Deutsch-schwedisches Börsenquartett in Stockholm (von links): Roger Peleback, Vorsitzender der NGM-Geschäftsleitung, Michael Völter, Vorsitzender des Vorstands der Vereinigung Baden-Württembergische Wertpapierbörse, Tommy Fransson, stellvertretender Vorsitzender der NGM-Geschäftsleitung, und Ralph Danielski, Geschäftsführer der Börse Stuttgart. Quelle: Unbekannt

Von Michael Paproth

Stockholm - Gustaf, markantes Gesicht, klarer Blick, stattliche Gestalt, war bis vor sechs Jahren Systemprogrammierer. Dann änderte er sein Leben von Grund auf, kaufte sich ein Boot und fährt damit nun im Stockholmer Schärengarten Touristen auf Inseln, zu Sehenswürdigkeiten oder einfach nur ins Restaurant. Drei Monate im Jahr aber ist der Meerbusen zugefroren, dann arbeitet Gustaf nicht, dann reist er herum. Genügend Geld hat er zuvor verdient. Für Börsenbetreiber ein undenkbares Szenario: „Eine Börse wie die NGM in Stockholm kann nicht einfach zumachen“, sagt Michael Völter, der Vorsitzende des Vorstands der Vereinigung Baden-Württembergische Wertpapierbörse.

Seit 2008 ist die NGM (Nordic Growth Market) eine 100-prozentige Tochtergesellschaft der Börse Stuttgart und in Schweden neben der Nasdaq die einzige zugelassene Börse. Im Handel mit verbrieften Derivaten beträgt ihr Marktanteil 82 Prozent. Derivate sind Finanzinstrumente und so konstruiert, dass sie Preisschwankungen der Anlageobjekte überproportional nachvollziehen. Neben Hebelprodukten spielen auch Anlageprodukte wie Discountzertifikate eine Rolle. Die Anlageklasse bietet Zugang zu Märkten, die sonst nur institutionellen Anlegern vorbehalten sind wie Währungen, Rohstoffe und Länder. Die Börse Stuttgart selbst ist beim Handel mit verbrieften Derivaten europäischer Marktführer. Private Anleger können hier aber auch Aktien, Anleihen, Fonds und Genussscheine handeln. Das Handelsvolumen in allen Anlageklassen betrug 2015 mehr als 94 Milliarden Euro, bei der NGM waren es mit Finnland, Norwegen und Dänemark 12,1 Milliarden Euro. „Das ist ordentlich“, sagt Ralph Danielski, Geschäftsführer der Börse Stuttgart „Wir sind profitabel“, sagt Tommy Fransson, stellvertretender Vorsitzender der NGM-Geschäftsleitung, Ertragszahlen will er nicht nennen. Völter auch nicht. Mit der Übernahme der NGM erschloss sich die Börse Stuttgart Zug um Zug den skandinavischen Markt. Die schwedische Tochter handelt mittlerweile mit verbrieften Derivaten auch in Finnland, Norwegen und Dänemark.

Eine Besonderheit der Stockholmer ist die Beteiligung aller bei ihr gelisteten Unternehmen am Umsatz aus dem Handel mit ihren Aktien. So beträgt die Rückvergütung (Kickback) 25 Prozent, was den Wert der Aktiennotierung erhöht. „Die Rückvergütung liegt monatlich im Schnitt bei 700 bis 800 Euro“, sagt Roger Peleback, Vorsitzender der NGM-Geschäftsleitung. Die Kickback-Spanne reiche von 100 Euro bis 15 000 Euro.

Eine andere Besonderheit der Börse ist der Nordic Pre Market. Hier wird nicht gehandelt, hier werden Firmen fit gemacht für den in zwei Jahren vorgesehenen Börsengang. Die NGM erklärt Firmen, die bereits über ein vielversprechendes Geschäftsmodell verfügen, was der Markt beim Börsengang erwartet und vermittelt ihnen Zugang zu Expertenwissen etwa über Finanzreport s, Investor Relation, Cashflow oder Regeln für Vorstand und Aufsichtsrat. Im Nordic Pre Market finden sich drei Firmen: Bidnord AB, Cellaviva AG und Iso Timer Holding. Profitieren tun beide Seiten. Die Firmen, weil sie börsentauglich werden, die Börse, weil neue Notierungen in Aussicht stehen.

Während es Wertpapiere in Deutschland schwer haben, sind sie in Schweden ein selbstverständlicher Baustein der Geldanlage, wie eine Umfrage der Börse Stuttgart zeigt. Viele Skandinavier wurden während der Privatisierungsperiode in den 1980er- und 1990er-Jahren Aktionäre. „Der Aktienbeteiligungsplan für Mitarbeiter unterstützte diesen Trend“, erläutert Danielski. So waren im Jahr 2014 in Schweden 35 Prozent des Haushaltsvermögens in Aktien angelegt, in Deutschland dagegen nur 9,9 Prozent. Schwedische Anleger haben ein durchschnittliches Portfolio von 10 000 Euro, deutsche von 2000 Euro. „Die Anleger in Schweden müssen Geld verdient haben, sonst wären sie nicht mehr am Markt“, sagt Danielski. Klar ist, dass die ausgeprägte Anlagekultur in Skandinavien der Börse Stuttgart bei ihrer Auslandsexpansion in nordische Länder in die Karten spielt. Zumal auch die Risikobereitschaft in Schweden stärker ausgeprägt ist als in Deutschland. Immerhin zehn Prozent haben verbriefte Derivate im Depot, deutsche Anleger setzen dagegen auf Anleihen und ETFs, also börsengehandelte Fonds.