Frost und Rost haben mit der Zeit die Kreuze von den Grabmälern gesprengt. Foto: tefanie Schlecht

Auf einem abseitigen Friedhof liegen berühmte Persönlichkeiten begraben. Eine abgesperrte und moosüberwachsene Brücke führt zu einer völlig zugewachsenen Insel. Die Anlage ist Teil eines ehemaligen Parks, in dem einst der Adel Natur und Kultur genoss.

Kinderlachen ertönt von einem Spielplatz in der Nähe, Vögel zwitschern in den von Efeu umwucherten Bäumen, die eigenen Schritte klingen gedämpft auf dem mit nassbraunem Laub bedeckten Boden. Knarzend öffnet sich ein Türchen und offenbart hinter einem kleinen Holzzaun den Blick auf eine Reihe von Gräbern. Zwei bronzene Grabtafeln sind nahezu vollständig von Moos und Blättern verdeckt. Auf den Grabsteinen sind viele Inschriften kaum noch zu entziffern. Wäre da nicht die Infotafel am Eingang des kleinen Friedhofs, wüsste wohl kaum jemand, wer hier in unmittelbarer Nähe zum Dätzinger Schloss begraben liegt.

Aber auch mit dieser Orientierungshilfe bleibt der alte Adelsfriedhof für einen Großteil der Passanten verborgen. Die meisten joggen, radeln oder spazieren achtlos wenige Meter unterhalb davon auf der Ulmenallee vorbei, ohne daran zu denken, dass dies einmal eine prunkvolle Parkanlage im englischen Stil war: ein Lustgarten mit Gewächshäusern, einem offenen „Gartensaal“ und einem Freilichttheater. Heute lässt sich nur noch erahnen, dass auf der völlig zugewachsenen Insel in der Mitte des kleinen Teichs einmal Bühnenstücke, neckische Ritterspiele und womöglich sogar Carl Maria von Webers Oper „Der Freischütz“ aufgeführt wurden – zumindest gibt es dafür einige Anhaltspunkte.

Das Grab von Stephanie von Raumer, der Ehefrau von Reichsminister Hans von Raumer. /Stefanie Schlecht

Manche heute Erwachsene haben als Kinder noch auf der Insel gespielt

Heute verbindet eine völlig von Moos überwachsene Holzbrücke die Insel mit der übrigen Anlage. Manche Erwachsene, die in Grafenau groß geworden sind, haben als Kinder dort gespielt, weswegen Brücke und Insel immer wieder neugierig-sehnsuchtsvolle Blicke auf sich ziehen. Allerdings ist das morsche Bauwerk schon seit Jahren abgesperrt und die Insel nicht mehr zugänglich.

„Eigentlich ist das ganze Areal ein vergessener Ort“, sagt Kuno Schlichtenmaier. Der Grafenauer Galerist setzt sich als Vorsitzender des Fördervereins Schloss Dätzingen für den Erhalt der einstigen Residenz des hochrangigen Malteserordenkomturs Freiherr Johann Baptist Anton von Flachslanden (1739 bis 1822) ein. Nur wenige wissen heute wohl noch, dass hier einmal der Genaralkapitän der Galeeren des Malteserordens und Prior der „Englisch-Bayrischen Zunge“ residierte und diesen Park bauen ließ.

Über das Schloss und den vor 250 Jahren angelegten Park weiß Schlichtenmaier viel zu erzählen. Zum Beispiel, dass sich unter dem kleinen Hügel am oberen Rand der Anlage einmal ein Eiskeller befand, in dem die Schlossherrschaften ihre Speisen kühlten. Oder dass vom Teich ein schmaler Kanal zu einem kleinen Faun-Tempel geführt hatte.

Auch das Schild, das den Weg zum Friedhof weist, könnte etwas Auffrischung vertragen /Stefanie Schlecht

Damit dieser Ort zwischen Schloss und dem heutigen Dätzinger Friedhof nicht noch weiter dem Vergessen und der Verwitterung anheimfällt, will der Förderverein den Adelsfriedhof in den kommenden Jahren möglichst mit Unterstützung des Landesdenkmalamts restaurieren lassen.

