Birgül Akpinar Foto: oh Quelle: Unbekannt

Esslingen - Birgül Akpinar, Vorstandsmitglied der baden-württembergischen CDU, will ein überparteiliches Bündnis erreichen, das die Türken in Deutschland zu einem Nein im Verfassungsreferendum im April aufruft. Akpinar fordert ein Auftrittsverbot für türkische Politiker in Deutschland vor der Abstimmung über die Einführung des Präsidialsystems in der Türkei.

Die Konflikte mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und der AKP um Wahlkampfauftritte türkischer Politiker unter anderem in Deutschland und den Niederlanden spitzen sich zu. Was vermuten Sie als Hintergrund?

Akpinar: Kernziel, als politische Agenda, war und ist die Osmanische Lösung. Dass Erdogan an der Macht ist, diese ausbauen und festigen konnte, das verdankt er der Demokratie, die er ja bekannterweise als „Zug“ beschrieben hatte, den man besteigt, zur Endstation fährt, und aussteigt. Erdogan und seine AKP sind ausgestiegen und er will jetzt, dass der türkische Souverän ihm das quotiert. Er ist an der Macht. All seine Erlasse, Sanktionen den Gegnern gegenüber, der Presse, den Militärs, müssen einerseits losgelöst von der aktuelle Situation gegenüber Deutschland, den Niederlanden, ja Europa, gesehen werden - andererseits folgen sie einer für ihn logischen Machtfestigung. Somit hat der klassische, demokratische Souverän mit dem kommenden Referendum sein letztes Mal die Weichen gestellt.

In Zukunft wird es Erdogan sein, der das Wohin vorgibt. Er wird im Nahen Osten aus seiner Sicht die politische „Morgenröte - al fadschr“ geben und er sieht sich wohl schon als großer Führer der sunnitisch-muslimischen Welt. Erdogan sollte unter diesen Aspekten beurteilt werden - nicht kurzsichtig sondern an seinen geopolitischen und geostrategischen Zielen. Die von ihm gezeigte Taktik dient einer weitsichtigen Strategie im Nahen Osten. Man hat sich schon lange von Erdogan in die Falle locken lassen.

Eine Vermutung lautet, dass der Ausgang des Referendums über die Einführung der Präsidialherrschaft in der Türkei wohl unsicher ist und Erdogan durch Zuspitzung wie Nazi-Vergleiche versucht, Unentschlossene auf seine Seite zu ziehen. Wirkt eine solche Strategie auch in Deutschland, bei freiem Zugang zu Informationen?

Akpinar: Die Türkei wird an ihre muslimische Tradition andocken, die sie seit der Gründung der Republik 1923 und der Abschaffung des Kalifats nicht mehr erlebt hat. Nur heißt das Zauberwort hier „Turanismus“ - dann gepaart mit religiös ausgerichteter Macht des Herrn Erdogan. Das Militär, der Gralshüter des Kemalismus und Garant der modernen Türkei, wurde kaltgestellt. Aber dieses Militär, das als Nato-Partner an der Verteidigung westlicher Werte gesehen wurde, gibt es nicht mehr. Die Opposition wird ausgeschaltet. Uns treffen die Nazi-Vergleiche ins Mark - und lähmen uns zusätzlich. An dieser Sichtweise ändert auch der freie Zugang zu Informationen nichts. Wer nicht weiß, wohin er gehört, der hört auf denjenigen, der ihm eine, wenn auch fragwürdige, Gruppenidentität verschafft. Da fallen Erdogans markigen Sprüche auf sehr, sehr fruchtbaren Boden. Die Frage der ethnischen und religiösen Minderheiten wie den Kurden, Armeniern, Aleviten und Jesiden wird auf einem Nebenkriegsschauplatz entschieden. Laut der Zeitung „Cumhuriyet“ sind in der Türkei 20 Millionen Schusswaffen im Umlauf, davon 17 Millionen ohne Waffenschein. Bei einer Bevölkerungszahl von 80 Millionen ist also jeder Vierte bewaffnet. Ich denke, das braucht man nicht weiter zu kommentieren.

Die Konflikte in Deutschland oder den Niederlanden treiben einen Keil in die Bevölkerung mit türkischem Migrationshintergrund. Welche Erfahrungen machen Sie?

