Joy Denalane und Max Herre: Gemeinsam tänzelte das Paar über die Bühne. Quelle: Unbekannt

Freundeskreis sind im Hof des Ludwigsburger Residenzschlosses aufgetreten. Ein Sommerabend mit Max Herre, Afrob und Joy Denalane, an dessen Ende die Zuhörer die nötige Bettschwere hatten.

LudwigsburgIch nenn’ euch Stuggi, ist das okay? Niemand ist beleidigt?“, fragt der Mann auf der Bühne der KSK Music Open. Die Menge im Hof des Ludwigsburger Residenzschlosses ist einverstanden. Man muss schon ein bisschen beliebt sein, um Ludwigsburger und Stuttgarter mal eben ungestraft über einen Kamm scheren zu dürfen. Und dass die aus der Landeshauptstadt Angereisten sich den schlimmen Diminutiv „Stuggi“ einfach so gefallen lassen – wer ist dieser Herr, der das am Samstag so ungeniert zum Vortrage brachte?

Max Herre ist’s. Der ist, das kann man sagen, in diesen Sphären durchaus beliebt. Nicht zuletzt, weil er vor 20 Jahren als Kopf der Hip-Hop-Formation Freundeskreis an der Seite von Don Philippe alias Philippe Kayser und DJ Friction a.k.a. Martin Welzer mit dafür verantwortlich war, dass Stuttgart zur Hochburg dieses Genres avancierte. Freundeskreis waren essenzieller Bestandteil des Anfang der 90er gegründeten Künstlerzusammenschlusses Kolchose. Die Stuttgarter können ihre kreativen Söhne seither gar nicht laut genug loben, geht es dabei doch auch immer um die Selbstvergewisserung, dass man hier mehr kann als Autoteile zusammenzuschweißen. Allein: Was damals noch Untergrund war, ist heute Mainstream. Hip-Hop ist Alltag.

Fans noch immer textsicher

Nachdem der Stuttgarter Rapper Marz und die Bixtie Boys die Boxen aufgewärmt hatten, starteten Freundeskreis samt siebenköpfiger Live-Band mit „Esperanto“. Max Herre und Joy Denalane tänzeln dabei hin und wieder so über die Bühne, dass man glauben könnte, es sei möglich, nach fast zwanzig Jahren Beziehung (mit Unterbrechung) noch richtig glücklich miteinander zu sein. Denalane zählt wie der später auf die Bühne stürmende Afrob zum erweiterten Freundeskreis.

Zu dritt feuern sie früh die größten Erfolge ab: „1ste Liebe“, die Liebeserklärung an Stuttgart. Afrobs „Reimemonster“, die deutschsprachige Hip-Hop-Hymne. „A-N-N-A“, das Lied, das einst für den großen Durchbruch sorgte.

Die Fans kennen die Texte noch immer. Obwohl Freundeskreis seit dem Jahr 2000 nur selten in dieser Konstellation auftreten. Man konzentrierte sich auf die Solokarrieren und begnügte sich zum Zehnjährigen wie jetzt zum Zwanzigjährigen mit Jubiläumstouren. Im vergangenen Jahr gastierte man bereits beim Mercedes-Benz-Konzertsommer, wegen der hohen Nachfrage verlängerte man die Feierei.

Auffällig: Die Gäste wirken reifer als bei herkömmlichen Hip-Hop-Konzerten. Der eine oder die andere haben schon für Nachwuchs gesorgt und selbigen auch im Schlepptau. Andere sind gar ergraut, stecken sich aber nach wie vor bedauerlicherweise noch immer illegale Pflanzen an. Es finden sich dennoch auch Mittzwanziger, die bierselig mit ihren Kumpels „Heimspiiiel!“ grölen.

Zeit zum Trinken – wichtig bei der Hitze – gibt es, die fast dreistündige Show hat Längen. Mancher Beat aus dem Repertoire von Freundeskreis erinnert bisweilen an Lounge-Musik. Dazu kann man sich ganz gut unterhalten. Das machen auch einige, als Joy Denalane zwischendurch vier Titel wie „Was auch immer“ am Stück solo singt. Als dann beim Beginn der Dämmerung die ersten Hörer einzunicken drohen, kehren Afrob und Herre zurück.

Auf den Leinwänden sieht man alte Konzertplakate, in die Jahre gekommene Plattencover und in Sepia gehaltene Fotos der Künstler. Die beiden Herren schwelgen in Erinnerungen: „Wo ist das?“ – „Auf der Theodor-Heuss-Straße!“ – „Das sieht da heute nicht mehr so aus!“ Sätze wie von Opa, Wahnsinn! Dem 45-jährigen Herre gelingt es daraufhin mit seinem jüngeren Hit „Fühlt sich wie fliegen an“, die Leute aller Nostalgie zum Trotz wieder aufzuwecken. Auch dieses Stück ist aber letztlich ein Pop-Song fürs Radio.

Mainstream-Macher

Weshalb sich bei einem solchen Konzert schon auch die Frage aufdrängt, was das damals eigentlich für ein harmloser Untergrund gewesen sein muss. Was die Kolchose, also neben Freundeskreis auch die „Massiven Töne“, ausmachte. Nach heutigen Maßstäben kommen die Klänge und die zugehörigen Texte über Liebe und Gerechtigkeit nachgerade langweilig daher. Was aber, Achtung, Dialektik, eben auch beweist: Diese Herrschaften haben die Gesellschaft mit ihrer Musik verändert und geprägt. Sie sind Mainstream-Macher.

Zum Ende der Zugabe muss schließlich das in die Ewigkeit gedehnte „Halt dich an deiner Liebe fest“ als Rausschmeißer herhalten. Das sorgt dann tatsächlich für die nötige Bettschwere, ein paar Hörer brechen noch vor der Verbeugung ihrer Stars auf. Die einstigen Avantgardisten von Freundeskreis haben Ludwigsburg respektive „Stuggi“ einen langen, netten Sommerabend beschert.