Schätzungsweise 800 Deizisauer Bürger schauten sich am Samstag das neue Pflegeheim an. „Ein ständiges Kommen und Gehen“ hat Hausdirektorin Heike Schlittenhardt erlebt. Sie ist hochzufrieden mit der Resonanz. Gestern sind die ersten fünf Bewohner in den „Palmschen Garten“ eingezogen. Nächste Woche werden 24 Neuankömmlinge erwartet, die vom Plochinger Johanniterstift wechseln.

Von Roland Kurz

In wenigen Tagen feiert Hilde Oberle ihren 90. Geburtstag. Aber der heutige Tag dürfte für sie bedeutsamer sein als der nahe Jubeltag. Ein Rollstuhl-Taxi hat sie gerade am Haupteingang des neuen Pflegeheims abgesetzt. Im Foyer, wo die großformatigen Fotos aus Deizisaus alten Zeiten hängen, wird sie von Heike Schlittenhardt begrüßt. Die Hausdirektorin beugt sich zu der Rollstuhlfahrerin hinunter und ergreift beidhändig deren Hand. „So, Sie sind die Frau Oberle, herzlich willkommen.“ Die alte Dame schaut erstaunt. „Gell, Sie wundern sich, dass ich Ihren Namen kenne. Sie sind jetzt im Pflegeheim in Deizisau. Da wohnen Sie jetzt.“ Die Heimleiterin bekommt keine Antwort. Hilde Oberle leidet an Demenz. Seit ihr Mann vor gut einem Jahr mit 96 Jahren gestorben ist, hat sich die Krankheit beschleunigt.

Blick aufs Dorfleben

Beim Beginn der neuen, letzten Lebensphase wird Hilde Oberle von der ganzen Familie begleitet. Von ihrem Sohn Wolfgang, der vor einem Jahr von München nach Plochingen gezogen ist, um seine Mutter zu betreuen. Von ihrem Sohn Ralf und Schwiegertochter Sandra, die froh sind, einen Heimplatz an ihrem Wohnort gefunden zu haben. „So können wir zwischendurch immer wieder vorbeischauen“, sagt Ralf Oberle. Auch Svenja (10) und Kristin (8) wollen ab und zu nach der Schule bei ihrer Oma vorbeischauen.

Im Aufzug fährt die Familie in den zweiten Stock. Zimmer 213, direkt neben dem Aufenthalts- und Essraum. Das Namensschild ist schon angebracht. Die 89-Jährige wird ins Zimmer geschoben. Pflegebett mit rotem Tagesbezug, Nachtschrank, Kleiderschrank, kahle Wände, schön hell. Die Enkelinnen haben fürs Erste einen Kalender mit Familienbildern mitgebracht.

„Die Oma weiß nicht, wie ihr geschieht“, vermutet die Schwiegertochter und zieht die Vorhänge zur Balkontür zurück. Hilde Oberle schaut schweigend hinaus auf den neuen Kreisverkehr und das Rathaus. Ralf Oberle hat das Bett so gedreht, dass seine Mutter auch von dort auf die Straße schauen kann. Offenbar nimmt die alte Frau die Dorfszenerie wahr und meldet sich zu Wort: „An des wird man sich gewöhnen.“ Es klingt zufrieden.

Im Hintergrund unterhält sich Wolfgang Oberle mit der Heimleiterin, berichtet, dass seine Mutter nicht mehr stehen kann, dass sie Kreislaufprobleme hat, schlecht hört und sie ihn für ihren Mann Hermann hält. Wolfgang Oberle hat in den letzen 15 Monaten seinen Beruf als Selbstständiger gegen den „24-Stunden-Job“ als Pfleger getauscht. Und als Verhandlungsführer mit der Krankenkasse. Ralf Oberle ist seinem Bruder dankbar, dass er die Zeit bis zu Eröffnung des Deizisauer Heims überbrückt hat. Nun können er und seine Familie die Besuche ins Alltags- und Berufsleben einbauen. „Das ist eine große Erleichterung.“ Auch wenn die Heimunterbringung eine Stange Geld kostet. Etwa 4600 Euro beträgt der volle Pflegesatz, bei Pflegestufe 3 bleiben noch etwa 3000 Euro an der Familie hängen. Wenn im nächsten Jahr die Pflegegrade eingeführt werden, rechnet Familie Oberle mit einer Entlastung um rund 400 Euro.

Normalerweise wäre jetzt Kaffeezeit im Heim und anschließend würden die Alltagsbegleiterinnen ein Aktivierungsangebot machen. Aber am ersten Tag wäre das zu viel. „Wir stellen uns auf die Bewohner ein“, sagt Pflegedirektorin Schlittenhardt, „schauen, was sie noch machen können und vor allem, was sie wahrnehmen“. Bei dementen Menschen sei eine Handmassage eventuell sinnvoller als etwas vorzulesen. Manchmal könne man seiner Mutter durchaus noch etwas vorlesen, wendet Wolfgang Oberle ein. Kürzlich habe sie sich mit dem Pfarrer auch eine Viertelstunde ganz normal unterhalten. Nachts sei seine Mutter aber etwas unruhig, sie hänge die Beine aus dem Bett heraus. „Da brauchen wir von Ihnen wohl eine Genehmigung für Bettgitter“, meint Heike Schlittenhardt. Und wie sieht es mit dem Essen aus? Mittags gebe es zwei Menüs zur Auswahl. „Kann sich Ihre Mutter entscheiden?“ „Man muss halt fragen“, sagt Wolfgang Oberle. „Sie steht auf Süßes“.

Schneller Draht zum Pfleger

Gegen 17.30 Uhr werden die fünf ersten Heimbewohner ihr Abendessen bekommen. Anschließend kümmern sich die Pflegekräfte um die Abendtoilette. Hilde Oberle ist schon jetzt müde. Es ist ja auch ein ungewöhnlicher Tag. Pfleger Marc Ulbrich begrüßt sie. Hilde Oberle versteht sofort, was läuft. „Und Sie helfen mir jetzt?“ Die beiden kommen schnell miteinander ins Gespräch. Er habe auch mal in Plochingen gewohnt, erzählt der Altenpfleger, gar nicht weit weg von Oberles. Dann holt er den Lifter, um seinen neuen Schützling ins Bett zu bringen und sauber zu machen.

Fürs Erste ist Familie Oberle sehr zufrieden. Die Oma scheint den Wechsel gut anzunehmen. Besser als im vergangenen Jahr in der Kurzzeitpflege in einem anderen Heim, wo die alte Dame täglich ihre Tasche gepackt hat und mit dem Rollator nicht nur einmal ausgebüxt ist. „Die Voraussetzungen hier sind toll“, sagt Sandra Oberle und weist auf die moderne Möblierung des Speiseraums hin. „Alles sehr hell.“