Thomas Hohn leitet die Kontrollgruppe Tuning der Polizei und überprüft Fahrzeuge auf Manipulationen. Doch gegen Motorräder und Autos, die mit ohrenbetäubendem Lärm unterwegs sind, kann er kaum etwas unternehmen.
Thomas Hohn ist der Schrecken der Tuner und der Poser. Sie motzen ihr Auto oder Motorrad so auf, dass sie möglichst geräuschvoll fahren und der Umgebung auffallen. Der Hauptkommissar ist seit mehr als 30 Jahren bei der Motorradstaffel der Stuttgarter Polizei tätig, wo er inzwischen die Kontrollgruppe Tuning leitet. Wer bei Kontrollen auffällt, bekommt es oft mit ihm zu tun – und mit seiner Werkstatt, in der er beschlagnahmte Fahrzeuge auf verbotene Manipulationen hin überprüft.
Immer häufiger macht er bei den Kontrollen allerdings eine merkwürdige Entdeckung: Die Fahrzeuge sind zwar viel zu laut, aber gegen die Besitzer gibt es keine Handhabe. Die meisten Motorräder seien heute auf „legale Weise laut unterwegs“. Denn in den Regelungen gibt es riesige Schlupflöcher, die Hersteller und eine darauf spezialisierte Zubehörbranche sich zunutze machen.
Die meisten Bikes und Autos sind auf legale Weise laut
Der enorme Lärm, der im Inneren eines Verbrennungsmotors entsteht, wird normalerweise gleich auf mehrere Weise gedämpft. Hinter dem Motor kommt der Katalysator, der nicht nur die Abgase sauberer macht, sondern auch einen erheblichen Teil des Geräuschs abfängt. Es folgen verschiedene Schalldämpfer, von denen der letzte allerdings auch umgangen werden kann – durch eine Klappe, über die sich ein Teil der Abgase in ein Blindrohr und von dort direkt in die Umgebung abgeben lässt. Das geschieht dann auf geräuschvolle Weise – und ist in vielen Fällen legal.
Bei Kontrollen vor Ort wird das sogenannte Standgeräusch gemessen, bei dem der Motor des Fahrzeugs auf eine bestimmte Drehzahl gebracht wird. Die Lautstärke darf dann nicht allzu weit über dem Wert liegen, den der Hersteller im Fahrzeugschein eingetragen hat. Auch die Drehzahl, bei der die Polizei die Kontrollen vornimmt, wird vom Hersteller vorgegeben. Das ist für die Tuner überaus praktisch, denn selbst wenn das Auto oder Motorrad beim Hochdrehen des Motors einen ohrenbetäubenden Lärm abgibt, kann die Polizei dadurch meist nicht einschreiten. „Hat der Hersteller vorgegeben, dass das Geräusch bei einer Drehzahl von 4000 gemessen wird, kann er die Steuergeräte so programmieren, dass die Motoren bis knapp unter dieser Drehzahl einen ohrenbetäubenden Lärm abgeben.“ Kurz vor Erreichen der 4000 werde das Fahrzeug dann um ein Vielfaches leiser, weil die Elektronik die Klappen schließt. Nur dieses leise Geräusch dürfe dann gemessen werden.
Der Lärm ist ein Horror für viele Anwohner
Durch solche Abgasregelungen mache die EU Fahrzeuge auf dem Papier sauberer und leiser. Doch für die Anwohner der Schwarzwaldhochstraße etwa, die Wochenende für Wochenende stundenlang den Lärm der Motorräder über sich ergehen lassen müssen, sei damit wenig gewonnen, denn sie müssen den echten Lärm ertragen und nicht nur den, der von den Herstellern prüfungskonform heruntergedimmt wird.
In welchem Maß Hersteller von den Möglichkeiten Gebrauch machen, legal möglichst viel Lärm zu erzeugen, kann Hohn an der Motorradflotte seiner eigenen Polizeistaffel sehen. „Die BMW-Motorräder von 2022 haben ein neues Klappensystem, mit dem sie auf dem Papier leiser sind als die alte Serie, die bis 2013 gebaut wurde“, sagt er. „In der Praxis aber fahren sie um 10 Dezibel lauter.“ Das entspricht einer Verdoppelung der Lautstärke – und kommt sogar ohne Veränderung der Abgasanlage zustande.
