Der Moskwa-Fluss in Russlands Hauptstadt ist zugefroren. Foto: dpa/Alexander Zemlianichenko

Wasserleitungen bersten, Heizungen bleiben kalt, der Strom fällt aus: Der außergewöhnlich kalte Winter legt die marode Infrastruktur Russlands offen.

Es ist kalt in Woskressensk, knapp 80 Kilometer südöstlich von Moskau. So kalt wie seit mehr als 40 Jahren nicht mehr. Russlandweit melden die Meteorologen eine außergewöhnliche Kälte für Januar, durchschnittlich bis zu 15 Grad kälter als üblich in dieser Jahreszeit. In Moskau und im dessen Umland herrschen derzeit Temperaturen von bis zu 30 Grad unter null. Das bringt die Infrastruktur an ihre Grenzen, in knapp zehn Regionen des Landes zeigt sich ihr Verfall: Wasserleitungen bersten, Heizungen bleiben kalt, der Strom fällt aus.

In manchen Wohnungen funktioniert auch das Gas nicht. Die Menschen ziehen dicke Jacken und Mützen im Haus an, machen Feuer vor der Haustür. Die Treppenhäuser sind vereist, Freiwillige verteilen Federbetten und warme Speisen. Manche, bei denen in der Wohnung geheizt wird, bieten Schlafplätze für Bedürftige an. Schulen schließen, Krankenhäuser werfen ihre Generatoren an.

Putin verspricht Besserung

In den sozialen Netzwerken häufen sich die Hilferufe, ähnlich dem aus Woskressensk bei Moskau: „6 Grad sind es in meinem Schlafzimmer“, sagt eine ältere Frau, die zunächst für ihr ganzes Haus spricht, 14 Stockwerke hoch. „Wir leben nicht, wir existieren. Wir erfrieren! Schauen Sie uns an! Tun Sie etwas! Wir haben Kinder, die krank werden! Wir werden krank! Unsere Katzen und Hunde zittern! Man sagt uns, alles sei unter Kontrolle. Getan wird aber nichts. Helfen Sie uns! Wladimir Wladimirowitsch, sehen Sie doch, es wird nur schlimmer!“

Und siehe da, der russische Präsident befasst sich – selbstverständlich öffentlichkeitswirksam – mit dem Problem der vereisten Wohnungen. Gouverneure der entsprechenden Regionen müssen ihre Berichte bei ihm abliefern, Wladimir Putin verspricht Besserung, am Tag darauf zeigt das Staatsfernsehen, wie Heizungen wieder anspringen, wie das Ermittlungskomitee die Vorgesetzten der Heizwerke und die Vizegouverneure der Regionen zu Befragungen mitnimmt. Putin kümmert sich für gewöhnlich ungern um niedere Angelegenheiten, überlässt Schwierigkeiten mit der Versorgung, der Infrastruktur, den hohen Preisen seiner Regierung. Doch im März will er mit großem Zuspruch der Bevölkerung zum sechsten Mal im Amt bestätigt werden. Da kommt es schlecht, wenn die Bevölkerung bibbert und unzufrieden die „Willkürherrschaft“ anprangert, zumal so nah an Moskau.

Es sind vor allem die Menschen in den Städten rund um die Hauptstadt, die in den Neujahrsferien – in Russland dauerten sie bis 9. Januar – froren. Eine Wärmeleitung bei Podolsk, südlich von Moskau, war Anfang Januar gerissen und konnte mehrere Tage lang nicht repariert werden. Aber auch bei Tscheljabinsk am Ural, in Rostow am Don an der russisch-ukrainischen Grenze, in Wolgograd blieben die Menschen ohne Heizung, ohne Warmwasser, manche ohne Strom.

„Wir wollen Wärme!“

Das Problem der maroden Infrastruktur rührt noch aus der Sowjetzeit. Die von Korrosion befallenen Eisenrohre werden zwar nach und nach durch robustere Plastikrohren ersetzt, aber zu langsam. „Auch in zwei Jahrzehnten alles zu erneuern ist unmöglich“, heißt es selbst aus dem Kreml. Zudem wächst die Hauptstadt rasant. Am Rande entstehen neue Wohnsiedlungen, Einkaufszentren, Stadien. Angeschlossen werden sie an alte Rohre und Stromnetze. Der Belastung bei tiefen Temperaturen halten diese nicht stand. Werden elektrische Geräte eingeschaltet, um Wärme in die Häuser zu bringen – zumal in den Ferien, wenn die meisten Menschen zu Hause bleiben –, bricht auch schnell das Stromnetz zusammen. „Wir wollen Wärme!“, schreien die Bewohner des Hauses in Woskressensk und reden am Ende ihres Hilferufs durcheinander. „Wir haben Angst um unser Leben! Es ist unerträglich!“