Am Samstag versammeln sich rund 600 Menschen im Saal eines ehemaligen Kinos in Berlin für den Parteitag des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Welche Themen wurden angesprochen und welchen Eindruck hinterließ die Parteivorsitzende? Ein Überblick.
Seinen Höhepunkt erreichte der Parteitag schon nach knapp zweieinhalb Stunden. Dann nämlich trat die Frau auf die Bühne, die Initiatorin, Namensgeberin und Vorsitzende dieser neuen politischen Gruppe ist: Sahra Wagenknecht. Unter dem Beifall der Anwesenden sagt sie: „Wir machen uns gemeinsam auf den Weg, etwas Neues zu beginnen.“ Und: „Ab jetzt hängt es auch von uns ab, wie Deutschland in fünf oder zehn Jahren aussieht.“
Es sind große Worte zum Parteitag des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), einem einzigartigen politischen Projekt in Deutschland. Eine Partei, die weder rechts noch links sein will. Eine Partei, die nicht eine politische Strömung in den Mittelpunkt stellt, sondern eine Person. Wie stellt sich diese Partei auf?
600 Menschen haben sich versammelt
Rund 600 Menschen haben sich im Saal eines ehemaligen Kinos in Berlin versammelt, darunter 380 Mitglieder. Mitglieder wie Ali Al-Dailami, 42, Abgeordneter im Bundestag, früher bei der Linken, nun beim BSW. Dabei ist auch Elisabeth Hornickel, 36, die im Einzelhandel arbeitet. Sie sei eingetreten, weil sie „Angst vor allem“ habe, etwa wie es in der Bildungs- oder Wirtschaftspolitik derzeit laufe. Die Berlinerin sagt, sei zum ersten Mal parteipolitisch engagiert. Mitglied ist auch Holger Onken, 52, aus dem niedersächsischen Oldenburg, er ist in der Kommunalpolitik aktiv – und Ehemann der Co-Vorsitzenden Amira Mohamed Ali.
Die Stimmung auf dem Parteitag ist sehr gut, fast aufgekratzt. Die Redner werden begeistert beklatscht, jeder Witz mit viel Gelächter belohnt. Nach so gut wie jedem Redner erheben sich die Versammelten und spenden Beifall im Stehen. Die Anwesenden sind eher älter, es gibt nur wenige Menschen unter 30. Das Medieninteresse ist groß.
Wagenknechts Analyse der gegenwärtigen Lage im Land
Bei anderen Parteien haben Parteitage immer etwas Unberechenbares: Hier ein Antrag, der die Parteiführung überrascht, dort eine Rede, die die Stimmung kippen lässt. Im Berliner Kosmos gibt es all das nicht. Die Partei ist zwar frisch gegründet, aber bereits straff organisiert. Die Mitglieder sind handverlesen, die Zahl wächst behutsam. Damit will man verhindern, dass Wirrköpfe in die Partei kommen oder sie unterwandert wird. Die Parteiführung will die Kontrolle behalten. Dazu passt, dass auch mehrere enge Mitarbeiter von Wagenknecht und Mohamed Ali in den Parteivorstand gewählt werden. Alle Vorschläge werden gewählt, die meisten mit über 90 Prozent Zustimmung. Weitere Vertraute kandidieren für das Europaparlament, darunter auch der Ehemann von Parteichefin Mohamed Ali.
Die Bühne ist also bereitet, als Wagenknecht auf das Podium tritt. Sie trägt ein rotes Kostüm, hat die schwarzen Haare zum Knoten gebunden. Wagenknecht redete sich schnell in Fahrt und setzte viele Pointen. Besonders ihre Analyse der gegenwärtigen Lage im Land trifft den Nerv des Parteitags. „Es läuft nicht gut in unserem Land, das spüren die Leute“, sagte sie. „Unser Land braucht einen wirtschaftlichen Neubeginn“, forderte Wagenknecht.
„Wer arm bleibt, bleibt arm“
Sie warb für eine bessere Kinderbetreuung, geißelte mangelnde Aufstiegschancen: „Wer arm bleibt, bleibt arm“, kritisierte Wagenknecht. In der Energiepolitik wendete sie sich gegen den Import von LNG-Gas und für den Import von russischem Erdgas. Sie forderte auch bessere Rahmenbedingungen für kleine Unternehmer und schärfere Kartellgesetze, insbesondere gegen internationale Konzerne.
„Märkte und Wettbewerb sind ein gutes Instrument, um Innovation zu fördern“, sagte sie. Doch wo es um existenzielle Bedürfnisse gehe wie Wohnen, Gesundheit oder Bildung, da setze Kommerz falsche Anreize. Auch gegen die Außenpolitik der Bundesregierung wendete sich Wagenknecht, insbesondere gegen die Unterstützung der Ukraine. „Nein zu Krieg, nein zu Waffenexporten in Kriegsgebiete“, sagte sie. Es ist einer der wenigen Punkte, wo sie bereits konkrete politische Vorschläge macht, vieles andere bleibt im Vagen. Auffällig ist auch, worüber Wagenknecht an diesem Tag nicht spricht: etwa über das Thema Migration. Kritisiert werden neben Ampel und Union, vor allem die AfD, nicht aber die ehemaligen Genossen der Linkspartei.
Andere Redner, ähnliche Punkte
Nach etwas mehr als einer halben Stunde beendete Wagenknecht ihre Rede mit den Worten: „Wir haben Großes vor, für unser Land und für die Menschen, die große Erwartungen in uns setzen. Wir sind es Ihnen schuldig, unsere Sache gut zu machen.“ Es folgte minutenlanger Applaus.
Andere Redner betonen ähnliche Punkte. Der Parteitag stimmt auch über die Kandidaten zur Europawahl ab. Beifall ernten vor allem die Bewerber, die den Zustand des Landes kritisieren, gegen abgehobene Politiker, die Ampel und die EU wettern.
Wie geht es für das BSW nach diesem Parteitag nun weiter? Als Erstes geht es darum, die Partei aufzubauen. Bald soll es eine zweistellige Zahl an Mitarbeitern geben. Um deren Löhne zu zahlen und die anstehenden Wahlkämpfe zu finanzieren, muss die Partei weiter Spenden einsammeln. Indes machen einige Umfragen Mut. Vor den Landtagswahlen im Herbst liegt das BSW in Brandenburg bei 13 Prozent, in Sachsen bei acht, in Thüringen gar bei 17 Prozent. Erste Bewährungsprobe für die Partei ist aber die Europawahl am 9. Juni. Dann wird sich zeigen, ob das BSW ihrem eigenen Anspruch gerecht wird: nämlich das Land zu verändern.