Im Nordbahnhofsviertel will die Vonovia Mieten teils kräftig erhöhen. Foto: Lg/Kovalenko - Lg/Kovalenko

Das Immobilienunternehmen Vonovia plant in Stuttgart die Modernisierung Hunderter günstiger Wohnungen. Die Mieten steigen danach kräftig. Es hagelt Vorwürfe und Proteste.

StuttgartUrsula Kienzle blickt fassungslos auf das Schreiben in ihrer Hand. Ihr Vermieter, das Bochumer Wohnungsunternehmen Vonovia, teilt ihr mit, dass das Hochhaus in der Friedhofstraße, in dem sie lebt, modernisiert wird. „Unsere Kunden sollen sich bei Vonovia wohlfühlen“, heißt es in dem Brief, den die 80 Mieter bekommen haben. Von Juni bis Februar soll einiges gemacht werden: von der neuen Sprechanlage bis zum Austausch der Aufzugskabinen. Doch Begeisterung ruft das bei den Bewohnern des Gebäudes am Rande des Nordbahnhofsviertels nicht hervor. „Das ist eine Luxussanierung, die die Kosten hochtreibt“, sagt Kienzle. Teile der Baumaßnahmen werden danach auf die Mieter umgelegt.

Die Rentnerin soll künftig statt 417 Euro Kaltmiete für ihre 53 Quadratmeter große Wohnung 653,40 Euro bezahlen. Eine Steigerung um 63 Prozent. „Das kann ich mir nicht leisten. Ich wüsste dann nicht, wohin, denn eine andere günstige Wohnung zu finden ist aussichtslos.“ So geht es hier vielen. Für die Rentnerin, die in den 17 Jahren an dieser Stelle diverse Eigentümerwechsel erlebt hat, ist die Vonovia „die schlimmste Heuschrecke von allen“. Und sie ärgert sich über die Politik: „Wohnen ist ein Grundbedürfnis. Solchen Konzernen müsste man das Handwerk legen.“ Auch Stuttgarts OB Fritz Kuhn kommt nicht gut weg: „Bei dem passiert in Sachen Wohnungsmarkt gar nichts.“

Vonovia plant nicht nur eine Modernisierung in der Friedhofstraße. Von ihren in Stuttgart bewirtschafteten 4606 Wohnungen sollen allein in diesem Jahr 279 modernisiert werden – auch in der Augsburger Straße samt Aufstockung der Gebäude oder in der Nagoldstraße. Das Problem: Aus günstigen Wohnungen, die in Stuttgart Mangelware sind, werden teure.

Derzeit formiert sich bundesweit Protest. Am heutigen Dienstag, dem Vorabend der Hauptversammlung der Vonovia, sind an mehreren Orten Kundgebungen angekündigt. In Stuttgart rufen eine Mieterinitiative und der Mieterverein um 18 Uhr zur Protestversammlung vor dem Hochhaus Friedhofstraße 11 auf. Vorwürfe gibt es viele. So soll sich das Unternehmen nicht an die Mietpreisbremse halten und Wohnungen überteuert anbieten. „Bei der Vonovia geht es um Maximierung der Rendite auf Kosten der Mieter“, sagt der Mietervereinsvorsitzende Rolf Gaßmann. „Für die Menschen, meist einfache Leute und Rentner, ist das eine Katastrophe. Die will man raushaben.“

Rechtlich dagegen vorzugehen ist schwierig. Bei Modernisierungen legt der Mieterverein oft Sozialwiderspruch gegen die Mietsteigerungen ein. Ein schwieriger Weg. Selbst bei Überschreiten der Mietpreisbremse gibt es aber kaum Handhabe: Der Mieter, der eben erst eingezogen ist, müsste sofort gegen seinen Vermieter vorgehen. Der Mieterverein ist nicht klageberechtigt. Es handelt sich zudem um keine Ordnungswidrigkeit, es ist kein Bußgeld vorgesehen. Das bestätigt man beim Amt für Liegenschaften und Wohnen: Der Mieter selbst müsse handeln. Das tut aber kaum einer. Der Vonovia sei bisher kein einziger Verstoß nachzuweisen gewesen. Bei der Vonovia handelt es sich mit weitem Abstand um das größte Wohnungsunternehmen in Deutschland. Der Bestand liegt bei 350 000 Einheiten. Sie ist im Südwesten, spätestens seit dem Kauf der ehemaligen LBBW-Wohnungen vom ersten Käufer Patrizia, stark vertreten.