Akpinar: Der Keil ist schon seit sehr langer Zeit in die einzelnen Bevölkerungsgruppen geschlagen. Durch die derzeitige politische Lage wird dies allen wieder bewusst. Das Korrektiv Staat, sprich Politik, hat schon längst an Boden verloren. Spiegelbildlich wird hier türkische Politik wahrgenommen und auch spiegelbildlich das Feindbild gepflegt. Ein Wir findet nicht statt, es hat auch nie wirklich stattgefunden. Es zählte immer nur das Ihr und Wir. Polarisation wie in der Heimat, die zusätzlich von türkischen Medien angefeuert wird.

In Fernsehberichten beispielsweise aus Köln oder Berlin bekennen sich auffällig viele türkischstämmige Menschen, die etwa von der Sprache her beurteilt bestens integriert sind, zu Erdogan. Wie ist das zu erklären?

Akpinar: Wer glaubt, dass Integration an der Sprache gemessen werden kann, der hat nicht verstanden, was Integration ist. Integriert kann nur ein Individuum werden. Wir können nicht einen Verband und seine Mitglieder integrieren. Integration ist ein sehr langer - mitunter generationsübergreifender - Prozess, an dessen Ende eine Einbürgerung steht kann. Soziale und berufliche Integration vervollständigen die sprachliche Integration. Wer dies geschafft hat, ist angekommen. Wir erleben dass einige der AKP-Politiker wie Mustafa Yeneroglu oder der Sportminister Akif Cagatay Kilic einst in Deutschland gelebt haben. Sie sind bestens ausgebildet und beherrschen die deutsche Sprache sehr gut und dienen dennoch heute der islamisch-konservativen AKP. Was ist also schief gelaufen? Die Gründe sind durchaus unterschiedlich - aber sie zeigen auf, dass hier in Sachen Integration, zumindest an solchen Leuten, einiges vorbeigegangen ist. Ein Aufholen dürfte nicht nur theoretischen Sinn haben. Man sollte auch die Illusion aufgeben, dass Integration über „Religion“ und deren Aufwertung gelingen könnte.

Die Debatte über mögliche Sanktionen wegen Menschenrechtsverletzungen in der Türkei hält an: Was halten Sie von Auftrittsverboten für türkische Politiker im Wahlkampf für das Referendum?

Akpinar: Freie Meinungsäußerung ist ein Grundrecht und ein Grundpfeiler unserer Demokratie. Sie endet dort, wo strafrechtliche oder sicherheitspolitische Grenzen überschritten werden. Wer Demokratie abschaffen will, der hat hier grundsätzlich nichts zu sagen. Wer hierher kommt, um Wahlkampf im Ausland zu betreiben, der muss sich gefallen lassen, dass es hier auch ein Nein gibt, wenn es unsere Innere Sicherheit gefährdet. Wer dann zusätzlich noch beleidigende Sequenzen nachsetzt, der polarisiert durch seinen Auftritt die Gesellschaft, nicht nur die türkischstämmigen Personen. Fatal ist nur, dass es in Deutschland und in Europa keine klare Linie gibt. Die Politik verschiebt die sogenannte rote Linie immer mehr, so dass die Linie nicht mehr erkennbar ist.

Was sind wirksame Mittel, um die Lage zu deeskalieren? Der EU-Beitritt ist wohl auf unabsehbare Zeit ein Phantom. Real aber sind die Verhandlungen über eine Zollunion mit der EU, an der Erdogan aus wirtschaftlichen Gründen interessiert sein müsste. Ist das ein wirksames Druckmittel - das allerdings die türkische Bevölkerung treffen würde?

Akpinar: Es gibt in diesem Fall keine wirksamen Mittel. Diplomatie, die hohe Kunst der Verständigung, auch in ausweglosen Situationen im Gespräch zu bleiben, hat hier ihre Grenzen erreicht. Erdogan hat ein Ziel und verfolgt dies skrupellos. Diplomatie bedeutet für ihn Hilflosigkeit und Schwäche sowie Gesichtsverlust gegenüber seiner Bevölkerung. Der EU-Beitritt sollte auf unbestimmte Zeit ausgesetzt werden, bis die Türkei wieder ein einschätzbarer Partner wird. Der gemeinsame Kampf gegen IS ist eine fragwürdige Allianz. Es zeigt sich, dass Erdogan hoch pokert. Kritisch ist auch die wirtschaftliche Lage der Privathaushalte in der Türkei, sie haben teils hohe Kreditkartenschulden. Dennoch könnte Brüssel gegen die Türkei ähnliche Geschütze auffahren, wie sie gegen Russland aufgefahren wurden. Egal was passiert, die Bevölkerung wird in jedem Fall betroffen sein. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ihr das bewusst wird. Europa sollte seine Chance nicht verspielen, hier als Einheit wahrgenommen zu werden.

Die Fragen stellte Hermann Neu.