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Jedes sechste Kind in Baden-Württemberg lebt mit süchtigen Eltern zusammen. Das Land will diesen Kindern effektiver helfen. Denn sie sind besonders gefährdet, selbst süchtig zu werden.

Stuttgart (dpa/lsw) - "Vom Regen in die Traufe." So beschreibt Thorsten Geisbüsch seine Kindheit. Mit sechs Jahren wird der 48-Jährige adoptiert - nachdem ihn das Jugendamt wegen Verwahrlosung und Unterernährung von seinen leiblichen Eltern geholt hat. Doch damit hören die Probleme nicht auf: Sein Adoptivvater hat ein Alkoholproblem. "Es war eine sehr harte Kindheit. Ich wurde körperlich wie seelisch stark angegangen", erzählt Geisbüsch. Mit 13 Jahren habe er selbst mit dem Trinken angefangen, später seien Drogen dazugekommen. Das Land Baden-Württemberg will Kindern, deren Eltern Suchtprobleme haben, künftig noch besser helfen. Ein entsprechendes Projekt stellte das Sozialministerium am Mittwoch in Stuttgart vor.

Denn so wie Geisbüsch geht es in Deutschland etwa drei Millionen Kindern. Wie der Vorsitzende der Landesstelle für Suchtfragen, Oliver Kaiser, am Mittwoch sagt, wird die Zahl von Kindern in Suchtfamilien in Baden-Württemberg auf rund 274 000 geschätzt - das ist jedes sechste. 150 000 davon sind jünger als 15 Jahre. «Für Kinder ist der Alltag in einer Suchtfamilie wie eine seelische Bestrafung», sagt Kaiser. Neben der extremen Belastung sind Betroffene zudem einer hohen Gefährdung ausgesetzt. Nach Angaben der Landessuchtstelle entwickelt ein Drittel im Laufe seines Lebens selbst eine Sucht, ein weiteres Drittel hat mit psychischen Erkrankungen zu kämpfen.

Bei Geisbüsch kam im Jahr 2009 der Wendepunkt: "Meine Freundin hatte ein kleines Kind. Ich wusste, das geht nicht", sagt der 48-Jährige. Ohne Arzt ging er in den kalten Entzug - und ist seitdem clean. "Ich hatte wirklich Glück, dass nie etwas passiert ist."

Das Projekt "Schulterschluss II" will Kindern mit suchtkranken Eltern helfen und wird dafür vom Land in diesem Jahr mit 48 000 Euro unterstützt. Bereits 2013 hatte sich das Sozialministerium für die bessere Zusammenarbeit von Sucht- und Jugendhilfe eingesetzt. Ziel des Projektes ist es, Fachkräfte speziell zu schulen und Kooperationen zu entwickeln.

Oft seien fehlende Verknüpfungen zwischen den Einrichtungen der Grund für Untätigkeit, erklärt Christa Niemeier, Referentin für Suchtprävention. Ein weiteres Ziel sei es, die Sensibilisierung für den Hilfebedarf betroffener Kinder zu erhöhen.

Das Projekt "Schulterschluss II" beginnt an diesem Donnerstag im Rahmen der bundesweiten Aktionswoche für Kinder von Suchtfamilien. Dabei sollen sowohl neue Hilfsstandorte entwickelt werden als auch bestehende weiter ausgebaut.