Franz Xaver Kroetz Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Britta Schultejans

München - Das Haus sieht nicht so aus, als würde die Dreckschleuder des deutschen Theaters darin wohnen; und auch nicht so, als könnte Klatschreporter Baby Schimmerlos sich dort wohlfühlen: ein gepflegtes, kleines weißes Häuschen im mehr als bürgerlichen, gepflegten Westen von München. Ein winziges buntes Kinderrad lehnt an der Wand. Doch tatsächlich: Franz Xaver Kroetz öffnet die Tür, der einst hoch umstrittene Theaterautor und der Hauptdarsteller in Helmut Dietls Kultserie „Kir Royal“. Vor knapp einem Jahr ist Kroetz Opa geworden, heute wird er selbst 70 Jahre alt.

„Es gibt viele Autoren, die nicht 70 geworden sind“, sagt er. „Dieser Beruf verschleißt. Der schwankt zwischen neurotisch-hysterisch und am Boden liegend. Er hat schon eine manisch-depressive Komponente. Aber ohne geht es nicht.“

Und ohne den Beruf ging es bei Kroetz jahrzehntelang nicht. Mehr als 60 politische Stücke hat er geschrieben, die in rund 30 Sprachen übersetzt und in mehr als 40 Ländern der Welt aufgeführt wurden. Sein Aufstieg begann mit „Heimarbeit“ und „Hartnäckig“; mit der Zeit wurde er zum wichtigsten Repräsentanten eines neuen, politischen Volkstheaters. „Ich war ein fanatischer Stücke-Schreiber.“

Das ist er inzwischen schon seit zehn Jahren nicht mehr. „Meine Bühnenpräsenz, mein Erfolg als Dramatiker auf deutschen Bühnen, hatte so nachgelassen, dass ich mir das Theaterstücke-Schreiben nicht mehr leisten konnte“, sagt er. Sein jüngstes Stück „Du hast gewackelt. Requiem für ein liebes Kind“, das Kroetz für eines seiner besten hält und das 2012 mit fast zehnjähriger Verspätung im Münchner Cuvilliés-Theater uraufgeführt wurde, floppte beim Publikum, auch wenn Kroetz für den Mühlheimer Dramatikerpreis nominiert wurde. „Da hätte der Schauspieler Kroetz den Dramatiker Kroetz alimentieren müssen“, sagt er über seine zuletzt nicht sehr lukrative Kunst. „Das klingt jetzt vielleicht sehr profan, aber ich glaube, Shakespeare hat nicht eine Zeile geschrieben, ohne ans Geld zu denken.“ Der Schauspieler Kroetz und der Dramatiker Kroetz: Es sind zwei unterschiedliche Figuren, die in der öffentlichen Meinung nie ganz zu vereinbaren waren. Auf der einen Seite der hochpolitische Autor als Anwalt des kleinen Mannes, der zeitweise mit dem Kommunismus liebäugelte; auf der anderen Seite der schillernde Baby Schimmerlos im verpönten Fernsehen, der Inbegriff der High Society.

Er glaubt heute, der Schauspieler Kroetz habe dem Dramatiker Kroetz nicht unbedingt gut getan. „Da wurde ich für viele abtrünnig und korrupt, weil ich in so einer Scheiß-Serie, wie sie sagten, spiele.“ Ein Affront sei das gewesen „für die Ernsthaften“ - und das Aus für ihn als aussichtsreicher Kandidat auf den renommierten Büchner-Preis. „Marcel Reich-Ranicki hat damals geschrieben, ich sei ein ernsthafter Anwärter auf den Büchner-Preis gewesen, aber zu jung. Ich glaube nicht, dass es ums Alter ging. Ich glaube, man hat gesagt, man kann doch nicht dem Baby Schimmerlos den Büchner-Preis geben.“

„Weil dieser Job wirklich unanständig gut bezahlt ist“, gibt Kroetz sich alle paar Jahre in dem einen oder anderen Fernsehfilm die Ehre (an Karfreitag ist es mit dem ARD-Film „Das Geheimnis der Hebamme“ mal wieder soweit), auch wenn er Fernsehfilme eigentlich nicht ausstehen kann. Er hat ein „Tatort“-Drehbuch für den Bayerischen Rundfunk geschrieben, auch wenn er Krimis nicht mag. Doch seiner eigentlichen Kunst hat er nicht komplett den Rücken gekehrt. Seit Jahren hofft er darauf, doch noch ein Stück mit dem Titel „Alter Mann, was nun“ fertigzustellen. Doch das sei kompliziert, weil es „großes, episches Theater“ werden soll - und eben kein Fernsehspiel.

Den überwältigend hohen Stellenwert habe das Schreiben für ihn heute jedoch nicht mehr. Die ganz große Faszination sei dahin. Kroetz‘ neuer Gedichtband trägt den Titel „Verwesung schwelgt im Honeymoon“. Um die Schreibblockade geht es darin, den quälenden Stillstand des Autors, den Verlust kreativer Triebfedern wie Vitalität und Erotik. „Es ist ein großes Klagelied“, sagt Kroetz. Denn der Wahnsinn, der ihn als Theaterschriftsteller, als Dramatiker, jahrelang antrieb, „dieser weltumfassende Irrsinn, dieser hymnische Schwachsinn“, der sei inzwischen verstummt. Einfach sei das nicht, sagt Kroetz und zuckt mit den Schultern. „Schreiben hat auch immer Jugend bedeutet.“