Auf dem Ebershaldenfriedhof wird am häufigsten gestohlen. Foto: Roberto Bulgrin

Diebstähle sind kein Kavaliersdelikt – vor allem, wenn der Tatort ein Friedhof ist. Ein Angriff auf die Pietät: Betroffene fühlen sich in ihrer Privatsphäre und ihrer Trauer verletzt. Trotzdem passiert es im Kreis Esslingen immer wieder.

Eine erschreckende Entdeckung machte Familie Gähr Anfang der Woche auf dem Friedhof Berkheim: Von Sonntag auf Montag habe ein Unbekannter eine goldene Sonne aus dem Grabstein der vor dreieinhalb Jahren verstorbenen Mutter von Maria-Elisabeth Gähr entfernt. Ein Schmuckstück mit großem emotionalem Wert für die Familie: „Die Sonne besteht aus den Eheringen meiner Mutter und meines 1975 verstorbenen Vaters“, sagt Gähr. Die eingesetzten Edelsteine habe die Mutter über die Jahre vom späteren Lebensgefährten geschenkt bekommen. Die Nichte von Maria-Elisabeth Gähr suchte in den sozialen Medien nach Unterstützung und veröffentlichte Bilder von dem entwendeten Schmuckstück und dem beschädigten Grabstein. Sie rief Zeugen auf, sich zu melden und hatte deutliche Worte an den unbekannten Dieb.

Überall ein Problem

Friedhofsdiebstähle sind kein Einzelfall. Im Gemeindeblatt von Wendlingen stand beispielsweise vor wenigen Monaten ein deutlicher Hinweis: „In letzter Zeit häufen sich wieder die Beschwerden von Grabpflegenden, dass die frisch angepflanzten Blumen und Sträucher von den Gräbern gestohlen werden“, hieß es darin.

30 000 Grabstätten kann man nicht überwachen

Thomas Zink, Abteilungsleiter für Friedhöfe und Bestattungen im Grünflächenamt in Esslingen, kennt das Problem. „Wenn das passiert, ist es eine schreckliche Sache für Angehörige“, sagt Fink. Am öftesten würden Blumen gestohlen. In einem Fall sei dies so häufig vorgekommen, dass ein Angehöriger Zink weinend gefragt habe, ob man das Urnengrab seiner Frau verlegen könne. Vor allem am Hauptweg des Ebershaldenfriedhofs gebe es durch die zentrale Lage und die vergleichsweise hohe Anzahl an Passanten die meisten Fälle. Etwas dagegen tun könne man kaum. „Wir haben in Esslingen neun Friedhöfe mit ungefähr 30 000 Grabstätten. Das lässt sich nicht überprüfen“, so Zink.

Auf kleineren Friedhöfen gebe es weniger Fälle. „Dort gibt es mehr Sozialkontrolle. Die Hemmschwelle ist einfach größer, weil man sich kennt“, vermutet Zink. Zugenommen habe das Problem über die Jahre aus seiner Sicht jedoch nicht. „Es kommt in Wellen. Es ist immer gleich unangenehm und jeder Fall ist zu viel.“

Die Sonne tauchte wieder auf

Völlig unabhängig vom Wert des Gestohlenen, sollten sich Geschädigte laut Max-Niklas Wünsche vom Polizeipräsidium Reutlingen immer Anzeige bei der Polizei erstatten: „Die Polizei ist immer der erste Ansprechpartner für Opfer einer Straftat.“ Die Täter zu finden, sei aber oft schwierig. Laut Wünsche werden Ermittlungen dadurch erschwert, dass es oft keine Zeugen gibt und die genaue Tatzeit nicht bekannt ist.

Im Falle der Familie Gähr gab es ein seltenes Happy-End. Einen Tag nach dem Aufruf im Internet wurde die Sonne unweit des Grabsteins wiedergefunden. Maria-Elisabeth Gähr geht trotzdem nach wie vor von einem Diebstahl aus – zumindest von einem versuchten. „Ich weiß nicht, ob der Dieb gestört wurde und die Sonne fallen ließ oder ob er sie wegen der medialen Aufmerksamkeit zurückgebracht hat“, sagt sie. Einfach rausfallen habe das goldene Kleinod aufgrund der speziellen Befestigung durch einen Steinmetz nicht können. Auch die Entfernung zum Grabstein zeige, dass es jemand bewegt haben müsse. Sie sei jedenfalls überglücklich. „Es wäre furchtbar gewesen, wenn es nicht mehr aufgetaucht wäre. Wenn ich an meine Mutter denke, habe ich oft das Bild im Kopf, wie sie mir ihre Hand gab, an der sich der Ehering befand.“ Die Sonne werde aber nicht mehr in den Grabstein eingesetzt. Sie werde gerahmt und an die Wand gehängt.