„Ein Wohnungsunternehmen dieser Größe gab es früher in Deutschland nicht“, sagt Daniel Zimmermann. Er ist beim Deutschen Mieterbund als Koordinator für große Wohnungsunternehmen für die Belange der Mieter von Vonovia und Co. zuständig. Insgesamt sei der Sektor professioneller und börsennotierter Vermieter deutlich gewachsen, sagt Zimmermann. „Das Kartellamt hat bei diesen großen Fusionen nie Bedenken gehabt“, sagt er. Doch für ungefährlich hält der Fachmann diese Entwicklung keineswegs. Zwar reiche der Marktanteil von Vonovia nicht aus, um insgesamt eine beherrschende Stellung einzunehmen, doch das Unternehmen kaufe besonders häufig Bestände an günstigen Wohnungen geballt auf. „In einzelnen Quartieren oder Stadtteilen sind die Auswirkungen dann natürlich sehr deutlich zu spüren“, sagt der Mann vom Mieterbund.

Dabei seien Überschreitungen der Mietpreisbremse nicht das Hauptphänomen. „Das eigentliche Problem ist, dass Vonovia den großen Modernisierer gibt“, erklärt Zimmermann. „Die Mietpreisbremse gilt nicht, wenn eine Wohnung energetisch saniert wird.“ Und: „Elf Prozent der Kosten lassen sich später jedes Jahr auf die Mieter abwälzen.“ An den kräftig erhöhten Mieten der sanierten Objekte verdiene das Unternehmen gutes Geld, sagt Zimmermann. Den Bewohnern bleibe in aller Regel nur die Option, sich auf einem überhitzten Markt wie Stuttgart vergeblich nach einer günstigeren Bleibe umzusehen oder die Mietererhöhung zähneknirschend hinzunehmen.

„Uns ist bewusst, dass jede Modernisierung mit Belastungen für unsere Kunden verbunden ist“, sagt Vonovia-Sprecherin Bettina Benner. Man arbeite „hart daran, sowohl die Bautätigkeit als auch die mit einer Modernisierung verbundene Mietsteigerung so kundenorientiert wie möglich zu gestalten und zu erläutern, was wir tun“. Die Vorwürfe weist das Unternehmen zurück: Man halte sich an die gesetzlichen Vorgaben, auch bei der Mietpreisbremse. „Nach Modernisierungen bleiben wir im Durchschnitt deutlich unter der Umlage von elf Prozent, die der Gesetzgeber derzeit maximal vorsieht. Vonovia führt keine Luxusmodernisierungen durch“, sagt die Sprecherin. Außerdem gebe es ja durch die Arbeiten eine qualitative Verbesserung. Und: „Wir möchten, dass unsere Mieter bei uns wohnen bleiben können.“ Persönliche und wirtschaftliche Härten im Zusammenhang mit der Modernisierung nehme man „sehr ernst“ und versuche, „im Einzelfall Lösungen dafür zu finden“. Ob das Ursula Kienzle und vielen anderen Mietern in Stuttgart hilft, bleibt offen. Neben höheren Kosten denkt sie derzeit vor allem an eines: „Mir graust es vor dem ganzen Lärm und Dreck.“

Mietpreisbremse

Gesetz: Die Mietpreisbremse gilt seit 2015. Sie setzt fest, dass die Miete nach einem Mieterwechsel nicht mehr als zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen darf. Als Referenz gilt der Mietspiegel. Experten halten den Mietspiegel aber als Bezugsgröße für ungeeignet. Das Problem: Darin werden die Veränderungen von Mietverträgen der vergangenen vier Jahre ausgewertet. Dieser Zeitraum gilt als zu lang, um ein aktuelles Bild des Marktes zu zeichnen.

Ausnahmen: Das Gesetz gilt nicht immer. Ausnahmen gibt es für Neubauten und für Wohnraum, der jüngst saniert wurde. Eine weitere Ausnahme greift, wenn bereits der Vormieter deutlich mehr als die ortsübliche Vergleichsmiete bezahlt hat. Dann darf der Vermieter das Preisniveau halten.

Problem: Auch wenn die Miete deutlich über den gesetzlichen Vorgaben liegt, machen Mieter von der Preisbremse kaum Gebrauch. Experten glauben, dass dies am Mechanismus des Gesetzes liegt. Denn um die Bremse in Kraft zu setzen, muss der Mieter selbst aktiv werden. Im Falle einer Überschreitung muss er mit einer Klage gegen seinen neuen Vermieter und damit gegen den gerade von ihm selbst unterschriebenen Mietvertrag vorgehen. (hah)