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Das Kunstmuseum Stuttgart hat seine Vergangenheit aufgearbeitet. Die Nationalsozialisten wollten Stuttgart zur Kunststadt machen und kauften in großem Stil Werke an für ein „Museum schwäbischer Kunst“ – ohne zu wissen, was schwäbische Kunst ist oder sein soll.

StuttgartWenn heute Stuttgarter Galerien aufgeben müssen, heißt es oft, Stuttgart sei eben keine Kunststadt. Historisch betrachtet scheint das tatsächlich zu stimmen. Die Stadt kaufte lange Zeit so gut wie gar keine Kunstwerke an. In der Weimarer Republik leistete man sich bestenfalls günstigen „Ämterschmuck“, Bilder regionaler Künstler, die in Amtsstuben und auf Krankenhausfluren hingen.

Nur 430 Gemälde hat die Stadt Stuttgart im Jahr 1933 besessen. Das zumindest haben die Recherchen von Kai Artinger ergeben. Er ist Provenienzforscher am Kunstmuseum Stuttgart und hat nun drei Jahre kaum anderes getan, als Akten zu sichten, Bilder im Depot zu suchen und Ankaufslisten zu studieren. Dabei hat er eine Entdeckung gemacht, von der man bisher in den Geschichtsbüchern nichts lesen konnte: Die Nationalsozialisten hatten in Stuttgart Großes vor. Sie wollten Stuttgart zur Kunststadt machen – und kauften hierfür im großen Stil Kunst an. Das ließ man sich einiges kosten. Für „Der Ausritt“ von Fritz von Graevenitz aus dem Jahr 1941 legte man 10 000 Reichsmark hin – und das mitten im Krieg.

Die neue Ausstellung „Der Traum vom Museum ,schwäbischer‘ Kunst“ im Stuttgarter Kunstmuseum gibt interessante Einblicke, wie die Nazis in ihrem Sinne die Kunstaktivitäten der Stadt letztlich professionalisierten. Der Oberbürgermeister Karl Strölin richtete ein Kunst- und Kulturreferat ein – und wurde selbst „Führer“ des Stuttgarter Kunstvereins. Es wurde eine Kunstkommission eingesetzt, die für den Ankauf der Bilder zuständig war. „Es kann doch wohl nicht die Absicht sein, dem Kunsthandel überhaupt das Lebenslicht vollends auszublasen“, schimpfte das Kunsthaus Schaller 1933, nachdem die Stadtverwaltung die Anweisung herausgegeben hatte, dass man nur direkt bei Künstlern kaufen wolle. Während des Krieges sind die Händler dann wieder gefragt – seien es das Kunsthaus A. Hirrlinger oder die Galerie Valentien.

„Schwäbische Kunst“ – was ist das?

1,1 Millionen Reichsmark wurden zwischen 1933 und 1943 für Ankäufe ausgegeben. Ein Teil der Sammlung war bis 1942 in der Villa Berg ausgestellt, ein richtiges Museum aber gab es nicht. Kai Artinger hat auch keine Hinweise gefunden, dass ein Neubau geplant worden wäre. Ebenso gibt es keine Erklärungen, was man eigentlich mit einem „Museum schwäbischer Kunst“ meinte. Eine mit Bildern übersäte Wand zeigt, dass die Nationalsozialisten sich vor allem für Landschaftsmalerei interessierten, weil sie überzeugt waren, dass die schwäbischen Künstler einen besondere Sinn für „lyrische Landschaften“ hätten, wie es 1934 im NS Kurier hieß.

Aber schon ein Gemälde von Erna Raabe macht deutlich, dass nicht nur das Prädikat „schwäbisch“ obsolet ist, sondern auch die Vorstellung von einer dezidierten Nazi-Kunst. Erna Raabe hat 1933/34 einen Adler gemalt, ein großes, mächtiges Tier, das unmittelbar an die NS-Ästhetik erinnert. Es ist nicht bekannt, wie die Künstlerin, die 1938 in Greifswald starb, zum Nationalsozialismus stand. Sicher ist, dass sie eine Liebesbeziehung hatte zu der Stuttgarter Malerin Käthe Loewenthal, einer Jüdin, die sich taufen ließ – und doch 1942 deportiert und im Lager Izbica ermordet wurde. Eine glühende Nazikünstlerin wird Raabe gewiss nicht gewesen sein.

