Sandro Tonali (schwarz-rotes-Trikot) ist wichtig für den AC Mailand. Foto: AFP/GABRIEL BOUYS

Die beiden italienischen Clubs AC und Inter könnten in das Halbfinale der Champions League einziehen – das war lange nicht mehr so. Eine Stadt ist im Glück.

Es ist jetzt fast knapp sieben Jahre her, als das Stadion Guiseppe Meazza im Mailänder Stadtteil San Siro eine Hülle erhielt, die Christo einst beim Verpacken des Berliner Reichstags nicht besser hinbekommen hatte. Die Europäische Fußball-Union (Uefa) verpasste der imposanten Spielstätte mit seinen elf Türmen anlässlich des Champions-League-Finales 2016 ein eigenes Branding, etwa mit einem Cristiano Ronaldo an der Fassade in zentraler Rolle. Schließlich duellierten sich in der Lombardei – genau wie 2014 in Lissabon – die Madrider Lokalrivalen Real und Atlético.

Die Zeiten ändern sich

Für eine gerne um Trends bemühte Metropole war das damals nicht so leicht zu ertragen, als bis zu 60 000 Fußballfans aus der spanischen Hauptstadt die Hoheit übernahmen. Die lokalen Größen AC Mailand und Inter dienten bloß als Staffage. Ihre Altstars Massimo Ambrosini, Cafu oder Dejan Stankovic erzählten auf dem Fanfestival zwar Geschichten von früher, aber wer wollte das damals wirklich hören?

Doch manchmal ändern sich die Zeiten schneller als gedacht: Plötzlich sind beide Mailänder Clubs in der Champions League wieder schwer in Mode. Viel fehlt nicht, dann kommen im San Siro bald zwei Champions-League-Halbfinals zwischen Milan und Inter zur Aufführung. 80 000 Karten würden für das Stadtderby in Hin- und Rückspiel Mitte Mai niemals reichen. Doch vorher müssen beide noch ihren Vorsprung im Rückspiel des Viertelfinales retten. Die Rossoneri, die Rot-Schwarzen, haben im italienischen Duell beim SSC Neapel an diesem Dienstag (21 Uhr) ein 1:0 zu verteidigen. Die Nerazzurri, die Schwarz-Blauen, haben es daheim gegen Benfica Lissabon am Mittwoch (21 Uhr) durch ein 2:0 auswärts etwas leichter. Allein diese Ausgangslage ist eine Sensation.

Milan, siebenmaliger Gewinner des Henkelpotts (zuletzt 2007), spielt erstmals seit elf Jahren wieder unter den Top Acht der Königsklasse mit. Bei Inter, dreimaliger Champions-League-Sieger (zuletzt 2010), dauerte die Pause sogar zwölf Jahre an. Der Anhang hat die Abstinenz mit einer Mischung aus Bestürzung und Gleichgültigkeit ertragen. Immerhin tröstete Milan im Vorjahr seine Gefolgschaft mit der Meisterschaft, Inter machte seine Gemeinde im Jahr zuvor mit dem Scudetto glücklich. Und weil Napoli in diesem Jahr endlich, endlich titeltaugliche Erben eines Diego Maradona hervorbringt, könnten alle auf ihre Kosten kommen. Selbst Juventus Turin hat die Chance, mit dem Gewinn der Europa League über die Hintertür die Champions-League-Bühne zu erreichen.

Renaissance der Serie A

Die Renaissance der Serie A ist nicht zu leugnen. Das Land des Europameisters 2021 hat fünf Clubs in die Viertelfinals der Europacupwettbewerbe gehievt. Mehr als die Premier League und La Liga – und mehr als die Bundesliga sowieso. Als Napoli im Achtelfinale gegen Eintracht Frankfurt (2:0, 3:0) die erste von zwei Lehrstunden verpasste, sagte Trainer Luciano Spalletti: „Es wird Zeit, dass wir das Klischee vom schlechten italienischen Fußball beseitigen.“

Ausgerechnet Nationalcoach Roberto Mancini goss Wasser in den Wein, als er gegen die Wiedergeburt des italienischen Fußballs einwandte: „Wenn Milan, Napoli und Inter mit 33 Italienern spielen würden, könnte man das sagen. Aber es ist noch nicht einmal die Hälfe.“ Es ist schon komisch, dass solche Argumente bei englischen Fußballvereinen nie bemüht werden.

Den Disput beigelegt

Gerade die Aushängeschilder aus der Po-Ebene haben sich neu erfunden. Nach vielen Irrungen und Wirrungen in der Post-Berlusconi-Ära leistete Legende Paolo Maldini als Sportchef beim AC Milan ganze Arbeit, indem er eine junge, spielstarke Truppe formte, in der Sandro Tonali aus der Mittelfeldzentrale heraussticht – der 22-Jährige ist inzwischen auch in der Squadra Azzurra gesetzt. Ansonsten definiert sich dieses Kollektiv gerne über die Arbeit gegen den Ball. Schon gegen Tottenham Hotspur (1:0, 0:0) war dieser Minimalismus zu bestaunen. Gastgeber Napoli setzt nun darauf, dass ihn die Unterstützung seiner frenetischen Fans, die rechtzeitig ihren Disput mit der Clubspitze beigelegt haben, weiterhilft.

Inter hofft dagegen auf Lautaro Martinez, den zweitbesten Schützen der Serie A mit 14 Saisontoren. Der argentinische Weltmeister bildet mit dem belgischen Weltklassemann und Weltenbummler Romelo Lukaku den Doppelsturm bei Inter Mailand. Die Interisti erleben nur gerade, wie ihr Ensemble an den großen Aufgaben wächst, während die Pflichtaufgaben vernachlässigt werden. Die direkte Champions-League-Qualifikation wackelt nach drei Heimpleiten bedenklich. Vielleicht kein Wunder, wenn viele Tifosi bereits euphorisch für das Champions-League-Endspiel am 10. Juni in Istanbul planen. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist ein italienischer Vertreter dabei. Das fühlt sich irgendwie besser an, als anderen den roten Teppich auszulegen.