Grün ist hier nicht mehr viel in England Foto: AFP/HENRY NICHOLLS

Maggie Thatchers Werk: Großbritannien ist das einzige Land in Europa, dessen Wasserwirtschaft komplett privatisiert wurde. Jetzt ist alles extra-dry in England – und die Sache rächt sich.

Nun hat offenbar selbst Nessie Probleme, sich unter Wasser zu halten. Loch Ness, im hohen Norden Schottlands und fast schon aus der Welt, meldet alarmierend sinkende Wasserstände, wegen anhaltender Trockenheit.

Jüngst glaubten Touristen wieder einmal ganz klare Umrisse des legendären Monsters nahe der Wasseroberfläche ausgemacht zu haben: Niedriger denn je jedenfalls ist, seit es Aufzeichnungen dieser Art gibt, in diesem Juni der Pegel des größten und tiefsten Gewässers im Vereinigten Königreich.

Wasserlage äußerst alarmierend

Einzelne kleine Buchten an den Ufern des Sees seien „schon fast ausgetrocknet“, meint alarmiert der Loch-Ness-Forscher Adrian Shine. Außer um Loch Ness sorgt sich das schottische Umweltamt um eine ganze Reihe von Flüssen und Seen in Schottland. Dass das Wasser „schon so früh in diesem Sommer“ knapp werde, sei „äußerst alarmierend“. Die nächsten Monate dürften „ganz schön schwierig“ werden. Daran änderten auch gelegentliche Wolkenbrüche nichts, die es immer noch gibt. Ein bisschen ist auch Schottland noch Schottland.

Wenn aber die regenreichsten Gebiete Großbritanniens schon solche Schwierigkeiten haben, was steht dann, in einer Phase anhaltender Trockenheit und Hitze, den zunehmend um seine Wasserbestände ringenden Gebieten Süd- und Mittelenglands bevor? Mitte Juni war der Oberlauf des River Derwent im Lake Distrikt bereits so gut wie ausgetrocknet. Und diese Gegend im Lake District – ein Naturschutzgebiet und Gebiet wissenschaftlichen Interesses – gilt traditionell als „die nasseste Ecke Englands“, wie man so sagt hierzulande. Gegenwärtig freilich büßt ganz Britannien seinen Ruf als feuchtfröhliche Insel, als Land der täglichen Schauer und der gern karikierten Regenschirme ein.

Sussex und Kent mit Abholstationen

Vorige Woche zum Beispiel waren Tausende von Menschen in den südlichen Grafschaften Kent und Sussex tagelang ohne Wasserversorgung. Trinkwasser wurde eilends über „Abholstationen“ ausgeteilt. Mehrere Schulen mussten schließen, weil die Toilettenspülung nicht mehr funktionierte. In vielen Haushalten sank der Wasserdruck Tag für Tag.

Von kommender Woche an dürfen Gärten in Kent und Sussex nicht mehr mit Wasserschläuchen oder Sprinkleranlagen, sondern nur noch mit Gießkannen bewässert werden. Sollte das nicht genug Wasser einsparen, sind weitere Maßnahmen geplant. Betrieben, die viel Wasser verbrauchen, könnte die Zulieferung gekürzt werden. Im Extremfall soll Wasser auch für Normalbürger rationiert werden. Standrohre würden an strategischen Stellen in Straßen errichtet, an denen man sich dann sein Trinkwasser abholen müsste.

Wer begann mit der Privatisierung?

Southern Water, eins der regionalen Wasserversorgungs-Unternehmen, warnte letzten Donnerstag, dass die Nachfrage nach Wasser in Kent das verfügbare Angebot bereits übertreffe. Der Wasserbedarf habe vorige Woche das höchste Ausmaß seit der Hitzewelle des Vorjahres erreicht.

Eine andere Gesellschaft, South East Water, sieht es ebenso: „Diese Situation hat sich sehr viel schneller als im Vorjahr entwickelt.“ Gegenwärtig stehe „wenig Regen für diesen Sommer“ zu erwarten – was es immer schwerer mache, „all unsere Konsumenten kontinuierlich mit Wasser zu versorgen“.

Schon dass in diesem Zusammenhang von „Konsumenten“ und von „Angebot und Nachfrage“ die Rede ist, bringt freilich immer mehr Briten auf die Palme. Seit Premierministerin Margaret Thatcher 1989 die Wasserversorgung im Lande privatisierte und das Geschäft zehn regional operierenden Unternehmen übertrug, ist Großbritannien das einzige Land in Europa, in dem Wasser vollständig in privater Hand und somit eine kommerzielle Ware ist.

Das hat gerade in den letzten Jahren Empörung ausgelöst. Nach Berechnungen von Universitätsexperten sollen die betreffenden, rein profitorientierten und in ihren jeweiligen Regionen konkurrenzfrei operierenden Betriebe seit der Privatisierung über 60 Milliarden Pfund an ihre Aktionäre ausgeschüttet haben, während vielerorts ungenügend investiert wurde ins Versorgungssystem.

So geht zum Beispiel ständig ein Gutteil des Wassers wegen Lecks und Leitungsschäden verloren. Dennoch flossen in jüngsten Jahren offenbar 95 Prozent aller Wasserprofite statt irgendwelchen Verbesserungsmaßnahmen den Aktionären zu.

Zugleich leidet Großbritannien allerdings auch seit Längerem an anderen, strukturellen Problemen, die vor allem mit der Landwirtschaft, mit der steten Entwässerung der Böden und mit Flussverschmutzungen zu tun haben. Neue Modelle „rücksichtsvollerer“ Bewirtschaftung des Landes und der Anlage natürlicher Wasserreservoire werden derzeit diskutiert und erprobt.

Dies und ein größeres Bewusstsein von erforderlichen Wassereinsparungen sei allerdings auch dringend nötig, meinen britische Experten. Klimawandel-Projektionen zeigten, „dass die trockenen Sommer in England um bis zu 50 Prozent zunehmen werden“, mahnt der prominente Umweltautor Tim Smedley. „Zugleich nimmt die Menge verfügbaren Wassers um mindestens 10 bis 15 Prozent ab.“