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Mit einer Stückentwicklung zum Klimaschutz greift das Zimmertheater aktuelle Diskurse auf. Gregor Schuster hat einen Theaterabend über die aktuelle Debatte in Szene gesetzt.

TübingenDas Trojanische Pferd steht in der Mitte des ehemaligen Kinosaals im Tübinger „Löwen“. Bei genauem Hinsehen entdecken die Betrachter, dass der Pferdekopf aus Müll gebaut ist. Telefonhörer, Holzplatten, altes Spielzeug und manches mehr sind da verbaut. In der Mythologie waren in dem Gaul Soldaten versteckt. Durch diese List gewannen die Trojaner den Krieg. Das ist heute anders. Ihr eigener Müll fällt auf die Menschen zurück. In der Nebenspielstätte des Zimmertheaters Tübingen hat Regisseur Gregor Schuster die Stückentwicklung „Smells Like Green Spirit“ realisiert. Klug untersucht er die Kehrseiten des grünen Gewissens, das in Mode ist; der Titel ist aus einer Manga-Serie entlehnt. Doch nehmen die Menschen die Bewegung wirklich ernst?

Im Vorfeld des Klimastreiks im September trafen sich die Theatermacher mit Studierenden, Schülern und Auszubildenden, die in der Universitätsstadt leben, im ehemaligen Gasthaus, das schon in den 30er-Jahren ein wichtiger Versammlungsort in Tübingen war. Dabei ist ein Abend entstanden, der nicht nur die Kraft von Jugendbewegungen im 20. und 21. Jahrhundert spiegelt. Gemeinsam mit jungen Leuten aus der Stadt untersuchen die Schauspieler Ängste ihrer Generation in Zeiten des Klimawandels.

Diskurse ins Theater tragen

„Menschen mit unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten“ wollten die Intendanten Peer und Dieter Ripberger bei dem Projekt zusammenbringen. Die Theaterchefs und ihr Team reizt der Blick auf die multikulturelle Gesellschaft in Tübingen, die „so viel mehr Seiten hat als allein die Universität“. Ihnen ist es wichtig, gesellschaftliche Diskurse ins Theater zu tragen. „Institut für theatrale Zukunftsforschung“ nennen sie ihr Projekt am Zimmertheater.

Auf gesellschaftliche Vielfalt lenkt Gregor Schuster den Blick des Publikums. Doch zunächst setzt seine Stückentwicklung bei der Gleichgültigkeit vieler Menschen gegenüber des Jugendprotests der Bewegung „Fridays for Future“ an. „Ich bin der festen Überzeugung, dass die gesellschaftlichen Vorteile durch bezahlbare Flugreisen die Umweltaspekte um ein vielfaches übersteigen. Aus diesem Grund werde ich auch in diesem Jahr und in Zukunft auf keine einzelne Flugreise verzichten.“ Da zitiert der Performer Mario Högemann den Kommentar eines jungen Geschäftsreisenden, den er auf der Homepage einer großen Wochenzeitung gepostet hat. Trotz der beeindruckenden Demonstrationen junger Menschen in aller Welt hat in den Köpfen der meisten Menschen noch kein wirkliches Umdenken stattgefunden. Dieses Dilemma bringt Schusters Inszenierung klug auf den Punkt.

Der Autor, der 2018 seinen Abschluss an der Theaterakademie Hamburg gemacht hat, verankert seine Theaterprojekte in gesellschaftlichen Prozessen. Die Teilnahme am Klimastreik in Tübingen mit einer großen Demonstration vor den Universitätsgebäuden stand für das Zimmertheater-Ensemble und die Bürgerbühne im Mittelpunkt der Probenarbeit. Schusters Textfassung, die im Programmbuch nachzulesen ist, greift die aktuellen Diskurse auf, ohne dabei plump zu wirken. Das liegt daran, dass er die aktuelle Jugendbewegung klug im historischen Kontext verankert. Gewitzt bringt Thea Rinderli die Unterschiede einstiger und heutiger Rebellen auf den Punkt auf den Punkt: „Was früher subversiv war, kannst Du heute im Laden kaufen. Che-Guevara-T-Shirts und Anarcho-Sticker.“ Schuster spürt aber auch der nationalsozialistischen Geschichte Tübingens nach – im Juli 1933 fand dort vor der malerischen historischen Kulisse der „Hitlerjugendtag“ statt.

Eigene Erfahrungen der Spieler fließen in die lebendige Performance ein. Das macht die Produktion so überzeugend. Christopher Wittkopp reflektiert seine eigene Zeit im Jugendhaus und als Mitglied einer Band, die am Ende zerbrach. Schon im Privaten verpufft so die „Politik der Affekte“.

Nicht nur schauspielerisch, auch als Band überzeugt das Ensemble des Zimmertheaters. Schuster bindet auch die jungen Menschen der Bürgerbühne ein, ohne sie zu überfordern. Nach der Performance im „Löwen“-Saal führen sie das Publikum in Pfadfindermanier durchs Haus. Als die Zuschauer in einem Müllberg aus Computern der ersten Generationen eingezwängt werden, wird manchem bewusst, wie sehr der Zivilisationsmüll nach und nach die Umwelt zerstört. Künftige Generationen bleiben auf den Bergen der Wegwerfgesellschaft sitzen.

Weitere Termine: 26. und 31. Oktober sowie 1. November.