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234 000 Frauen mit ausländischen Wurzeln sind in Deutschland selbstständig. Drei Unternehmerinnen aus der Region erzählen von ihren Erfahrungen.

Von Sabrina Erben

Stuttgart - „Es ist nicht immer einfach“, sagt Sinem Ertürk. Die alleinerziehende Mutter mit türkischen Wurzeln ist seit sieben Jahren selbstständig. Unter dem Label „green be design“ macht sie in Sindelfingen Grafik und Webdesign für Unternehmen. Bei Fotocollagen und Ausstellungen zeigt sie ihre künstlerische Seite. „Als mein Sohn geboren wurde, habe ich nach einer Möglichkeit gesucht, für ihn da zu sein und zu arbeiten“, sagt Ertürk. Das sei der Hauptantrieb für die Selbstständigkeit gewesen. „Man braucht Geduld und muss Rückschläge hinnehmen. Ich habe es aber nie bereut.“

Ertürk ist eine von 234 000 selbstständigen Frauen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Für Wissenschaftlerin Swetlana Franken ist das noch zu wenig. Etwa acht Millionen Frauen hierzulande haben ausländische Wurzeln. „Die Potenziale von Frauen mit Migrationshintergrund sind - auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels - besonders wertvoll. Wir sind auf einem guten Weg. Allerdings werden die Potenziale nicht ausreichend genutzt“, sagt die Personalmanagement-Professorin von der FH Bielefeld. Viele Migrantinnen haben Franken zufolge einen Abschluss in naturwissenschaftlichen Berufen. „Genau das wird händeringend gesucht.“

Berufsbilder wandeln sich

Eine Möglichkeit, die Fähigkeiten weiter zu fördern, bieten die Frauenwirtschaftstage in Baden-Württemberg. Schon zum zwölften Mal findet die Veranstaltung auf auf Initiative des Wirtschaftsministeriums statt, diesmal mit dem Fokus auf Frauen mit ausländischen Wurzeln. „Die Berufsbilder von Frauen mit Migrationshintergrund wandeln sich immer mehr von den traditionellen, oft Ethno-Business-orientierten Geschäftsmodellen im Handel und der Gastronomie hin zu modernen Dienstleistungsunternehmen. Die Frauen schaffen Arbeitsplätze, nutzen ihre Qualifikationen und erzielen höhere Einkommen“, sagt Staatssekretärin Katrin Schütz bei der Auftaktveranstaltung in Stuttgart. Franken drückt es so aus: „Es ist heute nicht mehr nur der kleine Gemüseladen um die Ecke.“

Im Fall von Jaqueline Yildirim aus Mannheim sind es High-Heels. 2015 gründete sie die Jacq GmbH in Mannheim. Das Unternehmen befasst sich mit der Entwicklung von biomechanischen Werkstoff zur Druckabsorption und Dämpfung in Schuhen. „Ich liebe hohe Schuhe, habe aber nie welche gefunden, die keine schmerzenden Füße verursachen.“ Das möchte sie ändern. Sie entwickelte mit Unterstützung einer US-Firma einen Werkstoff, der die Wirkung der Bandscheibe im menschlichen Bewegungsapparat nachahmt und als Dämpfung für die Fußsohlen wirkt.

Einer Bertelsmann-Studie zufolge hat sich die Anzahl von Arbeitsplätzen, die durch selbstständige Migranten geschaffen wurden, zwischen 2005und 2014 von 947 000 auf 1,3 Millionen erhöht - ein Plus von 36 Prozent. Die Zahl von Unternehmern mit Migrationshintergrund stieg im selben Zeitraum von 567 000 auf 709 000. Ein Drittel davon sind Frauen. „Viele Migranten machen sich selbstständig, weil die Verdienstchancen als Arbeitnehmerin geringer sind“, sagt Franken. Oder weil die Chancen auf eine Einstellung geringer sind als bei deutschen Kollegen, gibt die Professorin zu bedenken.

