Engagement für Israel: Oliver Vrankovic Foto: privat

Oliver Vrankovic, Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Stuttgart, ist Initiator einer Solidaritätskundgebung, die am Sonntag um 15 Uhr auf dem Marktplatz stattfindet. Von Israel aus blickt er besorgt auf antiisraelische Tendenzen.

Der 7. Oktober hat auch im Leben des gebürtigen Esslingers Oliver Vrankovic vieles verändert. Der in Israel wohnhafte nichtjüdische Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) Stuttgart verbringt nach eigenen Worten jede freie Minute damit, Solidarität mit Israel zu organisieren und Antisemitismus abzuwehren.

Herr Vrankovic, wo erreichen wir Sie? Wie geht es Ihnen?

Ich bin bei der Arbeit an der Rezeption des israelischen Altenheims Pinkhas Rozen im Ort Ramat Gan bei Tel Aviv. Das Heim wurde 1932 für Juden gegründet, die in den 1930er Jahren aus Mitteleuropa nach Palästina flohen. Später kamen auch Überlebende des Holocaust hierher. Seit dem Massaker vom 7. Oktober herrscht unter den 150 Bewohnern des Heims eine sehr gedrückte Stimmung. Wir versuchen unser Möglichstes, damit die Leute abgelenkt sind und nicht durchdrehen.

Sind Bewohner auch direkt betroffen?

Wir sind alle betroffen. Wir haben hier das Problem mit den Raketenangriffen aus dem Gazastreifen. Es gibt keinen Tag ohne Alarm. Wir müssen die alten Leute immer wieder in Sicherheit bringen. Bei Tag und bei Nacht. Gedrückt ist die Stimmung aber vor allem, weil eine große persönliche Betroffenheit der Menschen besteht. Israel ist ein kleines Land, und es gibt hier niemanden, der nicht über zwei oder drei Ecken jemanden kennt, der ermordet oder entführt wurde oder vermisst wird. Und es gibt niemanden, aus dessen Familie nicht jemand zur Armee eingezogen worden ist.

Sie sind Vorsitzender des Vereins Deutsch-Israelische Gesellschaft Stuttgart und leben in Israel. Wie kommt es zu dieser Konstellation?

Ich lebe seit 2007 hier und organisiere neben meinen Beruf als Rezeptionist viele Bildungsreisen. Ich hatte immer schon Kontakt zur Deutsch-Israelischen Gesellschaft in Stuttgart. Vor zwei Jahren wurde ich gefragt, ob ich nicht den Vorsitz übernehmen will. Das hab ich gerne gemacht. Seit Corona haben wir alle technischen Mittel, die man braucht, um die Vereinsarbeit von hier aus zu organisieren. Ich konnte von Israel aus sogar die erste Solidaritätskundgebung am 9. Oktober auf dem Stuttgarter Marktplatz auf die Beine stellen – zwei Tage nach dem Massaker. Aktuell koordiniere ich die DIG-Kundgebung an diesem Sonntag auf dem Marktplatz. Aber natürlich geht nichts ohne meine Kolleginnen vor Ort, denen großer Dank gebührt. Da hängt sehr viel Arbeit dran.

Was hat sich für die DIG seit dem 7. Oktober geändert?

Es war immer unser Anliegen, über Israel zu informieren, Falschdarstellungen entgegenzuwirken und Antisemitismus zu bekämpfen. Seit dem 7. Oktober hat das Ganze eine Bedeutung bekommen, die wir uns nicht hätten ausdenken können. Es beschäftigt uns in jeder freien Minute. Am Mittwoch hatten wir eine Zoom-Veranstaltung mit Rebecca Schönenbach, Vorsitzende des Vereins Frauen für Freiheit und Expertin für antisemitische Netzwerke und deren Finanzierung. Eines unserer aktuellen Anliegen ist es, das in Stuttgart ansässige Palästinakomitee zu demaskieren. Nach unserer Überzeugung ist das keine Organisation, mit der irgendjemand aus der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten sollte. Von dort aus gibt es Verbindungen zur palästinensischen Organisation Samidoun, gegen die ein Betätigungsverbot angekündigt worden ist. Es gilt, über antisemitische Netzwerke aufzuklären, die bis nach Stuttgart reichen.

Was fürchten Sie?