Selbst Polizeimotorräder dröhnen laut
Ein kurzer Test in der Polizeigarage am Stuttgarter Pragsattel, in der eine mit Blaulicht bestückte BMW-Maschine neben der nächsten steht, zeigt: Schon beim Start gibt das fast neue BMW-Motorrad ein lautes, aggressives Geräusch von sich, ehe sich das Gefährt nach einigen Sekunden beruhigt. Die anderen Maschinen aus einer wesentlich älteren Serie, die zuletzt vor zehn Jahren gebaut wurde, sind wesentlich leiser. „Eigentlich würde man erwarten, dass die neuen Motorräder umweltverträglicher sind als die alten“, sagt Hohn. Bei der Lärmentwicklung sei es umgekehrt.
Seit Jahren klagen Anwohner der B 500 zwischen Baden-Baden und Freudenstadt über den Lärm durch Motorradfahrer. „Lärm macht krank. Tempo runter“ – steht auf einem Schild in Baden-Baden am Ortsausgang Richtung Schwarzwaldhochstraße. Vor zwei Jahren beschwerten sich Bürgermeister betroffener Gemeinden beim Landeslärmschutzbeauftragten, der daraufhin auf Hohn zuging. Dieser teilte ihnen mit, dass sich durch Kontrollen wenig ändern lasse. „Von hundert Motorrädern, die zu laut sind, können wir nur zwei aus dem Verkehr ziehen. Die anderen 98 sind auf legale Weise laut.“
So laut wie ein startendes Flugzeug
Zu den besonders ärgerlichen Funktionen mancher getunter Autos zählt Hohn das sogenannte Backfire. Durch gezieltes Einspritzen von Kraftstoff beim Wegnehmen von Gas werden bewusst Fehlzündungen erzeugt, die einen überaus lauten Knall erzeugen. Manche Fahrzeuge werden sogar mit einem Rennmodus ausgeliefert, zu dem auch solche Funktionen gehören, deren Geräuschentwicklung der eines startenden Flugzeugs gleichkommt.
Dieser Modus gehört allerdings nicht zu den vorgesehenen Kontrollen, auf deren Basis Halter belangt werden können. Denn bei der sogenannten Homologation, die Voraussetzung für die Zulassung neuer Fahrzeugmodelle für den Straßenverkehr ist, werde die Geräuschentwicklung im Normalmodus gemessen. Das Bestehen der Grenzwerte in diesem Modus reicht aus, damit der Hersteller die Zulassung bekommt, die dann auch den Rennmodus umfasst, der überhaupt nicht getestet worden ist. Ist die gesamte Baureihe mit diesem Lärmverhalten zugelassen, kann die Polizei nicht einzelne davon wegen dieser Eigenschaft aus dem Verkehr ziehen. Letztlich sei es wie beim Dieselskandal: Es reicht, wenn das Auto den Test unter völlig unrealistischen Bedingungen besteht – wie es sich dann in der täglichen Praxis verhalte, interessiere praktisch nicht mehr.
Noch eklatanter als beim Diesel
Die Manipulationen beim Lärm sind nach Ansicht Hohns aber noch eklatanter als die beim Diesel. „Beim Dieselskandal waren die Kunden unwissend. Bei den extrem lauten Autos dagegen wollen Kunden diese Manipulationen, und die Hersteller tun alles, um diesen Wunsch zu erfüllen.“ Die Politik mache es Herstellern leicht, extrem geräuschvolle Maschinen zu bauen – und das nicht nur für eine kleine Minderheit. „Die meisten Motorradfahrer wollen laute Maschinen und fahren sie auch so, sagt Hohn, der selbst begeisterter Motorradfahrer ist. „Wären es nur ein paar schwarze Schafe, würden die Hersteller ihre Maschinen wohl kaum so auslegen.“ Auch die große Zubehörindustrie, die davon lebe, den Geräuschpegel zu erhöhen, zeige, wie groß die Nachfrage sei.
Belangt würden letztlich nur diejenigen, die allzu plumpe und kostengünstige Manipulationen an ihren Fahrzeugen vornehmen – etwa einen Schalldämpfer durch eine Attrappe ersetzen, was sofort auffällt. „Wer dagegen das Geld dafür hat, die Fahrzeuge auf legale Weise extrem laut zu machen, dem kann im Grunde nichts passieren.“