Kommt ein Zug? Viele Pendler müssen auf der Filstalbahnstrecke oft bangen, ob sei einen Anschluss bekommen. Foto: /Karin Ait Atmane

Züge kommen verspätet oder gar nicht. Oft sind die Waggons so voll, dass sich die Türen kaum schließen lassen. Wer sich im Berufsverkehr auf die Filstalbahn verlässt, ist verlassen. Sabine Fohl, SPD-Gemeinderätin aus Reichenbach, bringt den Ärger, den sie als Pendlerin tagtäglich mit Hunderten anderen teilt, auf den Punkt: „Es ist eine Katastrophe.“

Reichenbach/Plochingen - Züge kommen verspätet oder gar nicht. Oft sind die Waggons so voll, dass sich die Türen kaum schließen lassen. Wer sich im Berufsverkehr auf die Filstalbahn verlässt, ist verlassen. Sabine Fohl, SPD-Gemeinderätin aus Reichenbach, bringt den Ärger, den sie als Pendlerin tagtäglich mit Hunderten Leidensgenossen teilt, auf den Punkt: „Es ist eine Katastrophe.“ Anfang des Monat hatten Vertreter des neuen Betreibers Go-Ahead um Verständnis für die vielen Ausfälle und Pannen auf der Strecke gebeten und versprochen, dass man mit Hochdruck an einem reibungslosen und vor allem verlässlichen Zugbetrieb zwischen Stuttgart und Ulm arbeite. Auch Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) war zum Bürgerdialog nach Uhingen gekommen, um die Gemüter zu beruhigen (die EZ berichtete). Gebracht hat es bisher nichts. „Nichts ist besser geworden“, schimpft Fohler.

Auch im Reichenbacher Rathaus kommt nach wie vor viel Ärger an, wie Bürgermeister Bernhard Richter auf EZ-Nachfrage bestätigt. Den Rathauschef treibt angesichts dieser anhaltenden Misere eine generelle Sorge um. Denn was seit dem Fahrplanwechsel auf der Filstalstrecke passiere, sei eine Negativ-Werbung für den gesamten öffentlichen Nahverkehr. Deshalb müsse schleunigst etwas getan werden.

Vom Bürgerdialog, bei dem er ebenfalls zugegen war, hat Richter mitgenommen, dass der Zugverkehr gerade auf dieser Strecke ein hoch kompliziertes Geflecht ist. Trotzdem setzt er auf den Minister, der bei der Versammlung zumindest die Hoffnung äußerte, dass sich nach zwei Monaten einiges zum Besseren gewendet habe. In einem hat der Bürgermeister sogar Verständnis für den Bahnbetreiber Go-Ahead. Ihm gehe es wie den Kommunen bei der Suche nach Personal für Kindertagesstätten. „Wir können uns keine Leute schnitzen.“ Und wenn nicht genügend Personal da sei, könne man auch nicht mehr Züge einsetzen.

„Geduld ist aufgebraucht“

Eben wegen dieser Personalnot hatte Go-Ahead die Nachtzugverbindungen an den Wochenenden, die ursprünglich schon ab dem 22./23. Februar gelten sollten, kurzfristig bis 13. Juni zurückgestellt. Dies betreffe die Zugnummern 19100, 19101, 19102, 19103, 19104, 19105, 19107 und 19190, hatte das Unternehmen am vergangenen Freitag in einer knapp gefassten Pressemitteilung erklärt.

In der Mail hieß es, dass man mit der Verschiebung einem „Wunsch des Landkreises Göppingen“ entspreche. Das hat im dortigen Landratsamt für gehörige Verärgerung gesorgt. „Wunsch und Wirklichkeit auf der Filstalbahn liegen leider noch immer weit auseinander. Unsere Geduld ist aufgebraucht“, heißt es aus dem Landratsamt Göppingen. Deshalb sei es „ein Gebot der Stunde gewesen und mithin aus der Not geboren, zusammen mit dem Land als Besteller der Verkehre zugunsten der leidgeprüften Fahrgäste in den Hauptverkehrszeiten zu entscheiden.“ Go-Ahead sei darüber rechtzeitig informiert worden, habe die Verbindungen aber lange nicht aus dem System genommen. „Natürlich wünschen wir uns die Nachtverkehre, die Teil des neuen Angebots sind, so schnell wie möglich“, sagt Jörg-Michael Wienecke vom Göppinger Amt für Mobilität und Verkehrsinfrastruktur. „Aber auch den ebenfalls ohne vorherige Absprache veröffentlichten Start im Juni können wir leider nicht bestätigen. Aus heutiger Sicht halten wir den für mehr als fraglich.“

Erstaunlicherweise bewegen sich die Pünktlichkeitswerte seit Inbetriebnahme durch Go-Ahead auf einem relativ hohen Niveau. „Bis Ende Januar lagen die Werte bei etwa 87 Prozent“, sagt Wienecke. Im Vergleich dazu habe man in den letzten sechs Wochen unter der Regie von DB Regio nur rund 81 Prozent erreicht. Dies zeige, dass das neue Fahrplankonzept seit Dezember „im Grundsatz verlässlich funktionieren kann“. Nicht akzeptabel seien dagegen die vielen, zumeist völlig überraschenden Komplettausfälle einzelner Züge, insbesondere in den Hauptpendlerzeiten. Ursache dafür sei die unvermindert dünne Personaldecke bei Go-Ahead. „Es ist Aufgabe und Pflicht von Go-Ahead, schnell für einen ausreichenden Personaleinsatz zu sorgen und die Verkehre vertragsgemäß zu erfüllen“, sagt der Göppinger Landrat Edgar Wolff. Reserven bei kurzfristigen Krankmeldungen, die es überall gebe, müssten selbstverständlich einkalkuliert werden.

Ausfälle aufgelistet

Im Augenblick gleicht für viele das Bahnfahren auf der Strecke einem Lotteriespiel. „Man kann sich auf nichts verlassen“, sagt Sabine Fohler, die fast jeden Tag zwischen Reichenbach und Stuttgart pendelt. Auf der Heimfahrt entscheide sie sich oft für den Regionalexpress, der sie aber dann nur nach Plochingen bringt. Die Folge: Ihre Heimfahrt dauert 30 Minuten länger. „Die Zeit fehlt mir dann anderswo.“ Wolfgang Baumann hat sich in den vergangenen Tagen die Mühe gemacht, alle Verspätungen und Ausfälle aufzulisten. Nach den Recherchen des Reichenbacher SPD-Ortsvereinschefs scheint es Kommunikationsprobleme zwischen DB-Netz und Go-Ahead zu geben, weil Züge in Plochingen nicht auf den angezeigten Gleisen ein- und ausfahren.

Bürgermeister Bernhard Richter sieht als Kardinalproblem, dass hierzulande alle Züge auf den selben Gleisen fahren und die schnelleren Züge stets Vorrang haben. In anderen Ländern, wo es eine Trennung zwischen Regional- und Fernverkehr gebe, funktioniere der Zugverkehr viel besser. Der Reichenbacher Rathauschef sieht in der neuen ICE-Strecke von Ulm nach Stuttgart deshalb einen großen Vorteil: „Wenn der ICE weg ist, ist das für uns ein Segen.“