Von Montag an dürfen Hausärzte selbst entscheiden, welchen Corona-Impfstoff sie in die Spritzen ziehen und welche Patienten sie von ihren Wartelisten aufrufen. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema.
Stuttgart - Es ist ein wichtiger Schritt hin zu besseren Zeiten. Von Montag an dürfen Hausärzte selbst entscheiden, welchen Impfstoff sie in die Spritzen ziehen und welche Patienten sie von ihren Wartelisten aufrufen. Biontech oder Astrazeneca? Für den jungen Mann oder die ältere Dame? Das liegt künftig ganz beim Arzt oder der Ärztin. Aber lässt sich das so einfach umsetzen? Was kommt auf die Mediziner zu und wie können sie sich am besten einen Überblick verschaffen? Denn eines ist klar: Die Drähte in die Praxen werden heiß glühen. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema:
Was ändert sich von Montag an in den Hausarzt-Praxen?
Die Ärzte haben freie Wahl: Sie müssen sich nicht mehr an die staatlich vorgegebene Priorisierung halten, sondern können selbst entscheiden, wer die Impfung zuerst braucht. Das gilt für sämtliche Impfstoffe und nicht wie bisher nur für das Vakzin von Astrazeneca. Allerdings bietet sich der Impfstoff Moderna nach Angaben der Landesapothekerkammer wegen des Transports nicht für Praxen an.
Gilt das auch für die Impfzentren?
Nein, dort werden keine Termine an Menschen vergeben, die noch nicht impfberechtigt sind. Dort werden Menschen mit hohem Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf oder mit hohem Ansteckungsrisiko weiter vorrangig geimpft. „Trotz einzelner Drängler impfen wir weiter erfolgreich die Schutzbedürftigen zuerst“, sagt Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne). Von Montag an können sich auch Menschen impfen lassen, die im Arbeitsalltag einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt sind - zum Beispiel Verkäuferinnen im Supermarkt, Busfahrer, Fahrlehrer und Mitarbeiter in Tafelläden; ebenso Menschen, die regelmäßig in der Kinder- und Jugendhilfe oder in Schulen arbeiten, sowie Saisonarbeiter, Pflegeeltern und Journalisten.
Dann kann es aber zumindest bei den Ärzten richtig losgehen?
Theoretisch ja. Aber schaut man sich an, wie viel Impfstoff den Medizinern zur Verfügung steht, kommen Zweifel auf. Sie bekommen auch nur kurzfristig Bescheid. Daher lässt sich noch nicht sagen, wie viele Impfdosen von der kommenden Woche an in den Praxen zur Verfügung stehen werden.
Wie läuft das Bestellen denn ab?
Es gibt eine klare Lieferkette. Impfzentren werden vom Land bedient. Hausärzte schätzen dagegen den Bedarf ihrer Erstimpfungen und bestellen montags bei den Apotheken. Diese reichen es weiter an den Pharmagroßhandel und der informiert die zentrale Verteilstelle im Bundesgesundheitsministerium. Dort wird aufgeteilt und es geht auf demselben Weg zurück an die Apotheken, die die gelieferte Menge an die Ärzte in ihrem Umkreis weitergeben. „Donnerstags wissen die Mediziner in der Regel, wie viel geliefert wird, von Dienstag bis Freitag können sie dann impfen“, sagt Frank Eickmann vom Landesapothekerverband. „Das ist eingespielt und funktioniert in der Regel ganz gut.“ Wegen des Feiertags dürfte sich der Zeitplan in der laufenden Woche etwas verändern.
Wie werden die Impftermine in den Praxen vergeben?
Die Ärzte kennen ihre Patienten und wissen am besten, wer als erstes einen Termin braucht, sagt Berthold Dietsche, Vorsitzender des Hausärzteverbandes Baden Württemberg. Gesundheitsministerium und Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg mahnen zu Geduld: Auch wenn die Priorisierung aufgehoben sei, heiße das keineswegs, dass es plötzlich mehr Impfstoff gebe. „Die Ärztinnen und Ärzte werden daher in der Regel ihre Patientinnen und Patienten kontaktieren, wenn die Kapazitäten es zulassen“, heißt es.
Sind die Impfzentren ausgelastet?
Das Land macht dem Bund zumindest Druck. „Wir fordern seit Wochen vom Bund, den Impfzentren auch mehr Impfstoff zur Verfügung zu stellen“, sagt eine Ministeriumssprecherin. Die Impfzentren und mobilen Impfteams arbeiteten noch nicht unter Volllast, sie könnten noch mehr Impfungen durchführen als die aktuell rund 55 000 Termine pro Tag.
Warum wurde die Priorisierung nicht von Beginn an aufgehoben?
„Wir haben grundsätzlich noch immer zu wenig Impfstoff, um allen Menschen, die das möchten, zeitnah eine Impfung in Aussicht stellen zu können“, erklärt die Ministeriumssprecherin. Die Priorisierung stelle sicher, dass die Menschen, die das höchste Risiko für einen schweren und tödlichen Verlauf haben – alte Menschen, Menschen mit Vorerkrankungen und Menschen mit einem besonders hohen Ansteckungsrisiko durch ihren Beruf – zuerst geschützt werden.
Gibt es auch Einwände gegen die Entscheidung des Landes?
Ja. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisiert die Freigabe und spricht von einem „Spaltpilz“ für die Gesellschaft. „Nicht die Priorisierung ist der Hemmschuh beim Impffortschritt, sondern einzig der Mangel an Impfstoff“, sagt Vorstand Eugen Brysch. Die Entscheidungen in Baden-Württemberg und Bayern seien ein Beispiel dafür, „wie man sowohl den Impfdruck auf Ärzte erhöhen kann und Frust in der Gesellschaft schafft“. Brysch erwartet Aggressionen nicht nur zwischen Arzt und Patient, sondern auch zwischen den Generationen.