Sahra Wagenknecht hat die Kernpunkte des Programms ihrer neuen Partei vorgestellt: Besonders links ist es nicht. Es versteht sich eben auch als Angebot an AfD-Protestwähler.
Am Montagmorgen in der Berliner Bundespressekonferenz sagt Sahra Wagenknecht endlich, was eh schon alle wissen: „Wir haben uns zur Gründung einer neuen Partei entschieden, weil wir überzeugt sind, so, wie es derzeit läuft, darf es nicht weitergehen.“ Also hat sie mit einer kleinen Gruppe von Gleichgesinnten den Verein „BSW – Für Vernunft und Gerechtigkeit“ gegründet. Er soll die Parteigründung organisatorisch vorbereiten. BSW steht für „Bündnis Sahra Wagenknecht“. Das Kürzel wird von nun an in die politischen Debatten einfließen, auf Wahlzetteln stehen und zur Politikprosa gehören.
Zwei Vorstandsmitglieder des Vereins sitzen mit auf dem Podium: die Vereinsvorsitzende Amira Mohamed Ali, bis vor Kurzem Co-Fraktionschefin der Linken im Bundestag, und der Bundestagsabgeordnete Christian Leye. Mohamed Ali verkündet, dass sieben weitere Bundestagsabgeordnete aus der Linkspartei ausgetreten seien. Sie wird also ihren Fraktionsstatus verlieren. Spätestens im Januar, wenn aus dem Verein eine Partei geworden ist. So lange wollen die Abgeordneten in der Fraktion bleiben. Ohne Fraktionsstatus verliert die Linke auch die Finanzierung ihrer Mitarbeiter – es geht um 108 Arbeitsplätze. Der Verbleib in der Fraktion bis Januar macht den Übergang sanfter.
Das Ende eines quälenden Kleinkriegs
Sahra Wagenknecht muss das nicht mehr interessieren. Sie hat mit der Linken abgeschlossen. Sie hatte sich einen viele Jahre währenden Richtungsstreit mit der Mehrheitsströmung innerhalb der Linkspartei geliefert. Immer und immer wieder hatten Parteitage gezeigt, dass ihre Positionen nicht mehrheitsfähig waren. Dieser für alle Seiten quälende Kleinkrieg ist nun vorbei. Kommt nun also, wo sie doch ganz freie Hand hat, eine Partei, die das reine linke Evangelium nach Wagenknecht verkündet?
Absolut nicht. Ausdrücklich betont sie, dass die neue Formation keine „Linke 2.0“ sein soll. Sie wolle nicht nur um unzufriedene Linke werben. Tatsächlich klingt es nun wirklich nicht besonders links, was Wagenknecht als „erstes Ziel“ ihres neuen Projekts ausgibt: „Gute Rahmenbedingungen für den innovativen Mittelstand“ wolle sie schaffen und „den Erhalt unserer wirtschaftlichen Stärke“ ermöglichen, „industrielle Wertschöpfung“ anregen und „Absatzmärkte“ erschließen. Es gehe es um die „Rückkehr der Vernunft“. Die Regierung gebe derzeit „Abermillionen dafür aus, die Folgen der eigenen Fehlentscheidungen auszugleichen“, was sich in der Coronapolitik gezeigt habe und in der Energiepolitik wiederhole.
Zur Revolution wird das neue Bündnis gewiss nicht aufrufen
Klassisch links kommt dann der zweite Punkt, ihres am Montag vorgestellten Kernprogramms daher: soziale Gerechtigkeit. Doch das, was die 54-Jährige zusammenträgt, könnte auch von jedem biederen Sozialdemokraten gesagt werden und stellt keinerlei klassenkämpferische Provokation dar: ein höherer Mindestlohn, Tarifbindung der Unternehmen, ein Ansteigen des Rentenniveaus, solche Sachen. Aber die Vermögenssteuer? Auf Nachfrage beruhigt sie. Es gehe ihr nicht darum, „den Mittelstand zu belasten“. Aber die Besitzer „von Vermögen von Hunderten Millionen, vielfach ererbt,“ sollen ihren fairen Beitrag leisten.
