Die Menschen genießen in Stuttgart die letzten warmen Sonnenstrahlen des Herbstes. Foto: Lichtgut - Ferdinando Iannone/Ferdinando Iannone

Die Stadt kostet das vermutlich letzte sommerliche Wochenende mitten im Herbst aus und Tausende freuen sich über zwei Attraktionen: Das Riesenrad und die Wiedereröffnung der Calwer Passage.

Entschlossen und zielsicher stapft Helena die Treppe hoch. Die Zweijährige weiß, was sie will: Riesenrad fahren. In der gläsernen Kabine dem blauen Himmel näherkommen und 58 Meter hoch über der Stadt schweben. „Sie kennt das schon, vom letzten Jahr“, erzählen die Eltern Mareike und Stephan. Da war sie gerade ein Jahr alt, und das Erlebnis muss eine bleibende Erinnerung hinterlassen haben. Kein Wunder: „Es war am Abend, und der Blick auf die illuminierte Stadt im Glanz vom tausenden von Lichtern einfach großartig“, schwärmen die Eltern.

Damals war es schon ziemlich kalt. Sehr adventlich. Wie man es halt nicht anders erwartet, wenn der November naht. Eingepackt in Mütze, Schal und Handschuhe. Was für ein Unterschied zu diesem Wochenende mit sommerlichen Temperaturen. Die ganze Stadt kostet noch einmal, vermutlich das letzte Mal in diesem Jahr, das Gefühl der Leichtigkeit des Sommers aus, Sonne darf die Haut streicheln und ein Wärmepolster für den Winter schaffen.

Menschen sind gespannt auf die Calwer Passage

Intensiv genießen alle Menschen, was irgendwelche meteorologischen Launen bescheren. Und es hätte für zwei Attraktionen in der Stadt nicht besser passen können: Den Start des Riesenrades im Ehrenhof des Neuen Schlosses, das sich nach einer kleinen technischen Panne am Freitagabend rechtzeitig zu drehen begann und seither von 11 Uhr morgens bis nachts um 22 Uhr nicht mehr stillstand. Und die Wiedereröffnung der so lange als Baustelle unzugänglichen und nun mit gespannter Erwartung besuchten Calwer Passage.

„Schön ist so ein Ringelspiel“, besingt der Wiener Hermann Leopoldi das Karussell-Vergnügen. Aber dort lädt das Riesenrad im Prater ja das ganze Jahr ein. Genau wie das London Eye an der Themse. Und das Roue de Paris auf der Place de la Concorde. Sollte nicht Stuttgart auch mit einem ständigen Giant Wheel punkten, wäre das nicht eine tolle Touristenattraktion und überhaupt: Gehört ein bisschen Gigantismus nicht zu einer Großstadt wie das Salz in die Suppe?“ – „Ach, dann nutzt sich der Effekt ab“, ist Helenas Vater überzeugt und liegt damit ganz auf der Linie von OB Frank Nopper, der den Reiz des Vergnügens auch in der zeitlichen Begrenzung sieht.

Das Riesenrad zieht die Menschen magisch an

Da ist Hugo aber ganz anderer Meinung: Der Fünfjährige war so traurig, als im letzten Jahr das Riesenrad abgebaut wurde und verschwand, dass er einen Brief an Nopper geschrieben hat: „Lieber Dr. Nopper, ich freue mich, Dein Hugo.“ Mit einer tollen bunten Zeichnung vom Riesenrad. So nette Post bekommt ein OB auch nicht alle Tage. Darum treffen sich Frank und Gudrun Nopper an diesem Samstag mit Hugo und seinen Eltern Verena und Sebastian Laich am Riesenrad für eine gemeinsame Auf- und Nieder- und Rundherum-Fahrt mit dem Blick von Süd nach Nord und Ost nach West entlang aller Höhen rund um den Kessel. Mit bester Sicht auf die schöne Stadt. Das Hochgefühl tröstet Hugo hoffentlich, wenn der Höhenrausch leider wieder zu Ende geht.

Vertröstung auch noch hier und da in der Calwer Passage mit dem Versprechen „Coming Soon “ auf Schaufensterverkleidungen statt dem Blick auf verlockende Waren. Doch das Flanieren durch die lang vermisste Galerie hatte ein lohnendes Ziel: Die Begrüßung mit einem Glas Sekt auf dem roten Teppich zur Eröffnung von Feinkost Böhm mit Bar und Bistro, dem Ableger des von Bauherr Ferdinand Piech Holding GmbH betriebenen Böhm-Stammhauses in der Calwer Straße. Die Schlange vor dem benachbarten Brotladen „Zeit für Brot“, der bereits seit längerem von der Fritz-Elsas-Straße her zugänglich ist, gehört schon zum gewohnten Bild. Nicht mehr warten mit der Eröffnung seines Geschäftes für feine Pullover des Labels Lenz und Leif wollte auch Matthias Honold: „Dafür haben wir bis in die Morgenstunden hier gearbeitet.“ Gegenüber, zwischen feinen Handtaschen, steht noch der Handwerker auf der Leiter, aber in der Galerie Yellow Corner, die Kunstfotografie ausstellt und verkauft, drängen sich die Bewunderer bei der Vernissage.

In der Calwer Straße geht der Betrieb los

Glücklich sind die Goldschmiedinnen und Schmuckdesignerinnen Christiane Köhne und Caro Weiss: Ihr Laden, vier Jahre lang durch die Baustelle in einer Sackgasse, liegt nun wieder auf dem Weg zur Passage. Draußen auf der Calwer Straße ist in all den mittlerweile hier etablierten Bistros und Cafés kaum ein freier Stuhl zu finden.

Kaum nach der Fahrt im Riesenrad wieder auf der Erde gelandet, entwischt Helena ihren Eltern in Richtung Eingang: Nochmal fahren, es soll wieder rundgehen. Nein, entscheiden die Eltern und trösten: „Morgen wieder. Und dann am Abend mit Lichterglanz.“