Bei einem Trauerzug für den getöteten 16-Jährigen tragen Leute ein Banner mit der Aufschrift „Thomas in unseren Herzen für immer, wir lieben dich“. Foto: AFP/Olivier Chassignole

Frankreich ist nach einem blutigen Überfall auf eine ländliche Party entsetzt. Rechte Kreise haben als Ursache einen „Rassismus gegen Weiße“ ausgemacht. Die Premierministerin warnt vor politischer Vereinnahmung.

Es war wie in einem schlechten Wildwestfilm. In dem Dorf Crépol nordöstlich der Stadt Valence waren am vergangenen Samstagabend an einem Dorffest 350 Jugendliche am Tanzen und Feiern, als eine Gruppe Unbekannter im Alter um die zwanzig angriff. Unklar ist bis heute, ob sie von außen kamen und vergeblich Einlass begehrt hatten, zumal der Discjockey zu dem Zeitpunkt seine Anlage bereits abbaute.

Ein Türsteher verlor durch einen Messerstich mehrere Finger, einzelne Gäste versuchten ihm zu helfen. Eine Panik brach aus, als auch andere der jungen Männer gut 25 Zentimeter lange Messer zückten. Es floss viel Blut, von dem noch später Boden und Wände verschmiert waren. Dann zogen die Aggressoren wieder ab.

Der Albtraum hatte wenige Minuten gedauert; sechzehn Verletzte blieben zurück, zwei davon lebensgefährlich getroffen. Thomas, ein 16-jähriger Rugbyspieler des Lokalclubs, starb kurz danach.

Ganz Frankreich ist schockiert

Ganz Frankreich ist schockiert, wie die nackte Gewalt über ein fröhliches Landfest hereinbrechen konnte. Über die sozialen Meldungen zirkulierten rasch Meldungen, bei den geflüchteten Tätern handle es sich um Jungen aus dem Einwandererviertel La Monnaie im benachbarten Ort Romans-sur-Isère. Einer habe gerufen, man wolle sich „Weiße vorknöpfen“, so ein Gerücht.

Entsprechend fallen die politischen Reaktionen aus. Die Rechtspopulistin Marine Le Pen erklärte, immer mehr Landfeste und Hochzeiten würden von „regelrechten Razzien“ heimgesucht. Die Ultrakonservative Marion Maréchal ging am Mittwoch noch einen Schritt weiter und sprach von „Rassismus gegen Weiße“, ausgeübt von „Halsabschneidern“, die einen „ethnischen Krieg“ lancieren wollten, der sich auf die Dauer in einen „Bürgerkrieg“ verwandeln müsse.

Von Journalisten gefragt, woher sie diese Gewissheit nehmen, antwortete Maréchal: „Wenn sie ‚Weiße‘ töten wollen, werden sie ausländischer Herkunft sein, auch wenn sie einen französischen Pass haben sollten.“

Verdächtige auf der Flucht Richtung Spanien gefasst

Die Polizei hat bisher neun Täter festgenommen, darunter offenbar auch den jungen Mann, der die tödlichen Stiche verübt haben soll. Ein Teil von ihnen wurde auf der Flucht Richtung Spanien gefasst.

Ihr Anwalt Guillaume Fort erklärte, die Angreifer seien gekommen, „um sich zu amüsieren“; dann sei alles aber in einen Streit ausgeartet. „Die Sache ist weniger schwarz oder weiß, als sie dargestellt wird“, erklärte der Advokat. Ein anderer Festbesucher bestätigte diese Darstellung halbwegs, indem er ausführte, die Angreifer hätten nicht mitgefeiert, sondern hätten unbeteiligt auf Stühlen auf etwas gewartet.

Der ermittelnde Staatsanwalt Laurent de Caigny warnt vor vorschnellen Schlüssen. Der Haupttäter der „feindlichen Gruppe“, sagte er, stamme nicht aus dem berüchtigten Monnaie-Viertel, wo Drogenhändler aktiv sind, und er habe eine französische Mutter.

Debatte in der Nationalversammlung

Während Präsident Emmanuel Macron zu dem Drama schweigt, rief die Premierministerin Élisabeth Borne in der Nationalversammlung wörtlich zu „Zurückhaltung und Anstand“ auf. Sie verwahrte sich gegen jede politische Vereinnahmung: „Dieses Drama zu benützen, um mit unseren Ängsten zu spielen, stellt einen Mangel an Würde und Respekt für die Opfer dar“, sagte sie. Ihr eigener Innenminister Gérald Darmanin fühlte sich indessen in seiner früheren Aussage über die „Verwilderung“ der französischen Gesellschaft bestätigt.

Am Mittwoch nahmen in Romans-sur-Isère 6000 Menschen an einem Schweigemarsch statt – eine unerhörte Zahl, die von der Bestürzung der ganzen Drôme zeugt, wenn man auf die Zahl von 530 Einwohnern des Dorfes Crépol abstellt. Mitgeführt wurden bewusst nur unpolitische Transparente wie etwa: „Thomas, wir lieben dich.“ Volkes Stimmung in Frankreich ist allerdings derzeit nicht von liebevollen Gefühlen gezeichnet.