Das Rot leuchtet nicht mehr so hell wie früher: Siegmar Mosdorf, Ingeborg Hekler, Simon Bürkle und Helmut Thienwiebel (von links) sorgen sich um die SPD. Foto: dpa/bul/urh - dpa/bul/urh

Schlechte Umfragewerte begleiten die SPD seit Monaten. Die Eßlinger Zeitung hat sich unter Sozialdemokraten umgehört, wie sie den Zustand ihrer Partei beurteilen.

Kreis EsslingenSie ist die traditionsreichste Partei Deutschlands, doch der Glanz der einst so stolzen Volkspartei SPD ist zuletzt verblasst – Meinungsforscher sehen sie derzeit bundesweit nur bei 15 Prozent. Kein Wunder, dass die Stimmung auch vor Ort nicht die beste ist. Die EZ hat sich unter Sozialdemokraten umgehört.

Siegmar Mosdorf war 1990 bis 2002 Esslinger SPD-Bundestagsabgeordneter, 1998 wurde er mit 45,9 Prozent der Erststimmen direkt gewählt. Für ihn ist das Problem der SPD ein grundsätzliches: „Manche spekulieren über das Ende der Volksparteien. Die positiven Entwicklungen der letzten Jahre zur Individualisierung und zur Globalisierung haben eine Kehrseite: Jeder denkt nur noch an sich – statt Gemeinwohl steht das Eigenwohl an erster Stelle. Das gilt für die Menschen, aber auch für Nationen. Um so wichtiger ist es, den Zusammenhalt zu organisieren. Das war und ist die Funktion der Volksparteien. Dazu müssen die verschiedenen Interessen und Meinungen in einer Volkspartei abgebildet werden. SPD und CDU sind sich insbesondere durch den ‚sozialliberalen Kurs’ der Kanzlerin sehr ähnlich und bilden jeweils nicht die Breite der Gesellschaft ab. Das führt zur Stärkung der Ränder bei Linken und AfD und zur Stärkung der Grünen mit einer speziellen Ausrichtung. Die CDU hatte christliche, konservative und liberale Wurzeln – heute sind diese nicht mehr erkennbar. Die SPD hat soziale, liberale, seit den 90er-Jahren auch wirtschaftsliberale und ökologische Grundorientierungen. Die einzelnen Linien werden aber weder programmatisch noch personell abgebildet. Es gibt in beiden Volksparteien einen Übereinstimmungsbrei, obwohl die Gesellschaft immer mehr zerfasert. Die nötigen mit Respekt ausgetragenen Kontroversen fehlen. Die Volksparteien werden für das Publikum langweilig und haben deshalb keine Bindungskraft. Das wäre aber angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen dringend nötig. Die SPD muss von der Spitze her wieder Spielräume für die Vielfalt der Meinungen nicht nur zulassen, sondern geradezu organisieren. Die Führung sollte die Souveränität dazu haben, ohne Angst um die eigene Mehrheit zu haben.“

Ingeborg Hekler saß mehr als 20 Jahre lang für die SPD im Esslinger Gemeinderat. Die aktuelle Situation ihrer Partei im Bund und in den Ländern schmerzt sie, weil sie andere Zeiten erlebt hat: „Viele Menschen haben nicht mehr das Gefühl, dass die SPD wichtig für sie ist. Vielleicht hat aber auch unsere Partei manchmal vergessen, dass es viele Themen gibt, die den Menschen am Herzen liegen und für die man sich auf allen Ebenen einsetzen muss. Etwa die kostenlose Kinderbetreuung, die ein sozialdemokratisches Kernanliegen sein muss. Gerade eine Partei wie die SPD muss ganz nah an den Menschen dran sein und das Gespräch mit ihnen suchen. In Esslingen versuchen wir das sehr konsequent, aber mein Eindruck ist, dass man das nicht überall so beherzigt. Dazu muss die SPD auf allen Ebenen zurückfinden. Wer in der Gesellschaft verwurzelt ist und sich in unterschiedlichsten Bereichen engagiert, der kennt die Sorgen der Menschen und kann sie in der politischen Arbeit aufgreifen. Wenn man das beherzigt, wird das vom Wähler honoriert.“

Simon Bürkle ist Ortsvereinsvorsitzender in Wendlingen, und er spürt viel Enttäuschung an der Basis: „Die SPD hat in der Regierung einiges bewegt. Trotzdem wird ihr Anteil nicht richtig wahrgenommen. Das muss uns zu denken geben. Gute Arbeit muss man machen, man muss sie aber auch glaubwürdig vermitteln. Da sehe ich massive Defizite – vor allem an der Spitze. Es reicht nicht, zunächst in Interviews klare Kante zu zeigen und sich hinterher auf faule Kompromisse einzulassen. Wir müssen unsere Positionen klar benennen, und wenn es dafür in der Regierung keinen Konsens gibt, müssen wir um unserer Glaubwürdigkeit willen die Konsequenzen ziehen. Und wir müssen darüber reden, wie sich die Partei an der Spitze erneuern kann. Das würde Unruhe bringen, er wäre aber auch ein Zeichen dafür, dass wir es ernst meinen mit dem Bekenntnis, nicht einfach so weitermachen zu wollen wie bisher. Die SPD muss den Menschen das Gefühl vermitteln, dass sie ihre Interessen am besten vertritt. Wir brauchen eine Vision für diese Gesellschaft und dürfen uns nicht im Klein-Klein verzetteln. Das müssen wir wieder besser machen als zuletzt.“

Helmut Thienwiebel ist seit 45 Jahren SPD-Mitglied. Er hat sich neben vielen anderen Ehrenämtern im Vorstand der Esslinger SPD engagiert, war sich auch fürs nächtliche Plakatekleben nie zu schade: „Ich bin Sozialdemokrat und werde es immer bleiben. Unsere Werte sind so aktuell wie eh und je: Freiheit, Frieden und soziale Gerechtigkeit. Manche glauben, dass das selbstverständlich sei. Wenn wir uns in der Welt umschauen, merken wir, dass solche Werte immer wieder neu erkämpft werden wollen. Dafür brauchen wir auch in Zukunft eine starke SPD. Allerdings muss sich die Partei anders präsentieren als derzeit in der GroKo. Da wurde viel Gutes beschlossen, aber wir schaffen es nicht, klar zu machen, dass das SPD-Politik ist. Stattdessen agiert man oft sehr ungeschickt und lässt sich zum Beispiel beim Diesel-Skandal oder in der Maaßen-Affäre auf Kompromisse ein, die man keinem vermitteln kann. Die SPD muss ihre alten Ideale pflegen, sie muss ihr soziales Profil wirklich schärfen und nicht nur davon reden – dann hat sie eine Zukunft.“