Quelle: Unbekannt

Von Dagmar Weinberg

Beim Kampf um das Städtchen Messines (Mesen) in Westflandern passiert es: Der Esslinger Eugen Wagner wird am 30. Oktober 1914 durch zwei Gewehrschüsse in Hals und Rücken verwundet. Der Schuss in den Rücken hat auch das Burschenband der Tübinger Verbindung Normannia durchschlagen (Foto), das Wagner unter seiner Uniformjacke trägt. Das durchschossene Seidenripsband hat Eugen Wagner Zeit seines Lebens aufgehoben. Martin Beutelspacher zeigt es nun als „Objekt des Monats“ im Gelben Haus am Hafenmarkt. Der Leiter der Städtischen Museen hat sich intensiv mit dem Leben des gelernten Kupferschmieds und der Kriegsbegeisterung der damaligen Studenten beschäftigt.

Das sogenannte „Augusterlebnis“, also die Begeisterung bei Kriegsbeginn, trifft auf eine Bevölkerungsgruppe besonders zu: Die Studenten, die aus dem städtischen Bildungs- und Besitzbürgertum stammen. Der am 12. März 1892 geborene Eugen Wagner entstammt „einer der großen Esslinger Gewerbefamilien, die bei verzinntem Kupfergeschirr und schwerem Hotel-Aluminiumgeschirr in der Branche führend waren“, berichtet der Museumschef. Nach dem Abschluss an der Oberrealschule lernt er Kupferschmied und geht auf die Walz.

Warum sich Eugen Wagner im Herbst 1913 für ein Theologiestudium an der Universität Tübingen einschreibt, ist nicht klar. Er tritt in die evangelische Studentenverbindung Normannia ein, die damals größte Tübinger Verbindung. Sie ist stark württembergisch und vor allem von Theologiestudenten geprägt. Die Normannen sind, wie die meisten Verbindungen in jener Zeit, farbentragend, gehören aber nicht zu den schlagenden Verbindungen. Die Farben Rot-Gold-Weiß trägt man als Seidenripsband von der rechten Schulter quer über die Brust und den Rücken zur linken Taille.

Wie viele seiner Studienkollegen meldet sich Eugen Wagner bereits eine Woche nach Kriegsbeginn freiwillig zu den Waffen. 53 Studenten bilden im Sommersemester 1914 die Aktivitas der Normannia.

Im folgenden Wintersemester sind es nur noch nur noch 13. Dreiviertel der Normannen haben die Universität verlassen. „Die ,korporierte Mentalität’ bei den Studenten im Ersten Weltkrieg verbindet mit der begeisterten Einstellung zum Kampf die Sehnsucht nach einer archaischen Feuertaufe“, erklärt Martin Beutelspacher. In einer Art Initiationsritus habe der Krieg die Chance geboten, „die eigenen Ängste zu bezwingen, sich als Kämpfender und vorwärts Strebender zu beweisen und nicht als zögernder Mann zu erscheinen“, erläutert die Historikerin Ute Wiedenhoff.

Kraft, Tugend und Freiheit

Am 9. August 1914 wird Wagner im 2. Rekruten-Depot des Ersatz-Bataillons des Infanterie-Regiments „Kaiser Friedrich König von Preußen“ (7. Württembergisches) Nr. 125 vereidigt. Fünf Wochen später rückt er mit der 8. Kompanie der 125er ins Feld, zunächst nach Lothringen, dann an die belgische Grenze, wo er verwundet wird. „Über den Halsschuss weiß der Sohn Eugen Fritz, dass sein Vater deswegen an der unteren Kinnlade auf einer Seite keine Zähne mehr hatte“, berichtet der Museumsleiter. Für diese Verletzung erhält Eugen Wagner das Eiserne Kreuz 2. Klasse.

