Die Stadt, das Rad und das gute Gefühl zu wissen, wo es langgeht. Foto: Unsplash/Jonny Kennaugh

Was die Faszination des Radfahrens ausmacht? Es ist nicht nur das umweltfreundliche, vernünftige Vorwärtskommen von A nach B. Raffiniertes Design und innovative Technik sind die wesentlichen Gründe, weshalb dem Rad die Zukunft der Mobilität gehört.

Neue Fahrräder werden immer schöner, moderner und meist auch teurer. Denn Fahrräder sind begehrt wie selten zuvor in der Geschichte dieses Fortbewegungsmittels. Die große Nachfrage wird durch die Mobilitätswende vor allem in den Städten angefacht: Immer mehr jüngere, umweltbewusste Menschen verzichten aufs Auto und steigen aufs emissionsfreie Rad, oft ein Liebhaberstück.

Musste es einst funktionstüchtig von A nach B rollen, soll das Teil heute individuell und am besten handgefertigt sein. Das Fahrrad ist längst nicht mehr bloß ein Alltagsgegenstand, es ist im besten Falle ein perfekt gestaltetes Statussymbol – und manchmal sogar eine Geldanlage mit Speichen, die man sich wie ein Gemälde an die Wohnzimmerwand hängt.

Sehen die Innenstädte deswegen anders oder gar cooler aus? Die Frage kann mit einem klaren Jein beantwortet werden. Ja, wenn man die schönen Fahrräder betrachtet, gleichgültig, ob es sich nun um elektrifizierte oder konventionelle Modelle handelt. Und Ja, wenn man sich in großen Städten wie Hamburg, München und natürlich Berlin umschaut, wo besonders das radelnde Jungvolk in bestimmten Vierteln auf Schnitt und Haltung achtet und den viel gepriesenen Londoner oder Kopenhagener Radmodestil kopiert.

Noch normal oder schon Subkultur?

Nein hingegen, wenn man die trotz dieser urbanen Ausnahmen weiterhin grassierende Unlust vieler Radfahrer zum modischen Auftritt registriert. Meist können die Radlerinnen und Radler mit ihren teuren Designobjekten rein äußerlich betrachtet kaum Schritt, Pardon: Tritt halten. Das Fahrrad ist eben auch Verkehrs- und Transportmittel, ein Freizeit- und Sportgerät – und ganz oft eine Mischung aus all dem. Also mehr Normalität als Subkultur.

Dennoch hat sich in den letzten Jahren vieles sichtlich geändert. Das Fahrrad wurde tatsächlich zur Sozialprothese für ein urbanes, formal höher gebildetes Milieu. Das bestätigen sogar seriöse Studien.

Der Soziologe Ansgar Hudde von der Universität Köln etwa publizierte im vergangenen Jahr zwei viel beachtete repräsentative Untersuchungen, wonach vor allem höher Gebildete häufiger das Fahrrad benützten. Für Menschen mit niedrigerem Bildungsstatus sei ein Auto häufiger wichtig, um beruflichen Erfolg zu zeigen. Höher Gebildete liefen hingegen weniger Gefahr, als arm oder erfolglos wahrgenommen zu werden, folgert der Soziologe.

Letzteres gilt auch für den Freund, den man nicht ganz zufällig in einem Stuttgarter Radcafé begegnet. Der Anfang 50-Jährige ist perfekt ausgestattet, so als habe er gerade einen Abstecher von der Tour de France gemacht. Er arbeitet bei einem Software-Unternehmen und fährt mit seinem Gravelbike eines teuren Markenherstellers rund 15 000 Kilometer im Jahr.

Oder die Freundin aus Berlin, eine PR-Spezialistin, die alle zwei, drei Tage nach Feierabend eine lange Tour auf ihrem Mountainbike zurücklegt, die sie mit einem Fitness-Tracker aufzeichnet und auf Instagram samt Impressionen und Angaben zu Länge und Streckenprofil postet. Damit auch wirklich jeder und jede mitbekommt, welchen Stellenwert das eigene Körperbewusstsein besitzt.

Doch nicht nur das Umweltbewusstsein macht das Fahrrad heute zum Fetisch einer linksliberalen urbanen Elite. Zum Erfolg dieses Lifestyle-Vehikels trug nicht zuletzt die technische sowie gestalterische Entwicklung des Fahrrads bei. Das Fahrrad ist ja nicht nur ein Gebrauchsobjekt. Es ist vor allem auch Design- und Kultobjekt, bei dem Technik, Funktion und Ästhetik Hand in Hand gehen. Fahrraddesign ist eng verbunden mit der Geschichte technischer Innovationen, seien es die Antriebe, die Federungen, Bremsen, Schaltwerke oder andere Komponenten.

Schmerz und Freude

Wer sich in den Radkosmos begibt, der sieht die Welt anders. Gerade passionierte Rennradfahrer entwickeln für gewöhnlich ein ganz eigenes Sensorium: für die Gerüche des Asphalts, für den Einfluss des Windes, für die Muskelschmerzen beim Klettern, für die freudigen Ängste bei einer rasanten Abfahrt. Und immer spielt die Geometrie des Rahmens, die Belastbarkeit der Bremsen und das Gewicht des Materials eine maßgebliche Rolle.

Schau in der Pinakothek

Diese These vertreten auch die Ausstellungsmacher der absolut sehenswerten Schau „Das Fahrrad. Kultobjekt. Designobjekt“ in der Pinakothek der Moderne in München (noch bis zum 22. September 2024). Siebzig Räder sind ausgestellt, so auch das Laufrad aus dem Jahr 1817 eines gewissen Karl Drais, ein Bonanzarad oder auch ein Exemplar eines Tessiner Startups, das aus dem 3-D-Drucker stammt und für dessen Rahmen recyceltes Polycarbonat verwendet wurde.

Je länger man schaut, desto deutlicher erkennt man den Fortschritt beim verwendeten Material. Holz, Stahl, Aluminium, Magnesium, Titan, Karbon und Kunststoff kamen zum Einsatz. Doch Leichtigkeit war nicht alles, das Rad musste auch stabil sein, beständig. Und: ästhetisch. Zu den reizvollsten Objekten des Industriedesigns gehören zweifelsohne Rennräder, etwa von Togashi oder Cinelli, die auch in München zu bestaunen sind. Sie sind fast zu schön, um mit ihnen zum nächsten Radcafé zu radeln.

Info

Ausstellung
„Das Fahrrad. Kultobjekt. Designobjekt“. Pinakothek der Moderne. Barer Straße 40, München. Täglich 10-18 Uhr , donnerstags 10-20 Uhr, montags geschlossen. Die Schau dauert bis 22. September 2024.