Wulf Wager als Wilflinger Narr. Foto: Jean-Claude Winkler Photography

Natürlich steckt Wulf Wager auch im Häs. Doch er feiert nicht nur die Fasnet, er erforscht sie auch; ihre historischen Wurzeln und ihre Bedeutung im Jetzt und Hier. Ein Gespräch über Partys, Tradition und Kartoffeln werfende Bauern.

Für manchen im gut pietistischen Stuttgart ist die Fasnet exotisch wie Brauchtum in Papua-Neuguinea. Ende des 19. Jahrhunderts drohte sie auszusterben, der Karneval drohte sie zu verdrängen. Nur noch eine Handvoll Hansele und Narros trugen handgeschnitzte Masken. Nach dem ersten Weltkrieg besann man sich wieder der Traditionen der Heimat. Auch Corona konnte die Fasnet nur kurz stoppen.

Herr Wager, endlich wieder Fasnet. Wie sehr haben Sie es vermisst?

Sehr. Es war ein seelischer Schmerz. Die Kübler in Bad Cannstatt wünschen sich eine glückselige Fasnet. Und es ist in der Tat ein zeitlich begrenzter Zustand der Glückseligkeit.

Wegen dem bisschen Verkleiden?

Man darf die Fasnet nicht mit dem Partyfasching verwechseln. Da haben Menschen auch Spaß, aber das kannst Du jedes Wochenende in Ischgl beim Skifahren und in Mallorca auf dem Ballermann.

Was ist der Unterschied?

Die schwäbisch-alemannische Fasnet ist ins Verzeichnis der deutschen Liste des immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen worden. Die Fasnet ist ein Kulturgut. Sie ist tief verwurzelt, sie ist Bindung und Bezug zur Heimat. Das sind Bräuche, die weitergegeben werden, die man von klein auf gelernt hat.

Welche zum Beispiel?

Nehmen wir Schömberg bei Balingen. Da treffen sich die Narren am Fasnetsmenting morgens um acht zum Narrensprung, ganz ohne Zuschauer, nur für sich selbst. Dort organisiert noch heute der Jahrgang der 20-Jährigen die Fasnet. Das waren früher die Rekrutenjahrgänge, die zum Militär mussten. Sie konnten noch einmal Narrenfreiheit genießen. Man sagte, sich fühlen wie ein König. Das hat sich erhalten. Ebenso wie die Hausbesuche, das Maschgera, wo man zu den Menschen nach Hause kommt und dort bewirtet wird und viel Spaß miteinander hat. Und das inkognito. Die Maschgera sollten möglichst nicht erkannt werden. Oder das Facklafiar.

Das was bitte?

Das Facklafiar. Das Fackelfeuer. Am Sonntag nach der Fasnet werden symbolisch Hexen verbrannt. Dort basteln die Jahrgänge im Alter von 15 bis 20 Jahren Hexen. Abends trifft man sich in den Wirtshäusern. Am Sonntag wird das Facklafiar angezündet und die Hexen verbrannt, Jahrgang für Jahrgang. Man singt: „Nun ade, es geht zu Ende.“ Abends feiern nochmal alle Schömberger zusammen. Und zwar nicht nur Party.

Sondern?

Das ist überall ähnlich, wo die Fasnet verwurzelt ist. Es wird Musik handgemacht, gemeinsam gesungen. Dann steht einer auf und erzählt einen Witz. Das geschliffene Wort geht hin und her.

Wie sehr hat Corona den Zünften geschadet?

Das war natürlich schwierig. Einige neue Narrenzünfte haben sich seitdem aufgelöst, da sie nicht verwurzelt waren im Ort. Da hat die Bindung gefehlt, die Tradition. An traditionellen Standorten der Fasnet hat man sich nicht abschrecken lassen. Auch nicht durch so absurde Maßnahmen wie am Bodenseekreis. Da haben die Behörden unter Verweis auf die Pandemie verfügt, dass man die traditionellen Wimpelketten wieder abhängen und den Narrenbaum fällen musste. Aber die Fasnet fiel schon mehrmals aus, 1992 etwa wegen des Golfkriegs. Oder nach dem Ersten Weltkrieg wegen befürchteter revolutionärer Umtriebe. Und immer hat sich die Fasnet erholt.

Wie sieht es mit der Zukunft aus?

Die Werte in unserer Gesellschaft haben sich verschoben. Kirche, Arbeitsplatz, Ehe, alles was für die Ewigkeit schien, ist ins Wanken geraten. Es gibt viel Angst und Unsicherheit, über die Medien und auf allen Kanälen sind alle Übel dieser Welt dauernd um uns rum. Während der Fasnet, in diesem Getto der Glückseligkeit, kann man das ausklammern.

Und der Nachwuchs? Gerade in einer internationalen Region wie dieser?

Natürlich ist das eine wichtige Aufgabe in einer Stadt, wo 50 Prozent der Menschen ihre Wurzeln woanders haben. Wir haben 2009 beim Europäischen Narrenfest die Kulturvereine in Bad Cannstatt angesprochen, Gruppen aus den Heimatländern eingeladen. Wir wollten den Kontakt aufbauen, die Fasnet in die Zukunft bringen. Leider ist das nicht in dem Maße weiterverfolgt worden. Wenn man Bräuche nicht in die Moderne überführt, geht der Brauch ab. Aber es gibt auch positive Beispiele.

Wo zum Beispiel?

In Sachsenheim. Dorthin sind Siebenbürger Sachsen nach dem Krieg als Vertriebene gekommen. Sie haben natürlich auch ihre Bräuche mitgebracht – und in den 13 Kilo erlaubter Mitnahmemenge ihr Häs eingepackt. Obwohl evangelisch, hat man dort eine spezielle Form der Fastnacht gefeiert. Vor 60 Jahren wurden die Urzeln von den Bauern noch beschimpft und mit Kartoffeln beworfen, heute feiert am Fasnetssamstag der ganze Ort den Urzelntag. Brauchtransferierung über 2000 Kilometer. Das hat gut funktioniert. Aber zum Brauch braucht es auch Beharrlichkeit und Durchhaltevermögen.

Als Nicht-Cannstatter im Küblerrat

Zur Person
 Wulf Wager ist 60 Jahre alt, in Plieningen geboren, in Degerloch aufgewachsen und lebt in Altenriet im Kreis Esslingen. Er ist Geschäftsführer seiner Werbeagentur und Verlags- und Eventbüros.

Fasnet
 1988 wurd Wager als erster Nicht-Cannstatter in den Küblerrat gewählt. 1992 gründete er die Lumpenkapelle des Kübelesmarktes Bad Cannstatt und 2000 die Schwerttanzgruppe. Dem Kulturellen Beirat der Vereinigung Schwäbisch-alemannischer Narrenzünfte gehörte er von 1992 bis 2009 an. Ab 2005 war er Vorsitzender der Leitbildkommission und Mitglied der Neugestaltungsgruppe des Museums „Narrenschopf“ in Bad Dürrheim. 2009 initiierte und leitete Wulf Wager das „Europäische Narrenfest“ in Bad Cannstatt.