Chefkonstrukteur Adrian Newey wird das Team früher als erwartet verlassen, auch weil er sich unwohl fühlt. Nun werden in der Formel 1 die Karten neu gemischt.
Die Affäre um Teamchef Christian Horner brodelt bei Red Bull Racing seit dem Saisonstart der Formel 1 im März. Jetzt hat der Machtkampf innerhalb des Rennstalls eine erste Konsequenz, mit noch unabsehbaren Folgen: Technikchef Adrian Newey, der geistige Vater der erfolgreichen Rennwagen, wird das österreichisch-britische Team nach zwei Jahrzehnten verlassen – und zwar bereits zu Beginn der nächsten Saison.
Das haben Rennstall und Newey am Mittwoch bestätigt – an jenem Tag, an dem sich der Star-Designer offenbar in London mit Ferrari-Teamchef Fred Vasseur getroffen hat. Sollte der spektakuläre Wechsel tatsächlich vollzogen werden, könnten sich die Machtverhältnisse in der Königsklasse radikal verändern.
Offiziell klingt alles einvernehmlich, nachdem zuletzt Anwälte um eine Auflösung des erst im Winter verlängerten Vertrages bemüht waren. Newey lässt sich so zitieren: „Ich habe das Gefühl, es ist der richtige Augenblick, den Staffelstab an andere weiterzugeben und neue Herausforderungen für mich zu suchen.“ Bislang 118 Siege und sieben Weltmeistertitel hat der Ingenieur seinem Noch-Arbeitgeber beschert, das Red-Bull-Wunder überhaupt ermöglicht. Nachdem der Brite offensichtlich keine persönliche Zukunft mehr bei Red Bull gesehen hat, verzichtete sein Arbeitgeber auch auf die üblichen Sperrfristen. Sonst wäre Newey wohl bis 2026 aus dem Verkehr gezogen worden. Horner und Co. haben eingesehen: Ein Genie lässt sich nun mal nicht zwingen.
Der Zeitpunkt scheint genau richtig. Während Max Verstappen mit dem von Newey konzipierten RB 20 Honda in der noch jungen Saison von Sieg zu Sieg rast (am Sonntag wird in Miami gefahren, 22 Uhr deutscher Zeit), denken die technischen Abteilungen bereits an das übernächste Rennjahr. Dann wird ein neues Motorenreglement mit integriertem Elektroantrieb gelten, das auch erhebliche Auswirkungen auf die Fahrzeugkonstruktion hat. Wer jetzt den als „Herrn der Lüfte“ verehrten Newey auf seiner Seite hat, kann aus einem großen Fundus aus Erfahrung und Ideen schöpfen.
Bei null anzufangen, das war bislang immer eine große Stärke Neweys, der insgesamt bereits 13 Fahrer- und zwölf Konstrukteurstitel in der Formel 1 errungen hat. Aber er braucht dazu vor allem eines: seine Ruhe. Wer ihn zuletzt gesehen hat, erkannte trotz aller Erfolge seine Leidensmiene. Immer häufiger hat er fernab der Zentrale aus seinem südafrikanischen Domizil Ideen beigesteuert. Seit durchgesickert war, dass der 65-Jährige sich zunehmend unwohl fühlt in der gestörten Atmosphäre zwischen Teamchef Horner, Red-Bull-Berater Helmut Marko und Champion Verstappen, buhlen die anderen Rennställe um den brillanten Techniker. Von Aston Martin soll es bereits ein Angebot gegeben haben, auch das künftige Werksteam Audi-Sauber dürfte seine Fühler ausgestreckt haben, Mercedes überlegt gar, Verstappen und Newey zu verpflichten. Ferrari aber gilt als besonders aussichtsreich.
Für Newey wäre dieser vermutlich letzte Wechsel in seiner Karriere – ganz wie bei Rekordweltmeister Lewis Hamilton – die Krönung einer ohnehin schon besonderen Laufbahn. In einem Podcast hatte der auf ein Jahressalär von 25 Millionen Euro taxierte Newey jüngst bedauert, dass er nie mit einem Hamilton oder Fernando Alonso habe zusammenarbeiten können in seiner Karriere. Diese Chance liegt nun in seinen Händen, er hat die Wahl.
Auch wenn Newey sich immer wieder für andere Projekte interessiert hat, vom Flugzeug bis zur Segeljacht, kommt er vom Wettbewerb im Motorsport nicht los. Trotzdem wollte Christian Horner, der in der Rennfabrik in Milton Keynes gern das alleinige Sagen hätte, den durchaus sensiblen Newey offenbar aus der Rennabteilung komplett zur Produktion des Hypercars abschieben. Das wollte der stille Brüter nicht. Er verabscheut zwar Machtkämpfe, aber er setzt seine Vorstellungen meist konsequent durch, und seine Gattin gilt als brillant am Verhandlungstisch.
Wird Red Bull geschwächt?
Die neue Rochade könnte Red Bull Racing entscheidend schwächen. Max Verstappen, ebenfalls höchst unglücklich über die personellen Reibereien, besitzt zwar einen Vertrag bis 2028, in dem aber auch eine Ausstiegsklausel festgeschrieben ist, sollte es gravierende Änderungen im Team-Management geben. Der Niederländer hat damit bereits erfolgreich gedroht, als Horner den Rennstallberater Helmut Marko loswerden wollte. Der Österreicher blieb im Amt, die Dinge schienen sich zu beruhigen. Diese Leichtigkeit ist nun wieder vorbei. Mercedes wirbt unverhohlen um die Dienste des dreifachen Weltmeisters.
Das Formel-1-Superhirn Adrian Newey soll sich derweil bis zu seinem endgültigen Abschied nur noch um den Straßensportwagen kümmern, den er für Red Bull entworfen hat und der 2025 auf den Markt kommen wird. Eine Nebenstrecke – auf dem Weg zu noch Größerem.