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Aufstieg und Fall des Patriarchen Adolf Merckle, Gründer des Generika-Riesen Ratiopharm, hat Felix Huby und Hartwin Gromes zu ihrem Stück „Die Stunde des Unternehmers“ inspiriert. Uta Koschel hat die Uraufführung am Landestheater Tübingen mit poetischem Schauspielertheater in Szene gesetzt.

TübingenStaunend steht der kleine Junge mit seinem Opa vor den riesigen Regalen der Drogerie. Schon als Kind träumt der schwäbische Unternehmer Walter Weicker davon, einmal im ganz großen Geschäft mitzuspielen. Dieses Ziel erreicht der geschäftstüchtige Schaffer. Er gründet einen weltweit verzweigten Konzern. Doch als Ende des Jahres 2008 die Finanzblase angesichts der Krise platzt, gerät sein Lebenswerk in Gefahr und er begeht Suizid. Krimiautor Felix Huby und der Theaterwissenschaftler Hartwin Gromes, der in Ostfildern-Kemnat lebt, betrachten in ihrem neuen Stück „Die Stunde des Unternehmers“ das Leben und Sterben eines Patriarchen. Dass das Schicksal des Ratiopharm-Gründers Adolf Merckle dabei mehr als eine Quelle der Inspiration war, ist offensichtlich. Regisseurin Uta Koschel hat das Stück nun am Landestheater Tübingen (LTT) uraufgeführt. Flüchtigkeiten, die das allzu faktenreich und deshalb grob gezeichnete Drama des Unternehmers aufweist, füllt die Chefregisseurin des Theaters Heilbronn mit ihrem poetischen Schauspielertheater.

Rasche Wechsel

Mit ihrer radikalen Zeitraffer-Dramaturgie erzeugen Huby und Gromes eine Dynamik, die so fesselnd ist wie ein Krimi. Da kann und will der 80-jährige Huby, Schöpfer der Kommissar-Bienzle-Romane, nicht aus seiner Haut. Zugleich geht es dem Autorenduo aber darum, die historische Wirklichkeit zu reflektieren und auf die Bühne zu bringen. Dass die Fülle der Fakten nicht zum Panoptikum gerät, glückt Koschel, indem sie die Spielerinnen und Spieler immer wieder inne halten lässt. Tom Muschs Bühne ist von silbernen Glitzervorhängen begrenzt. In diesem Traumraum vollziehen sich die Wechsel schnell. Wie brüchig der wirtschaftliche Erfolg in Zeiten windiger Aktiengeschäfte sein kann, spiegelt das visuelle Konzept des Glitzerns und Flirrens stark.

Aufstieg und Fall des Familienunternehmers, der mit seinem schwäbischen Unternehmergeist zum Chef eines Weltkonzerns aufsteigt, zeigt der Schauspieler Gilbert Mieroph brillant. Die Rolle des kleinen Jungen, der mit seinem Opa an den Regalen der verstaubten Drogerie nachschaut und unter der Pudelmütze vom Großunternehmen träumt, verkörpert er ebenso überzeugend wie den Part des Patriarchen, der die Geschicke des Weltkonzern lenkt. Mit „seinem“ Betriebsrat trinkt er Bier statt Champagner – und den lässt Stephan Weber eine Gewerkschaftspolitik treiben, die der Firma nutzt. Dass Weicker immer etwas Kind bleibt, zeigt eine Szene im Skiurlaub. Weil es am Lift in den Alpen nicht vorwärts geht, kauft er Tochter Gudrun die ganze Anlage. Die fordert lautstark „Schneekanonen“, weil der Schnee längst taut – so viel Geschäftssinn gefällt dem Papa.

Mieroph suhlt sich in der Rolle des allmächtigen Gönners. Als er das nicht mehr sein darf, zerbricht sein Selbstbild. Seine unternehmerische Philosophie bringen Huby und Gromes in ihrem Text stark auf den Punkt: „Was wissen Sie denn von Lebensstandard? Meine Direktoren fliegen Business Class, ich selber fahre zweiter Klasse – mit der Bahn. Noch heute fahre ich mit dem Fahrrad in meinen Betrieb. Wo man sparen kann, wird bei mir gespart! Man muss bescheiden bleiben, auch im Erfolg, hab ich immer gesagt.“ Abgesehen von solcher Selbtserkenntnis Walter Weickers setzen die Autoren auf Dialoge mit schnellen Wechseln, wie man sie aus dem Film kennt.

So bleiben die anderen Figuren bewusst schemenhaft: Mattea Cavic entwickelt den Part des neureichen Mädchens, das die dunkle Seite der Geschäfte nicht sehen will und zu ihrem geliebten Papa aufmuckt, stark. Dagegen geht der Sohn früher auf Konfrontation und damit seine eigenen Wege. Daniel Holzberg legt seine Rolle komplex an. Den Widerstand gegen die Werte des Vaters zeigt er ebenso wie den Geist der neuen Zeit, die nach schnellem Geld giert. Jennifer Kornprobst als gnadenlose Bankerin steht für die neue Generation von Geschäftsleuten, denen Freundschaft nichts mehr zählt. Wenn die Bonität nicht stimmt, gibt es einfach keine Kredite mehr.

Von Abba bis Whitney Houston

Zerrissen zwischen ihren wertkonservativen Eltern und dem Ehemann, der sie von allen Geschäften fern halten will, ist die Frau des Patriarchen. Zunehmend legt Susanne Weckerle den Schwerpunkt auf die selbstbewusste Kraft ihrer Unternehmersfrau. Sie emanzipiert sich von dem Mann, der sie krampfhaft aus allen Geschäften heraushält. Doch es schmerzt sie persönlich, dass sich zu den Silvesterfeiern der Familie immer weniger der so genannten Freunde einfinden. Mit Grießklößchensuppe, selbst gekocht und aufgetragen, feiert sie Festtage im trauten Familienkreis. Weckerle zeigt aber auch die Gattin, die ihrem Mann den Rücken stärkt und seinen Ruhm und Profit so erst möglich macht. Mit dem Geld ihrer Eltern begründet sie den Erfolg.

Obwohl Huby und Gromes dramaturgisch mehr Möglichkeiten ausreizen könnten, ist „Die Stunde des Unternehmers“ ein zeitgenössisches Stück, das berührt. Mit Musik von Abba bis Whitney Houston peitscht Regisseurin Koschel die Handlung voran. Mit ihrem leisen, poetischen Erzähltheater schafft sie den Spagat, den schwäbischen Unternehmen in seiner tiefen Verzweiflung zu zeigen. Das Konzept von LTT-Intendant Thorsten Weckherlin, regionale Größen der Zeitgeschichte auf die Bühne zu bringen, geht auch in dieser Produktion auf. Mit Gernot Grünewalds „Political“ über Helmut Palmer, den Remstal-Rebellen, hatte die Bühne bereits bundesweit Furore gemacht und war 2015 sogar für den „Faust“-Preis nominiert worden. Die Annäherung an den Ratiopharm-Gründer ist ein weiterer starker Beitrag zu einem Regionaltheater, dessen Triebfeder die gesellschaftliche Relevanz ist.

Weitere Aufführungen am LTT: 13. bis 15. und 20. Dezember, 11. und 24. Januar, 14. und 22. Februar.