Bewaffnete Palästinenser in Nablus transportieren den Leichnam eines 35-jährigen Palästinensers während seiner Beerdigung. Foto: Ayman Nobani/dpa/Ayman Nobani

Radikale Siedler belästigen und attackieren Palästinenser. Die Hamas versucht, ihre dortigen Anhänger zu Attentaten anzustacheln, um israelische Kräfte zu binden.

Im Schatten der Kämpfe zwischen Israels Armee, der IDF, und der Hamas im Gazastreifen heizt sich auch die Lage im Westjordanland bedrohlich auf. Eine Eskalation dort würde den Terroristen in die Hände spielen – und israelische Truppen binden.

Die Verschärfung der Lage hat mehrere Ursachen. Schon seit Monaten beklagen palästinensische und israelische Menschenrechtsorganisationen vermehrte Übergriffe israelischer Siedler gegen Palästinenser. Seit dem 7. Oktober melden Beobachter eine weitere Eskalation der Gewalt. Die UN-Behörde zur Koordinierung humanitärer Angelegenheiten meldet, über 820 Palästinenser hätten seit dem 7. Oktober ihre Häuser im Westjordanland verlassen müssen. Als Gründe nennt die Behörde sowohl Siedlergewalt als auch vermehrte Einschränkungen der Bewegungsfreiheit durch die israelische Armee. Augenzeugenberichten zufolge sollen Siedler in manchen Fällen gar Pistolen auf Palästinenser gerichtet haben, um sie aus ihren Dörfern zu vertreiben.

Bei der Olivenernte erschossen

Vergangenen Sonntag wurde ein 40-jähriger Palästinenser nahe der Stadt Nablus bei der Olivenernte erschossen. Als Verdächtigen nahm Israels Militärpolizei einen Soldaten fest, der zum betreffenden Zeitpunkt nicht im Dienst gewesen war. Ende Oktober sollen radikale Siedler gemeinsam mit einigen Soldaten einem Bericht der israelischen Zeitung Haaretz zufolge mehrere Palästinenser sowie linke israelische Aktivisten über Stunden nahe Ramallah festgehalten und malträtiert haben. Die Armee entließ daraufhin den zuständigen Kommandeur und leitete eine Untersuchung ein. Dennoch gibt es beinahe täglich neue Berichte von Siedlergewalt.

Darüber hinaus geht die IDF derzeit verstärkt gegen die Hamas im Westjordanland vor, die auch dort über organisatorische Strukturen, Waffen und zahlreiche Anhänger verfügt. Über 1200 gesuchte Palästinenser im Westjordanland hat die IDF eigenen Angaben zufolge seit dem 7. Oktober verhaftet, darunter über 740 Hamas-Mitglieder. Über hundert Palästinenser sind seit palästinensischen Angaben bei solchen Einsätzen ums Leben gekommen. Bei vielen von handelt es sich um Mitglieder von Terrororganisationen wie der Hamas und dem Islamischen Dschihad, die in Gefechten mit Soldaten sterben; immer wieder kommen jedoch auch Unbeteiligte ums Leben.

Zugleich versucht die Hamas offenbar, ihre Anhänger im Westjordanland zu Anschlägen gegen israelische Soldaten und Zivilisten aufzuwiegeln, um israelische Kräfte dort zu binden. „Säht Terror und Albträume in allen Rängen der Besatzung“, hatte Abu Obeida, ein Sprecher der Organisation, kurz nach dem 7. Oktober verlauten lassen. Manche Sicherheitsexperten glauben, dass hinter dem Großangriff ein weitreichenderer Plan steht – womöglich geschmiedet in Teheran: Israel soll an mehreren Fronten in Kämpfe verwickelt werden, darunter in Gaza, im Libanon mit der pro-iranischen Hisbollah und eben im Westjordanland. So weit ist es bislang nicht gekommen. Trotz täglicher Gefechte mit der IDF hat die Hisbollah auf größere Kampfhandlungen bislang verzichtet, und auch im Westjordanland ist die Lage zwar gefährlich, aber nicht außer Kontrolle.

Noch mehr Gewalt ist zu befürchten

Das Potenzial für eine weitere Eskalation besteht jedoch. Am Donnerstag kam im Westjordanland ein 35-jähriger Israelis ums Leben: Unbekannte hatten auf sein Auto geschossen, das sich anschließend überschlug. Yossi Dagan, der Vorsitzende des Regionalrats von Samaria, des nördlichen Gebiets des Westjordanlands, fordert ein härteres Vorgehen der Sicherheitskräfte. „Wir müssen Terroristen hier so behandeln, wie wir es in Gaza tun“, sagte Dagan.

Beobachter befürchten nun, dass Racheakte radikaler Siedler gegen unbeteiligte Palästinenser die Lage noch weiter aufheizen könnten. Bereits im Februar waren nach einem Terroranschlag Hunderte Siedler in das palästinensische Dorf Huwara eingedrungen, hatten Häuser und Autos in Brand gesteckt und einen Mann erschossen. Die IDF verurteilte den Überfall als „Pogrom“. In den Griff bekommen hat sie die Siedlergewalt seither jedoch offenbar nicht. Und inzwischen dürfte die Hamas jeglichen Anlass zur Aufhetzung ihrer Anhänger dankbar ausnutzen.