beteiligten Veranstaltern bestellen und später an der Abendkasse abholen. Im Online-Veranstaltungskalender der Stadt ist bei jeder Veranstaltung verzeichnet, ob Karten für Kulturpass-Inhaber zur Verfügung stehen. Im Programm der Volkshochschule sind freie Veranstaltungen mit dem Kulturpass-Logo gekennzeichnet. Nähere Informationen zu den beteiligten Einrichtungen gibt es unter www.esslingen.de im Internet.

Kulturrucksack: Der Esslinger Kulturrucksack ist ein Angebot für alle Esslinger Schülerinnen und Schüler der fünften und sechsten Klassen. Die beteiligten Klassen erleben spannende Veranstaltungen und eine aktive Vor- und Nachbereitung. Und sie erhalten die Möglichkeit, ihre Fantasie und Kreativität zu entdecken und zu pflegen und zu erleben, wie Kunst die Welt sichtbar macht. Der Kulturrucksack war vor fünf Jahren als gemeinsames Projekt der Jungen WLB, des Podium Festivals und der Villa Merkel in Zusammenarbeit mit dem städtischen Kulturamt gestartet. Seit 2019 macht das Kommunale Kino zusätzlich ein Angebot für fünfte und sechste Klassen.