Szene aus „Schuld und Sühne“ am LTT. Foto: Felix Grünschloß Quelle: Unbekannt

Von Elisabeth Maier

Tübingen - Wie einen Horrorfilm aus der Stimmfilmzeit hat der Regisseur Gernot Grünewald Fjodor M. Dostojewskis Roman „Schuld und Sühne“ am Landestheater Tübingen (LTT) in Szene gesetzt. Pferde zertrampeln die Schädel von Menschen in den Angstträumen, die den Studenten Raskolnikow quälen. In einer engen Bretterbude spielt sich das schreckliche Geschehen ab. Grünewald hat das 700 Seiten starke Werk erheblich gestrafft und auf eine zweieinhalbstündige Fassung konzentriert. Fünf Spieler verkörpern 20 Rollen. An Mikrofonen sprechen sie Passagen des Klassikers, der im Jahr 1866 erschienen ist.

Düster und schwer klingt die epische Sprache des Russen, die der Regisseur und Dramaturgin Kerstin Grübmeyer in ihrer pointierten Fassung auf die inneren Konflikte des Mörders reduzieren. Kollektives Erzählen ermöglicht einen distanzierten Blick auf die Handlung, die oft antiquiert ist. Gernot Grünewalds Ästhetik der Angstträume kommt in der Inszenierung schön zum Tragen. Klug verbindet der Regisseur, der 2015 mit seiner Tübinger Stückentwicklung „Helmut Palmer - Zur Liebe verdammt fürs Schwabenland“ für den Faust-Theaterpreis nominiert war, Dostojewskis schwer greifbare Gedankenspiele mit einem Thriller, dessen Intensität fasziniert. Mit starken Bildern bricht er das Meisterwerk auf die ebenso berührende wie aktuelle Geschichte eines gebrochen Menschen herunter. Hoch aktuell sind Dostojewskis Aussagen über die Schuld, die Menschen im Lauf ihres Lebens auf sich laden. Die ungerechten ökonomischen Systeme, die jeden zum Verbrecher machen, prangerte der Russe im 19. Jahrhundert ebenso an wie die persönliche Schuld, die der Protagonist Raskolnikow auf sich lädt. Das mag den Dostojewski-Boom erklären, der an deutschen Bühnen zu beobachten ist.

Im Holzverschlag, der Michael Köpkes Bühne prägt, spiegelt die LTT-Inszenierung die Geschichte in einem Maskenspiel, das die Psyche des Mörders nach außen kehrt. Im ersten Bild liegt der abgerissene Kopf eines Mannes auf dem geschotterten Boden. Stürmisch drehen die Schauspieler das leicht gezimmerte Bretterhaus, wenn die Bilder wechseln. Wie in einem Alptraum fängt die Videokamera die brutalen Szenen ein. Das erinnert an die verblichene Ästhetik von Stummfilmen. Da schlägt das Beil auf den Kopf der Pfandleiherin, die zu Boden fällt. Dominik Dittrich unterlegt die Szenen mit Klaviermusik. Langsam steigert die plätschernde Komposition die Emotionen ins Unerträgliche. Gefährlich nahe schrammt Grünewalds insgesamt starke Arbeit am nostalgischen Kitsch vorbei. Mit kühler Distanz lösen die Schauspieler diesen Konflikt aber am Ende auf.

Wie Figuren aus Raskolnikows fiebrigen Fantasien wirken die übergroßen Masken aus Judith Mahlers Werkstatt. Mit staunenden Augen blickt der Student, der zum Mörder wird, in eine Welt, die für Genies keinen Platz hat. Energisch lässt Michael Ruchter seine Figur an die Grenzen des engen Bretterverschlags stoßen. Durch die Morde verschafft er sich Freiheit. Dennoch kann er nicht verhindern, dass sich seine Schwester Dunja, die Carolin Schupa bewusst grob in eine Opferrolle zwängt, an reiche Männer verkaufen muss. Als sie der Gutsbesitzer Swidrigajlow, den Daniel Tille in seiner ganzen Kälte zeigt, fast vergewaltigt, wird der Schmerz ihres Lebens in Armut offenbar. Die Lust eines Kriminalisten, Raskolnikows Beweggründe zu entlarven, kitzelt Raphael Westermeier aus der platt überzogenen Rolle heraus. Immer wieder nehmen die Schauspieler die Masken ab, sie zweifeln und zaudern. Das gilt besonders für Franziska Beyers zerbrechliche Hure Sonja, mit der Raskolnikow in Gefangenschaft die Liebe findet. Da spürt er zum ersten Mal, wie sein Herz schmerzt.

Tiefe Momente wie diesen hat der Abend immer wieder. Das Maskenspiel, mit dem sich die Schauspieler sehr bewusst auseinandersetzen, ermöglicht es ihnen, Distanz zu den Figuren zu beziehen. Dadurch bekommt der Abend eine beklemmende Aktualität und ermöglicht ein Nachdenken über Dostojewskis Thesen über einen Menschen, der zum Mörder wird.

Die nächsten Vorstellungen: 5., 6. und 24. März sowie 7. April.