Zwischen Euphorie und Melancholie: Bosse im Beethovensaal in Stuttgart. Foto: Lichtgut/Julian Rettig

Bosse begeistert in der Liederhalle mit viel Spielfreude, einem prachtvollen Trompeter – und mit dem richtigen Ton zwischen Euphorie und Melancholie.

„Schönste Zeit“ heißt jener Hit, mit dem die Karriere von Axel Bosse 2013 so richtig Fahrt aufnahm: eine einfühlsame Erinnerung an Adoleszenz und Pubertät in der niedersächsischen Provinz, die seither eine beachtliche Eigendynamik als Coming-of-Age-Hymne des aktuellen Deutsch-Pop entwickelte.

Heute, knapp zehn Jahre später, wirkt es so, als könne sich mittlerweile die halbe Republik erneut auf diesen Song verständigen: diesmal als Rückschau auf jene unbeschwerten Zeiten, bevor der momentane Katastrophen-Dreiklang aus Corona, Klima und Krieg seinen Anfang nahm. Bosse spielt diesen Song kurz vor Schluss seines Konzerts, und natürlich markiert er einen Höhepunkt seines rund zweistündigen Auftritts.

Vor allem aber ist es eine große Stärke des 42-jährigen Musikers aus Braunschweig, dass er einen ganz speziellen Ton zwischen Euphorie und Melancholie trifft – und das gleich bei mehreren Generationen. Fünfzehnjährige feiern am Freitagabend neben Fünfunddreißigjährigen, auch viele Endfünfziger sind mit dabei in der mit zweitausend Besuchern gut gefüllten Liederhalle.

Wucht und Dynamik

Ohne schale Altersweisheiten oder anbiedernde Jugendlichkeit erreicht Bosse dieses weit gespreizte Publikum, und auch musikalisch vermeiden seine Kompositionen allzu große Beliebigkeit, sondern gefallen als klangfarbenreiche Grenzgänge zwischen Pop, Rock, Folk und Songwritertum. Dafür sorgt im Beethovensaal ein gut aufeinander abgestimmtes, hochgradig spielfreudiges Septett, das strikt melodisch agiert und dabei beachtliche Wucht und Dynamik entwickelt.

Und was in seinen Studioversionen gerne mal etwas steril wirkt, gewinnt live massiv an Intensität, etwa im Piano-Rock „FFO“ oder in gitarrendominierten Songs wie „So oder so“ und „Tanz mit mir“. Auch „Schönste Zeit“ wird so zum Mutmacher, zum Weckruf, ruhig mal wieder einen Flirt mit dem Zauber vergangener Jugendtage zu riskieren. Die markantesten Akzente setzt freilich der Trompeter Martin Wenk, der mit seinem kraftvollen Ton nicht nur regelmäßig die Tex-Mex-/Americana-Institution Calexico beflügelt, sondern auch im Bosse-Ensemble für immensen Schmiss sorgt.

Die ganze Klasse seines Spiels zeigt sich, wenn er und seine Kollegen zum „Letzten Tanz“ bitten: Hier holt Wenk einen Bläserpart aus seinem Instrument, der geradezu unwiderstehlich ins Tanzbein fährt. „Nichts ist für immer“ singt Bosse dazu. Oftmals ist das eine ernüchternde Erkenntnis, manchmal aber auch eine verdammt gute Nachricht.