Einer von zwei Bauwagen am Rande des Schurwalds, zu denen die Kinder jeden Morgen mit dem Bus gebracht werden. Fotos: Rapp-Hirrlinger Quelle: Unbekannt

Von Ulrike Rapp-Hirrlinger

Ihre Spielsachen sind Zweige, Blätter und Steine, Matsch, Moos und Tannenzapfen, aber auch Regenwürmer, Froschlaich und Kellerasseln: Im Waldkindergarten beim Esslinger Segelfluggelände im Naherholungsgebiet Jägerhaus erleben Kinder die Natur ganz hautnah und lernen, achtsam mit ihr umzugehen.

Statt sich an pädagogisch wertvollen Spielzeugen auszuprobieren oder an TÜV-geprüften Geräten zu turnen, dürfen die Kleinen in den beiden Gruppen des Waldkindergartens nach Herzenslust toben, klettern, buddeln und die Natur erkunden. „Wir sind praktisch immer draußen“, sagt Kita-Leiterin Regine Heel. Die Begeisterung für das Konzept spricht aus jedem ihrer Sätze: „Ich bin nur Erzieherin geworden, weil es den Waldkindergarten gibt“, lacht die Frau der ersten Stunde. Auch die beiden Mütter Ruth Sievert und Jenny Pagga sind vom Waldkindergarten vollkommen überzeugt. „Sich in der Natur zu bewegen ist das Beste, was man Kindern mitgegeben kann“, sagt Pagga, die mit Elli bereits ihr drittes Kind im Waldkindi hat. Sievert, selbst Erzieherin, erzählt, dass ihre Tochter Clara viel achtsamer mit der Natur umgehe. Auch als Familien seien sie inzwischen viel häufiger draußen unterwegs, berichten die beiden Frauen.

Angst, dass ihre Kinder in der Natur Schaden nehmen könnten, haben beide nicht. Sie seien viel weniger krank und auch motorisch durch die ständige Bewegung im Freien weiter, sagen beide. Die Förster und auch die Erzieherinnen achten besonders auf morsche Äste und andere Gefahrenstellen. „Aber man kann nicht alles sichern. Die Eltern werden über die Gefahren im Wald informiert“, sagt Diana Riediger, Fachberaterin für Kindertagesstätten in der Stadt Esslingen. Und es gibt feste Regeln: Wegen des Fuchsbandwurms darf nichts aus der Natur verzehrt werden und fällt vom Vesperbrot etwas auf den Boden, wird es nicht mehr gegessen. Weil der Waldkindergarten keine Wände und Türen hat, legen die Erzieherinnen „Haltepunkte“ fest, die die Spielbereiche begrenzen. „Das funktioniert ganz prima“, berichtet Heel. Natürlich schneide sich mal jemand beim Schnitzen oder trage eine Schürf- oder Platzwunde davon, „Aber eigentlich ist noch nie etwas Schlimmes passiert“, erzählt Heel.

Bei Wind und Wetter draußen zu sein, bedeutet auch, sich entsprechend anzuziehen. Wetterfeste und strapazierfähige Kleidung ist Pflicht und auch im Sommer wegen der Zeckengefahr lange Hosen. Damit es selbst bei Minustemperaturen niemanden friert, rät Heel zum Zwiebelprinzip. In ihren Rucksäcken bringen die Kinder neben dem Vesper immer eine komplette Garnitur zum Wechseln mit, denn im Waldkindergarten darf man schmutzig und auch nass werden. „Manchmal wünsche ich mir so eine Art Autowaschanlage für Kinder, wenn Clara vor Dreck starrend nach Hause kommt“, lacht Sievert. Doch die zusätzliche Wäsche nehmen die Mütter für den erlebnisreichen Tag ihrer Kinder gerne in Kauf.

„Wir richten uns nach dem Wetter“

Die Kinder fahren morgens gemeinsam mit ihren Erzieherinnen mit dem Bus aus der Stadtmitte zu den beiden Bauwagen am Rande des Schurwalds - auch dies aus ökologischen Erwägungen. Nach dem gemeinsamen Ankommen folgt der Morgenkreis, bevor es heißt: „Ab in den Wald“. Dabei können die Kinder Tiere und Pflanzen entdecken, im Matsch buddeln, schnitzen, auf Baumstämmen balancieren, über Wiesen kullern oder Bächlein umleiten. Sie dürfen auf Bäume klettern und Unterstände bauen. Die Kinder lernen, aufeinander zu achten und sich gegenseitig zu unterstützen. An verschiedenen Punkten gibt es Waldsofas aus Totholz und Ästen, die zum Spielen einladen. Hat es genug Schnee, werden Schneemänner und Iglus gebaut. „Wir richten uns nach dem Wetter und den Kindern, deshalb ist jeder Tag anders“ so die Kita-Leiterin. Manchmal kommen Jäger vorbei und zeigen, was sie erlegt haben, ein andermal hilft der Förster, wenn es gilt, einen Unterstand zu bauen. „Oft beobachten wir Vögel und manchmal finden wir auch tote Tiere oder sehen, wie ein Raubvogel eine Maus fängt“, berichtet Heel. Besonders spannend wird es, wenn auf dem Segelflugplatz mal wieder ein Hubschrauber landet. „Einmal hat die Bergwacht Abseilen geübt, das war besser als Kino“, schwärmt selbst die Erzieherin.

Auch im Waldkindergarten gilt der Orientierungsplan: „Wir haben reichlich Mittel, den umzusetzen“, sagt Heel. Das intensive Erleben der Natur, der Jahreszeiten und Witterungen schulen Sinne und Geist. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt. Da entsteht schon mal ein Swimmingpool für Kaulquappen oder eine kleine Stadt für Kellerasseln. Und auch Lieder, Fingerspiele und das Vorlesen gehören zum Alltag. Selbst die Feste zeugen von der Naturverbundenheit: Windfest, Honigfest, Löwenzahnfest oder Lichterfest wurden schon gefeiert.

waldkindergarten

Der Esslinger Waldkindergarten startete 1997 mit 20 Kindern. Der Impuls dazu kam von einer Mitarbeiterin. Rasch unterstützten Eltern das Vorhaben. Zwei Jahre später kam eine zweite Gruppe hinzu. Jeweils zwei Erzieherinnen und eine Praktikantin betreuen eine Gruppe zwischen 8 und 13.30 Uhr. Getragen wird die Einrichtung von der Stadt Esslingen. Aufgenommen werden Kinder ab drei Jahren aus dem ganzen Stadtgebiet. Die Nachfrage nach den 40 Plätzen ist so groß, dass es eine Warteliste gibt. Der Versuch, einen zweiten Waldkindergarten auf dem Zollberg zu initiieren, scheiterte am geeigneten Gelände. Das Grundstück müsse gut erreichbar sein, genügend Platz für einen Bauwagen und natürlich entsprechend Auslauf für die Aktivitäten im Freien bieten, erklärt Diana Riediger. Im Moment plane die Stadt keinen weiteren Waldkindergarten.