Rode (li.) und Kamada können über das erreichte Achtelfinale jubeln. Foto: imago//Pedro Fiuza

Eintracht Frankfurt setzt mit dem Einzug unter die besten 16 Teams der Champions League den nächsten Meilenstein. Ist jetzt auch das Viertelfinale möglich?

Peter Fischer hat schon die wildesten Partys mitgemacht. Dass ihm sein Herzensverein Eintracht Frankfurt zu einem Zeitpunkt, wo das Leben laut eines Udo-Jürgens-Schlagers angeblich erst anfängt – mit 66 Jahren – noch so viele feierliche Anlässe bieten würde, hätte sich der Präsident nie träumen lassen. Er hat trostlose Zweitligazeiten in einem heruntergewirtschafteten Verein und veralteten Waldstadion erlebt, weshalb es selbst dem Sprachrohr der Eintracht nach dem Einzug ins Achtelfinale der Champions League die Sprache verschlug. „Unglaublich. Normalerweise bin ich begriffsstark, aber hier fehlt es mir auch“, stammelte Fischer mit Tränen in den Augen. Er war dann derjenige, der von der jubelnden Mannschaft nach dem Auswärtssieg bei Sporting Lissabon (2:1) das Erinnerungsfoto schoss.

Rode wurde zur Symbolfigur

Derweil schwärmte Trainer Oliver Glasner vor den tanzenden und singenden Fans im Estádio José Alvalade von der „unglaublichen Mentalität“ einer Mannschaft, die abermals ihre eigenen Grenzen verschob. Auch der Österreicher war auf seine Art aus dem Häuschen. „Wir haben immer unser Ding durchgezogen. Egal in welchem Stadion, ob zu Hause oder auswärts, egal welcher Gegner, ob in Rückstand oder ob wir vorne waren“, betonte der 48-Jährige.

Seine magischen Nächte wiederholt der Europa-League-Sieger fast in Endlosschleife. Die Erfolgsgeschichte will einfach nicht enden, denn die Hessen demonstrieren nun auch in der Königsklasse, was Leidenschaft und Hingabe in einem Traditionsverein bewegen können. Diesen anarchischen Impuls, dass Geld auf internationaler Bühne nicht alles ist, benötigt gerade die Königsklasse dringend. Ganz Frankfurt fiebert jetzt der Auslosung am Montag für die K.-o.-Runde entgegen, wo für einen Club mit solchen Nehmerqualitäten nicht zwingend Endstation sein muss. „Wir sind einfach eine ‚Stehaufmannschaft‘“, sagte Kapitän Sebastian Rode, der selbst zur Symbolfigur der durch Daichi Kamada (62./Handelfmeter) und Randal Kolo Muani (72.) vollbrachten Wende aufstieg.

Erfolgreiche Frankfurter trotz Abgänge wichtiger Spieler

Nach dem Rückstand durch Arthur Gomes (39.) in einer unstrukturierten ersten Hälfte forderte Glasner mehr Überzeugung ein – und wechselte Rode ein. Die 32-jährige Identifikationsfigur nahm sogleich „das Ruder in die Hand“ (Glasner). Da war auf einmal einer, der Klarheit und Struktur vermittelte – und nebenbei die meisten Zweikämpfe gewann. Klar, dass viele Komplimente auf den „Gamechanger“ Rode herabregneten, der die Auszeichnung zum „Man of the Match“ erhielt.

Vorstandssprecher Axel Hellmann sieht mit dem Vorstoß unter die besten 16 Teams Europas einen langen Weg gekrönt, der nach dem Klassenerhalt in der Relegation 2016 eingeschlagen wurde. Nach den Nervenspielen gegen den 1. FC Nürnberg verließ mit Heribert Bruchhagen ein honoriger, aber mitunter auch sperriger Vereinsboss die Kommandobrücke. Seitdem gehen zwar alle ein, zwei Jahre wichtige Spieler, Trainer oder Manager, doch die Adlerträger gewinnen nach jeder Häutung an Widerstandskraft.

Ein Multikultikader, der als Spiegelbild der Stadt taugt

Nebenbei sackte die gar nicht mehr launische Diva vom Main mit DFB-Pokal (2018) und Europa League (2022) zwei Titel ein, die sich nicht nur im Briefkopf gut machen. Hellmann feierte nun den nächsten „großen Tag und großen Schritt“. Während sich der 51 Jahre alte Jurist keinerlei Zurückhaltung an dem Abend auferlegte, traten andere die (Party-)Bremse. Glasner untersagte für seine Spieler ausgedehnte Feierlichkeiten. „Wir werden anstoßen, aber dann geht es ins Bett. Wir ziehen das jetzt durch bis Mainz.“ Dreimal Fokus auf die Bundesliga sollte das heißen. An Aufgaben wie Samstag in Augsburg, dann gegen Hoffenheim und Mainz erinnerte auch Sportvorstand Markus Krösche. Der in Leipzig vergraulte Macher scheint mit seiner Weitsicht nach dem Baumeister Fredi Bobic der nächste Glücksfall, wie Hellmann herausstellte. Glasner und Krösche mögen zwar keine Freunde mehr werden, aber die Professionalität der Sportlichen Leitung hat längst auf ihren Multikultikader abgefärbt, der von seiner Zusammenstellung als Spiegelbild der Stadt taugt.

Die Uefa kürte nicht die Eintracht, sondern Manchester City zur Mannschaft des Jahres

Wer das energiestrotzende Ensemble beim Hinspiel gegen Sporting (0:3) vor nicht einmal zwei Monaten ins offene Messer stürmen sah, konnte die abgeklärte Vorstellung in Lissabon kaum fassen. „Wir sind als Mannschaft gewachsen und gefestigter geworden“, erklärte Torwart Kevin Trapp. Auf den Rückstand habe man diesmal ganz anders reagiert, „viel erwachsener, viel ruhiger“. Der 32-jährige WM-Kandidat gibt den Ruhepol der bunten Truppe. Unruhig waren nur die vielen Frankfurter Anhänger, die entweder verspätet im Stadion ankamen oder keinen Einlass fanden, weil sie ohne Ticket nach Portugal gereist waren.

Diejenigen, die den Gästeblock zur Partyzone umfunktionierten, verlangten hinterher bei Hellmann nach einer Lokalrunde („Axel, gibt einen aus!“) und sangen immer wieder: „Europas beste Mannschaft – SGE!“ Gegen den Sprechgesang sind keine Einwände zu erheben. Gemessen an den Möglichkeiten hat niemand im Kalenderjahr 2022 in den Europapokalwettbewerben mehr erreicht als ein Bundesligist, der erst in der Europa League Betis Sevilla, FC Barcelona, West Ham United und Glasgow Rangers geschlagen und sich nun in einer Champions-League-Gruppe gegen Tottenham Hotspurs, Sporting Lissabon und Olympique Marseille durchgesetzt hat. Zur Mannschaft des Jahres hatte die Uefa kürzlich Manchester City gekürt. Eintracht Frankfurt wäre die bessere Wahl gewesen.