Große Männerdominanz

In ihrem Forschungsprojekt „Migrantinnen in Führungspositionen“ befragte Franken 1000 Unternehmerinnen zu ihren Erfahrungen in Unternehmen. Unter den 3,3 Millionen erwerbstätigen Migrantinnen in Deutschland sind dem Statistischen Bundesamt zufolge 2,5 Millionen Angestellte und 774 000 Arbeitnehmerinnen. Die Probleme unterscheiden sich nicht von denen der deutschen Arbeitnehmerinnen. „Die Männerdominanz in Führungspositionen und immense Probleme bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf erschweren den Frauen das Leben.“ Dabei gebe es viele Vorteile für die Unternehmen: „Durch die Beschäftigung von qualifizierten Migrantinnen können Unternehmen dem Fachkräftemangel entgegenwirken.“ Franken sieht auch spezielle Probleme für Frauen mit ausländischen Wurzen. „30 Prozent der Frauen gaben bei der Befragung an, aufgrund ihrer Herkunft im Geschäftsalltag diskriminiert worden zu sein“, sagt Franken. Die Unternehmerin Ertürk bestätigt das nicht: „Dass es eine Benachteiligung bei der Auftragsvergabe gab, kann ich nicht sagen. Im persönlichen Kontakt gab es eigentlich immer nur positive Resonanz.“

Auch Paula Mariana Jaimes wollte nicht in Anstellung arbeiten und wagte in Stuttgart den Schritt in die Selbstständigkeit. Die 38-Jährige kam der Liebe wegen nach Deutschland. In ihrem Heimatland Kolumbien arbeitete sie als Kommunikationswissenschaftlerin für Hilfsorganisationen. 2011 gründete sie die „La Carteria Ledermanufaktur“ in Stuttgart. „Man muss sich fragen, was man wirklich kann. Eine Lücke finden“, sagt Jaimes. Zu ihren Kunden gehören häufig Deutsche. „Meine Landsleute kommen zum Schauen, aber nicht zum Kaufen“, sagt Jaimes schmunzelnd. Auch für die bald zweifache Mutter lässt sich die Selbstständigkeit gut mit der Familie vereinbaren. „Aber man braucht Geduld und muss viel Zeit investieren, damit es sich lohnt.“ Das sehen auch Jaqueline Yildirim und Sinem Ertürk so. „Man muss es riskieren und wirklich wollen“, sagt Yildirim.

Und was unterscheidet Unternehmerinnen mit Migrationshintergrund von ihren deutschen Mitstreiterinnen? „Migrantinnen haben weniger Probleme mit dem Thema Sicherheit, sie sind risikobereiter und sind sehr orientiert daran, nach ihren Möglichkeiten zu schauen“, ist die Wissenschaftlerin Franken überzeugt.

Frauenwirtschaftstage

Die landesweiten 12. Frauenwirtschaftstage finden vom 13. bis 15. Oktober 2016 unter dem Schwerpunktthema „Unternehmerisch selbständig - Karrierechancen und Erwerbsalternativen für Frauen mit Migrationshintergrund“ statt. In rund 80 Veranstaltungen an über 40 Orten im Land werden die Themen Frauen und Wirtschaft diskutiert. Zu finden unter: wm.baden-wuerttemberg.de/de/arbeit/gleichstellung-in-der-wirtschaft/frauenwirtschaftstage/

InEsslingen gibt es die Veranstaltung „Unterschiede verstehbar machen - Interkulturelle Kompetenz als Vorteil für alle?!“: am 14. Oktober 2016 ab 17:30 Uhr im IHK-Haus in Esslingen. Mit der Referentin Birgit Opielka vom FrauenKolleg kann im Anschluss diskutiert werden. Der Eintritt ist frei. Anmeldung wird erbeten per E-Mail an britta.schnabel@stuttgart.ihk.de