Rauchende Schornsteine: Auch Holzöfen tragen zur Feinstaubbelastung bei. Die aktuellen Werte haben sich nun auf die Diskussion um ein Baugebiet ausgewirkt. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Von Melanie Braun
Eigentlich sollten sich die Mitglieder des Ausschusses für Technik und Umwelt heute Nachmittag mit einem Wettbewerbsverfahren für die potenzielle Bebauung einer Freifläche im Greut beschäftigen. Doch daraus wird nichts: Die Stadtverwaltung hat das Thema auf Wunsch mehrerer Fraktionen von der Tagesordnung genommen. Ausschlaggebend dafür waren die jüngst bekannt gewordenen Feinstaubwerte, nach denen Esslingen vermutlich die am zweithöchsten belastete Stadt in Baden-Württemberg nach Stuttgart ist.
Neue Diskussionen gefordert
In einem interfraktionellen Antrag hatten CDU, SPD und Freie Wähler die Absetzung des Themas Greut gefordert. Als Grund dafür habe man die aktuellen Veröffentlichungen zur Luftverschmutzungsproblematik in den Esslinger Tallagen angeführt, berichtet Andreas Koch, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Gemeinderat. Diese gelte es zunächst zu diskutieren, bevor in Sachen Bebauung des Greut nächste Schritte getan würden.
Hinzu komme, dass die Gegner einer Bebauung der Stadt schon lange vorwerfen, dass ihre Gutachten zu den ökologischen Folgen der geplanten Bebauung methodisch unzureichend oder sogar falsch seien. „Dem sollten wir nicht ausweichen. Wir sollten die Bedenken nicht wegwischen, sondern wir müssen das klären“, sagt Koch. Angesichts der aktuellen Entwicklungen sei es aus Sicht der drei Fraktionen einfach zu früh für den nächsten Schritt.
Das bestätigt Jörn Lingnau, Fraktionschef der CDU: „Prinzipiell haben wir immer einer moderaten Bebauung im Greut zugestimmt, weil wir ja Wohnungen brauchen“, räumt er ein. In seiner Fraktion glaube man auch nicht, dass die Feinstaubwerte durch eine Bebauung im Greut erheblich ansteigen würden. „Aber das Thema spielt jetzt am Rande mit rein und macht die Diskussion schwieriger.“ Daher sei es nicht sinnvoll, jetzt weitere Entscheidungen zu treffen. Auch Annette Silberhorn-Hemminger, Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler, betont: „Wir müssen uns jetzt Zeit nehmen, um abzuschätzen, welchen Einfluss die Feinstaubbelastung auf das Vorhaben im Greut hat.“ Daran führe kein Weg vorbei.
Auch die Fraktionen und Stadträte, die nicht an dem Absetzungsantrag beteiligt waren, begrüßen zum großen Teil, dass das Thema vertagt wird. „Hätten die Kollegen uns gefragt, hatten wir uns an dem Antrag beteiligt“, sagt Carmen Tittel, Fraktionsvorsitzende der Grünen. „Wir sehen die Bebauung des Greut ohnehin sehr, sehr, sehr skeptisch.“ Denn man habe immer schon vermutet, dass die Luftverschmutzung in der Innenstadt erheblich sei, „aber jetzt haben wir die Beweise dafür“. Und das Greut sei das wichtigste Frischluftgebiet für die Innenstadt.
Die Grünen seien nicht generell gegen neue Baugebiete, schließlich würden dringend Wohnungen benötigt. Aber die Fläche, auf der man jetzt bauen wolle, sei wichtig für den Kaltluftabfluss und sie sei die einzige Durchlüftung der City: „Das zuzubauen, ist nicht klug“, sagt Tittel – mehr noch: „Das geht nicht.“ Es sei logisch überhaupt nicht nachzuvollziehen, warum die Stadt sich auf das Greut für neue Wohnungen versteife, obwohl schon in den 1980er-Jahren Gutachten ergeben hätten, dass das nicht sinnvoll sei.
Ähnlich sehen es die Linken: „Wir waren schon immer komplett gegen das Projekt“, sagt Stadtrat Martin Auerbach. „Im Hinblick auf den Feinstaub in der Stadt wäre es verheerend, das Greut zuzubauen.“ Die Linke geht sogar noch weiter: Es bedürfe eines Bauverbots auf dem Kaufmann-Areal, zudem solle die Stadt alle Gebäude und Flächen zwischen Greut und Innenstadt kaufen und gegebenenfalls Gebäude rückbauen, fordert sie. Nur so könne gewährleistet werden, dass die Frischluftschneise erhalten bleibe und zudem breiter werde, um den Verschlechterungen des Esslinger Mikroklimas in der Innenstadt entgegen zu wirken.
Stadt hält an Plänen fest
Bei der Stadtverwaltung hingegen zeigt man sich wenig beeindruckt von den Vorstößen aus dem Gemeinderat. Mit der Absetzung des Themas von der Tagesordnung habe man dem Wunsch der Fraktionen entsprochen, den man als politisches Zeichen im Hinblick auf die Veröffentlichung der Feinstaubwerte für Esslingen interpretiere, sagt der Stadtsprecher Roland Karpentier. Doch nach wie vor empfehle die Rathausspitze eine Bebauung des Greut, so wie es in einem Grundsatzbeschluss des Gemeinderats bereits festgehalten sei. Schließlich sei neuer Wohnraum dringend notwendig, zudem gehe es darum, die Lasten gleichmäßig im Stadtgebiet zu verteilen. Daher müssten auch die Bewohner im Greut ihren Beitrag leisten.
Auch die FDP hält es nicht für notwendig, das Thema zu vertagen. Es sei nicht verwunderlich, dass auch in Esslingen hohe Feinstaubwerte gemessen würden, sagt Ulrich Fehrlen. Daher sei es jetzt nicht angebracht, vorschnell zu reagieren. „Man sollte das alles etwas ruhiger angehen“, sagt Fehrlen.

Staubwerte für die Stadt

Messungen: Seit Januar 2016 werden an der Esslinger Grabbrunnenstraße die Feinstaub- und Stickstoffdioxidwerte in der Luft erhoben. Bis zum 27. Dezember – die letzten vier Tage des Jahres wurden noch nicht ausgewertet – wurde dort 26 Mal der Grenzwert von 50 Mikrogramm Feinstaub im Tagesmittel überschritten, an sieben Tagen davon betrug der Wert sogar mehr als 75 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Damit ist Esslingen derzeit – Auswertungen für einige Tage in anderen Städten stehen noch aus – die am zweitstärksten mit Feinstaub belastete Stadt im Land nach Stuttgart, wo der Grenzwert 2016 an 63 Tagen überschritten wurde.

Höchstwerte: In den vergangenen Tagen wurden am Stuttgarter Neckartor Feinstaub-Spitzenwerte von bis zu 134 Mikrogramm gemessen. Für Esslingen gebe es allerdings noch keine aktuellen Werte, sagt Tatjana Erkert, Sprecherin der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW). Denn hier würden die Daten gravimetrisch gemessen. Das heißt, die Filter aus der Messstation würden nur alle zwei bis drei Wochen im Labor ausgewogen. Doch laut Katja Lumpp, Sprecherin des Regierungspräsidiums Stuttgart, gilt ohnehin: „Esslingen ist nicht Stuttgart.“ Sprich: Die Feinstaubbelastung am Neckartor sei wegen der speziellen Topografie und des Verkehrs erheblich schlimmer als in Esslingen. Dennoch sei anzunehmen, dass angesichts der Wetterlage derzeit auch in Esslingen mehr Feinstaub in der Luft sei.