Der Holzschnitt „Der Revolutionär“ (1933-45) von Hektor Kirsch, der einen fahnenschwingenden Nazi zeigt, mag da schon eine weit klare Sprache sprechen, aber viele der im Kunstmuseum gezeigten Bilder wurden von den Nationalsozialisten vereinnahmt und als „schwäbische“ Kunst deklariert – etwa Werke von Hermann Pleuer oder Christian Landenberger, die lange vor dem Dritten Reich entstanden.

Die Ausstellung im Kunstmuseum zeigt Dokumente, Listen oder auch Archivkarten zu einzelnen Werken, die die mühsame Arbeit der Provenienzforschung ahnen lassen. Es wird an Stuttgarter Sammler erinnert, die ihre Bestände an die Stadt verkauften, an Künstler, die den Krieg mit Pinsel oder Bleistift dokumentierten – 1942 wurden die Kriegsbilder im Kronprinzenpalais auch ausgestellt. Besonders interessant ist es, die Akteure kennenzulernen, die als Kommissionsmitglieder die Stuttgarter Sammlung zusammentrugen: Julius Kurz etwa war freier Kunstmaler in Stuttgart und seit 1931 in der NSDAP, auch wenn er sich später beim Entnazifizierungsverfahren als Mitläufer bezeichnete und seine Tätigkeit in der Kunstkommission erst gar nicht erwähnte. Arnold Waldschmidt, der die NSDAP in Stuttgart mitbegründet hat und mit Hitler gut bekannt war, war Professor an der Kunstakademie und Kommissionsmitglied. Auf seinem Selbstporträt von 1909 wirkt er grobschlächtig und unsympathischen. Auch August Köhler wird später behaupten, er sei unter Zwang in die Partei eingetreten. Er war ebenfalls Professor an der Stuttgarter Akademie. Die Kunstkommission kaufte mehr als 20 Bilder von ihm an – etwa seine sehr langweilige „Heuernte“ von 1941. Die „Bauernfrau“, die Alfred Binder 1939 malte, wirkt wiederum so redlich, fleißig und ernst, wie man sich die gute deutsche Frau vorgestellt haben mag.

Kai Artingers Ausstellung konzentriert sich auf die historischen Fakten. Interessant wäre, in einem zweiten Schritt, die Werke selbst einer kritischen Prüfung zu unterziehen, zu fragen, wie ihre Qualität einzuschätzen ist und welcher Geist aus ihnen spricht. Gut die Hälfte der Sammlung, die die Nazis zusammentrugen, hat allerdings nicht überlebt. Mehr als 1000 Gemälde verbrannten im Krieg.

Bis 1. Juni. Öffnungszeiten: dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, freitags von 10 bis 21 Uhr.

Sammlung: Wie hat sich die Kunstsammlung der Stadt Stuttgart während das Nationalsozialismus entwickelt? Das erklärt der Provenienzforscher Kai Artinger in einem bebilderten Vortrag am 13. Februar, 18 Uhr, im Kunstmuseum.

Staatsgalerie: Bis heute wissen die Stuttgarter Kunstinstitutionen nicht alles über ihre eigene Vergangenheit. Die Provenienzforscherinnen Johanna Poltermann und Andrea Richter sprechen über die Staatsgalerie Stuttgart und den Galerieverein während der Nationalsozialismus (27. Februar, 18 Uhr, Kunstmuseum).

Leerstellen: Was muss beim Nationalsozialismus in Stuttgart noch erforscht werden? Das fragt am 26. März eine Diskussion im Stadtarchiv mit dessen Leiter Roland Müller und der Provenienzforscherin Johanna Poltermann.

Kunsthändler: Welche Rolle spielten Kunsthändler in Nazideutschland? Darüber wird am 19. Mai um 18 Uhr diskutiert am Beispiel des Stuttgarter Galeristen Fritz Cornelius Valentien.