Das nachhaltige Lehm-Haus in Neuhausen stößt auf großes Interesse. Foto: Horst Rudel

Kleine Veranstalter kämpfen wegen Corona noch um Publikum. Große Events und überregional bedeutende Festivals im Kreis Esslingen zogen 2022 wieder Massen an.

Corona hat der Kultur das Leben schwer gemacht, auch wenn die Einschränkungen in diesem Jahr weniger drastisch ausfielen. Obwohl das Publikum manche Angebote noch nicht so zahlreich nutzte wie zuvor, überwog die Freude darüber, dass vieles, worauf man in den ersten beiden Coronajahren schmerzlich verzichten musste, wieder möglich war. Und viele, die gerne unbeschwert Kultur erleben, genossen jeden Schritt zurück in Richtung Normalität.

Während Veranstaltungen im kleineren Rahmen ihr Publikum erst wieder zurückerobern mussten, waren kulturelle Großereignisse mächtig gefragt – allen voran die sommerlichen Kulturangebote auf der Esslinger Burg. Eröffnet wurde das Programm im Juli von einer Band, die sich zweimal angesagt hatte, um beide Male von Corona ausgebremst zu werden: Im dritten Anlauf durfte die Mittelalter-Rock-Band In Extremo die Open-Air-Bühne stürmen. Am folgenden Tag gaben sich die Bands The Hooters und Saga die Ehre. Damit war das kulturelle Treiben auf der Burg aber noch lange nicht beendet, weil auch das Kommunale Kino mit seinem Freilicht-Film-Festival nach zweijähriger Pause wieder starten durfte: An elf Abenden wurden dort 20 000 Fans gezählt.

Musikalische Träume von der Zukunft

Kultur mit überregionaler Strahlkraft bietet auch das Podium-Festival, dessen junge Macherinnen und Macher ihr Motto „Wir wollen laut die Zukunft träumen“ jedes Jahr aufs Neue mit Leben erfüllen. Mit Joosten Ellée feierte ein neuer künstlerischer Leiter seine Premiere, der Bewährtes fortführen und Neues auf den Weg bringen möchte. Zu den Leuchtturmprojekten im Esslinger Kulturprogramm zählt auch Maximilian Merkles internationales Jazzfestival, das diesmal Größen wie Schlagzeug-Legende Billy Hart, die Pianisten Enrico Pieranunzi, Vijay Iyer und Gonzalo Rubalcaba oder den großen Abdullah Ibrahim nach Esslingen brachte. Ein weiteres Highlight setzten im November die Esslinger Literaturtage Lesart, die mit renommierten Autorinnen und Autoren wie Rüdiger Safranski, Volker Kutscher und Robert Menasse, aber auch mit interessanten Newcomern aufwarten konnten. Doch es sind nicht nur große Ereignisse, mit denen die Kultur punktet: Zahlreiche Künstlerinnen, Künstler und Ensembles prägen das Bild einer lebendigen Szene. Dass sie ein treues Publikum haben, zeigt die Kulturkneipe Vier Peh. Dessen Tage schienen gezählt – zahlreiche Unterstützer überzeugten Gemeinderat und Stadtverwaltung jedoch, der Kulturkneipe noch eine Chance zu geben.

Kunstvermittlung auf dem Stadtacker

Mit neuen Formaten erreichen die Kunstvermittlerinnen der Villa Merkel in Esslingen ein erweitertes Publikum. Der interkulturelle Stadtacker ermöglicht es Menschen aller Altersgruppen und Kulturen, beim Pflanzen von Karotten und Salat mitten im Merkelpark miteinander ins Gespräch zu kommen. „Kunst und Nachhaltigkeit zu verbinden, das ist für unsere Galerie eine wichtige Aufgabe der Zukunft“, sagt Johanna Knoop. Teilhabe möglich zu machen, liegt ihrer Mitinitiatorin Laura Becker am Herzen.

Brücken zur Kunst schlugen die beiden Frauen auch durch das Festival „Über:Morgen – Wie wollen wir in Zukunft leben?“ der Kulturregion Stuttgart. Das Festivalzentrum war diesmal in Esslingen. Mit einer riesigen Installation nachwachsender Kürbisse an Holzstangen setzte der italienische Künstler Felice Varini da besondere Akzente: „Die Welt ist ein Zuhause“ nannte er sein Werk, das den Sommer über die Blicke auf sich zog. 21 Kommunen haben das Festival mit künstlerischen Beiträgen bereichert. Aus dem Kreis Esslingen waren außerdem Filderstadt, Ostfildern, Nürtingen und Kirchheim dabei.

Ein Haus aus Lehm und Schafwolle

Ein Haus aus Lehm und Schafwolle nach dem Modell des Baukünstlers JJP Oud hat die Künstlerin und Architektin Folke Köbberling im Projektraum des Kunstvereins Neuhausen geschaffen. Mit Studierenden und mit wissenschaftlicher Begleitung hat sie das nachhaltige Projekt realisiert, das viel Aufmerksamkeit auf sich zog. Das klimaneutrale Gebäude integriert die künstlerische Leiterin Susanne Jakob in ihr innovatives Ausstellungskonzept. Die ehemalige Berliner Kultursenatorin Adrienne Göhler kam zur Vernissage, um über Kunst und bedingungsloses Grundeinkommen zu sprechen.

Vor 20 Jahren hat der Architekt Jürgen Mayer H. das Stadthaus im neuen Stadtteil Scharnhauser Park gebaut, der damals noch im Wachsen war. Das war sein erstes gebautes Großprojekt; heute ist der Künstler und Architekt weltweit gefragt. Die städtische Galerie Ostfildern hat Mayer eine Ausstellung gewidmet, die sein internationales Schaffen in den Blick rückt. Für Galerieleiterin Holle Nann „eine große Chance, neues Publikum ins Haus zu holen.“

Das Jahr der Kulturinitiativen

Rege Szene
 Einschränkungen wegen der Coronapandemie bekamen auch der Club Bastion in Kirchheim und der Nürtinger Club Kuckucksei zu spüren. Auch bei der Kulturinitiative Die Halle in Reichenbach lief nicht alles rund. Viele Absagen machten den Veranstaltern zu schaffen. Doch die rege Szene bot dennoch ein vielseitiges Programm und machte auch wieder Auftritte internationaler Bands möglich. Zugleich ging es darum, das Publikum auch in den kleinen Räumen wieder zurückzugewinnen. Die Organisation der Events ganz unterschiedlichen Zuschnitts stellten Haupt- und Ehrenamt jedoch vor erhebliche Herausforderungen.

ART Lichtenwald
 Mit einem ambitionierten Musik- und Kunstprogramm, das vorwiegend von Künstlerinnen und Künstlern aus Lichtenwald bestritten wird, lockten Walter und Gerti Grupp 2022 viele Kulturfreunde auf den Schurwald. Ihr Konzept, die lokale Szene zu vernetzen, kommt sehr gut an.