Der Millionär Ralph Suikat nickt demonstrativ. Er sitzt mit auf dem Podium, denn er ist der Schatzmeister des Vereins. Von ihm sagt man, dass er durch den Verkauf seiner Anteile an einer erfolgreichen IT-Firma zu einem ansehnlichen Vermögen gekommen sei. Öffentliche Aufmerksamkeit erregte er, als er vor zwei Jahren gemeinsam mit anderen Millionären die Organisation „Taxmenow“ gründete. Sie setzt sich für eine höhere Besteuerung von Erbschaften und Vermögen ein. Die Botschaft dieser Personalentscheidung Wagenknechts ist klar: Zur Revolution wird das neue Bündnis gewiss nicht aufrufen. Schon deshalb nicht, weil das Bündnis dringend Spenden braucht, worauf Wagenknecht mehrmals hinweist. Von der Pressekonferenz muss sich jedenfalls gewiss kein Großspender verschreckt fühlen.
Beim Thema Migration hält sich Wagenknecht zunächst zurück
Aber das Klischee der linken Missionarin ist ja nicht das Einzige, das Wagenknecht anhängt. Sie gilt ja auch als begnadete Populistin, jedenfalls sehen das viele in der Linken so. Bedient sie also populistische Denkfiguren, übernimmt sie rhetorische Muster aus dem Arsenal der rechten Rattenfänger?
Ja und nein. Jedenfalls gehört der zentrale Punkt populistischer Agitation nicht zu den Kernthesen, die sie vorstellt. Erst auf Nachfrage kommt sie auf das Thema Zuwanderung zu sprechen. Sie bekennt sich ausdrücklich zum Individualrecht auf Asyl für politisch Verfolgte. Aber die „unkontrollierte Zuwanderung“ müsse „auf jeden Fall gestoppt werden“. Sie sei „unverantwortlich“, denn „sie überfordert unser Land“. Um sie zu stoppen, müsse man auch „über die Anreizstruktur reden“. Das Nachbarland Dänemark zeige, dass nationale Lösungen möglich seien. Aber Wagenknecht benutzt das Thema nicht für rhetorische Knalleffekte. Der Ton bleibt hier durchaus moderat.
Populistische Muster bedient sie eher in der vierten Kernthese ihren Programms. Sie wolle „den Meinungskorridor wieder breiter machen“. Es gebe bei dem, was man öffentlich sagen könne, einen „Konformitätsdruck“, den man in der Coronazeit besonders gespürt habe. Jeder, der vom tolerierten Korridor abweiche, werde „stigmatisiert“. Das knüpft an das an, was sie zuvor in ihrem dritten Kernpunkt dargelegt hatte: Da plädierte sie dafür, die Tradition der deutschen Entspannungspolitik wiederzubeleben. Zu oft werde auf militärische Lösungen gesetzt, zu wenig auf Diplomatie, und damit meint sie natürlich vor allem den Ukraine-Krieg.
Es ist klar, dass sie mit diesen beiden Punkten auch auf AfD-Wähler setzt. Wagenknecht bestreitet das gar nicht. Im Gegenteil. Ihr Projekt verstehe sich ausdrücklich als Versuch, Wählern, „die aus Wut und Verzweiflung AfD wählen“, eine seriöse Adresse zu geben. Mit der AfD selbst aber werde man „selbstverständlich keine gemeinsamen Sachen“ machen.
Schon bei den Europawahlen will man antreten
Die erste Sache, derer sich das Bündnis Wagenknecht annehmen will, ist der Antritt zur Europawahl im Mai. Ob sie dabei selbst auf der Europaliste stehen wird, ließ Wagenknecht offen. Und danach strebe man an, an den drei ostdeutschen Landtagswahlen im kommenden Jahr teilzunehmen.
Wer muss sich davor fürchten? Links und rechts gleichermaßen. Meinungsforscher bescheinigen der neuen Gründung ein ansehnliches Potenzial von 19 bis 27 Prozent. Mit Sicherheit muss die AfD um einen Teil ihrer Protestwähler und die Linke um einen Teil der Wagenknecht-Anhänger fürchten. Natürlich ist die Empörung darüber bei den Linken besonders groß. Sie werfen den ausgetretenen Abgeordneten Mandatsklau vor, weil sie nicht aus dem Bundestag ausscheiden wollen. Sarah Wagenknecht hat damit aber keine Probleme. Sie kontert: „Wenn wir die Mandate zurückgeben müssten, dann müssten die Wähler, die die Linke wegen uns gewählt haben, ja auch ihre Stimme zurückbekommen.“