Wir sind in großer Sorge um die Jüdinnen und Juden und überhaupt um das Fundament des Zusammenlebens und des Miteinanders, das aus unserer Sicht dabei ist zu erodieren. Es gibt Akteure, die das befördern, indem sie Antisemitismus und Judenhass auf der Straße zelebrieren. Man muss immer sehen: Das alles findet vor dem Hintergrund des Massakers vom 7. Oktober mit mehr als 1400 Toten und mehr als 200 Geiselnahmen statt. Diese antiisraelischen Kundgebungen sind für die Menschen hier kaum zu ertragen. Sie können auch nicht im Sinne der palästinensischen Bevölkerung sein.

Es gibt dort auch Redner, die sich gegen Antisemitismus wenden . . .

Wenn wir Israel als Schutzraum der Juden begreifen, dann ist jede gegen Israel gerichtete Aktion im Grunde eine antisemitische.

Wie geht die DIG mit Kritik an Israels Reaktion im Gazastreifen um?

Wir stehen in unbedingter Solidarität zu Israel und zu den israelischen Streitkräften. Die Angriffe Israels gelten nicht der Bevölkerung sondern der Terrorinfrastruktur. Die Verantwortung für alles Leid im Gazastreifen tragen allein palästinensische Terroristen.

Solidarität mit Israel. Wie erleben Sie das aus der Ferne?

Das ist ein großes Thema hier in der Bevölkerung. Man schaut ins Ausland und will wissen, wer zu uns steht. Es ist schockierend, Bilder von Großdemonstrationen zu sehen, auf denen die antiisraelische Botschaften verbreitet werden. Und es ist schwer verdaulich, dass Gruppen mit ehrenwerten Anliegen, wie Fridays for Future oder Antirassismusfestivals von antiisraelischen Akteuren durchdrungen werden. Erfreulicherweise gib es auch Solidaritätsbekundungen für Israel. Das bedeutet den Menschen hier viel. In dieser Situation ist Solidarität mit Israel und der jüdischen Gemeinde wichtiger denn je. Darin liegt auch meine persönliche Motivation, mich zu engagieren.

Welche Erwartungen haben Sie an die Kundgebung am Sonntag in Stuttgart?

Ich würde gerne 2500 Menschen auf dem Marktplatz sehen – in Berlin waren es zuletzt immerhin 25 000. Als DIG sind wir an einem möglichst großen Bündnis mit allen demokratischen Parteien, Gewerkschaften, NGOs und Trägern der Wohlfahrt interessiert. Ob uns das gelingt, muss sich zeigen, es sieht aber so aus, als ob wir nicht wenige Unterstützter haben.

Was muss sich aus Ihrer Sicht ändern?

Wir brauchen mehr Bildung und Wissen über Israel. An Infoständen machen wir die Erfahrung, dass Jugendliche auf uns zukommen und sagen, dass sie unsere Perspektive noch gar nie wahrgenommen hätten. Aus Schulbesuchen in Deutschland weiß ich, dass es möglich ist, falsche Vorstellungen von Israel abzubauen. Anfang November planen wir ein Online-Panel, bei dem Leute von hier zu Wort kommen und erzählen, was in Israel los ist, weil das alles schwer zu verstehen ist, wenn man nicht dort lebt.

Mit welchen Gefühlen blicken sie nach vorn?

Was passiert ist und passiert, ist unbegreiflich. Es sind Leute innerhalb Israels auf der Flucht, ganze Ortschaften sind zerstört worden, viele Menschen befinden sich noch immer in Geiselhaft. Ich habe keine Ahnung, wie das Leben hier in Zukunft sein wird.

Ein Deutscher in Israel

Werdegang
Oliver Vrankovic wurde 1979 in Esslingen geboren. Er ist in Göppingen aufgewachsen und hat in Esslingen Sozialpädagogik studiert. Bei einem Israel-Aufenthalt lernte er 2004 seine jetzige Frau kennen; die Wahl des gemeinsamen Wohnorts fiel auf Israel. Seit 2007 lebt er dort als nichtjüdischer Deutscher. Er war zunächst Pflegehelfer und arbeitet heute als Rezeptionist in dem ursprünglich für Einwanderer mitteleuropäischer Herkunft gegründeten Altenheim Pinkhas Rozen in Ramat Gan. Seit zwei Jahren ist er Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) und damit Nachfolger der langjährigen Vorsitzenden Bärbel Illi. Die DIG Stuttgart hat rund 250 Mitglieder. Aktuell verzeichnet sie nach eigenen Angaben viele Neueintritte.

Kundgebung
Auf Initiative der DIG findet an diesem Sonntag, 29. Oktober, um 15 Uhr eine Solidaritätskundgebung auf dem Marktplatz statt. Mitveranstalter sind unter anderem die jüdische Gemeinde, CDU, Grüne, SPD, FDP und der Städtetag.