Das Couleurband des Esslinger Soldaten ist in seiner Machart das gängige Format des sogenannten Bierbandes aus Seide - also ein Standardband. Wagners Band ist aber mit goldenem Metallfaden eingefasst und zudem mit dem Zirkel sowie dem Wahlspruch der Normannia „Vigor - Virtus - Libertas“ (Kraft - Tugend - Freiheit) bestickt. „Das hebt dieses Band deutlich vor dem üblichen Burschenband hervor.“ Der Esslinger Stadtarchivar Otto Borst, der ebenfalls Normanne war, hat berichtet, dass „viele der Tübinger Verbindungsstudenten, als sie in den Güterwagen nach Langemark oder an die Marne gefahren wurden, ihre Verbindungsfarben und ihr Band unter dem Soldatenrock getragen haben.“

Das Band ist aber viel mehr als ein Erkennungszeichen und Ausweis, einer bestimmten Verbindung anzugehören. „Durch das Tragen des Bandes unter der Uniform machte man den Krieg zur persönlichen Herzensangelegenheit“, erklärt der Historiker Jens Griesbach, der sich intensiv mit Verbindungsstudenten im Ersten Weltkrieg beschäftigt hat. „Das Band verbürgte die selbst gestellten Anforderungen an Pflichterfüllung und Opferbereitschaft und machte sie gleichzeitig nach außen sichtbar. Es war das Erkennungszeichen einer elitären Gruppe gegen die oft beschworene Schützengrabengemeinschaft.“

Nach sechs Wochen im Feldlazarett wird Eugen Wagner ins Vereinslazarett I in Esslingen verlegt. Das Krankenhaus an der Ebershaldenstraße stand dort, wo heute das Neckarforum steht. Bis Anfang März 1915 bleibt Wagner im Lazarett, wo er auch seine spätere Frau Anna Wagner kennenlernt, die als Krankenschwester Dienst tat. Danach wird er als genesen in die 2. Garnisonskompanie der 125er versetzt. Im weiteren Verlauf des Kriegs steigt Eugen Wagner zunächst zum Feldwebel und schließlich zum Leutnant auf und bekommt im Frühjahr 1917 für seinen Einsatz an der Ostfront das Eiserne Kreuz Erster Klasse.

Am 17. Oktober heiratet er in Schwäbisch Hall seine Anna. Vom Studium scheint er sich geistig bereits weit entfernt zu haben. Denn gegenüber seinen Kommilitonen spricht er vom „Umsatteln zu altehrwürdigem Kupferschmiedehandwerk“, hat Martin Beutelspacher herausgefunden. Bevor sich Eugen Wagner aber seiner beruflichen Zukunft zuwenden kann, geht es für den Kommandeur der 3. Maschinen-Gewehr-Kompanie weit nach Südosten ans Asowsche Meer, östlich der Halbinsel Krim. Dort erlebt der Esslinger Soldat das Kriegsende. Zwei Tage vor Weihnachten marschieren Eugen Wagner und seine Kompanie in Ulm ein und werden im Januar 1919 in Mergentheim demobilisiert.

Schachtel mit Erinnerungsstücken

Sein Studium nimmt Eugen Wagner nicht mehr auf. Er tritt in den Familienbetrieb ein und folgt dem 1933 gestorbenen Vater als Firmenchef. „Mit seinem Schwager Hanskarl Riedel leitet er die mittlerweile längst als industriell zu bezeichnende Firma bis in die späten 1960er-Jahre“.

Sein durchschossenes Burschenband hat Eugen Wagner mit weiteren Memorabilien - darunter die Erkennungsmarken und diverse Orden sowie seine Frackkette - einfach in einer großen runden Schachtel aufbewahrt. „Solche Erinnerungsstücke sind etwas anderes als Orden, Dokumente oder Beutestücke“, sagt der Esslinger Museumsleiter. „Denn sie zeigen vor allem, wie nahe der Tod war.“

Die Eßlinger Zeitung begleitet als Kooperationspartnerin das Stadtarchiv und das Stadtmuseum bei der Präsentation von 52 „Objekten des Monats“. Sie werden als Teil des historisch-kulturellen Langzeitprojekts „52 x Esslingen und der Erste Weltkrieg“ im Gelben Haus am Hafenmarkt präsentiert. Die wachsende Ausstellung der Objekte, die aus öffentlichem und privatem Besitz zusammengetragen werden, will von August 2014 bis Oktober 2018 auf die Geschichte des Ersten Weltkriegs speziell aus Esslinger Perspektive aufmerksam machen.

Unter der Überschrift „Studenten an der Front: Durchschossenes Couleurband“ beschäftigt sich Martin Beutelspacher am Dienstag, 5. Juli, ausführlich mit dem Leben Eugen Wagners und der Rolle der Studenten. Der Vortrag (Eintritt frei) beginnt um 18 Uhr im Stadtmuseum am Hafenmarkt.