Der Schlossherr war Generaladjutant des Württembergischen Königs

Schließlich liegen hier einige sehr berühmte Persönlichkeiten begraben, insbesondere die Nachfahren der Familie von Dillen-Bülow-Putlitz. Deren Ahnherr, Carl Ludwig Emanuel von Dillen (1777 bis 1841), diente einst dem Württembergischen König Friedrich als Generaladjutant und später als General-Ober-Intendant der königlichen Schlösser und Vize-Oberstallmeister.

Das Geschlecht der von Bülows ist auf dem Friedhof prominent vertreten. /Stefanie Schlecht

„Er war es auch, der diesen Friedhof anlegen ließ“, sagt Schlichtenmaier. Zu seiner anfänglichen Verwunderung tat der Graf von Dillen dies bereits zu einem recht frühen Zeitpunkt, nämlich um das Jahr 1820 – zwei Jahrzehnte vor seinem Tod. Kurios sei auch, dass die allererste Person, die auf diesem Adelsfriedhof begraben wurde, die Frau eines württembergischen Hofdichters war. „Hier, ganz am Rand, das Grab mit der Nummer 12“, zeigt Schlichtenmaier auf eine kaum noch entzifferbare und nahezu vollständig mit Herbstlaub bedeckte Grabplatte mit Bronzetafel.

Die Frau, die hier seit 1824 unter der Erde liegt, hieß Luise von Matthisson. Sie war die Frau des heute kaum mehr bekannten Dichters Friedrich von Matthisson, vor allem aber war sie die Lehrerin von Friedrich von Dillen, dem Sohn des Grafen. „Anscheinend hatten er und die Familie die Lehrerin sehr geschätzt“, vermutet Kuno Schlichtenmaier.

Wer sich dafür interessiert, für den hält der Friedhof jede Menge Geschichte bereit. Zum Beispiel liegen hier Angehörige des preußischen Adelsgeschlecht der von Bülows – darunter Alfred von Bülow (1851 bis 1916), ein Bruder des deutschen Reichskanzlers Fürst Bernhard von Bülow.

Letzte Ruhestätte für ehemaligen Reichsminister der Weimarer Republik

Etwas unterhalb wurde mit Hans von Raumer, dem Schwager der letzten Schlossherrin Adrienne von Bülow, sogar ein ehemaliger Reichswirtschaftsminister hier beerdigt. In der Weimarer Republik war der Politiker und Industrielle in der Regierung von Reichskanzler Gustav Stresemann im Amt. Zuvor hatte er 1918 unter anderem maßgeblichen Einfluss auf die Gründung der Zentralarbeitsgemeinschaft (ZAG) – einem aus heutiger Sicht bahnbrechenden Bündnis zwischen Industrie und Gewerkschaften.

Auf diese morschen Holzplanken sollte man sich besser nicht mehr wagen. /Stefanie Schlecht

Vom historischen Glanz der hier begrabenen Persönlichkeiten ist heute zwischen Moos und zerbrochen am Boden liegenden Kreuzen nicht mehr viel zu sehen. Dennoch übt dieser fast vergessene Ort noch immer eine große Faszination aus. Wenn Kuno Schlichtenmaier und der Förderverein im Frühjahr bei ihrem Treffen mit dem Landesdenkmalamt Erfolg haben, wird vielleicht auch einiges vom alten Glanz der von Dillens und von Bülows hierher zurückkehren.

Geheimnisvolle Orte in der Region

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Der Begriff beschreibt verlassene Orte, oftmals handelt es sich um aufgegebene, dem Verfall überlassene Gebäude. Nicht immer haben diese historische Bedeutung. Gemein ist ihnen jedoch ihre geheimnisvolle Aura. Die Bezeichnung Lost Places ist ein Pseudoanglizismus, der sich im deutschsprachigen Raum etabliert hat.

Serie
In loser Folge stellen wir in den kommenden Wochen Lost Places in der Region vor, erzählen ihre Geschichte und dokumentieren fotografisch ihr morbides Ambiente. Manche dieser Orte sind offen sichtbar, andere verfallen – teils seit Jahrzehnten – unbemerkt von der Öffentlichkeit.