IHK-Präsident Heinrich Baumann (Mitte) und Festredner Thomas Bauernhansl (links) erfreuen sich an der Musik. Rechts IHK-Geschäftsführer Christoph Nold. Foto: Markus Brändli - Markus Brändli

400 Gäste kamen zum Neujahrsempfang der IHK-Bezirkskammer Esslingen-Nürtingen. Festredner Thomas Bauernfeind forderte die Firmenchefs zu mehr Mut auf.

WernauOb Zuversicht oder Sorgen bei den Unternehmern überwiegen, das war beim Neujahrsempfang der IHK-Bezirkskammer Esslingen-Nürtingen schwer zu beurteilen. Vor rund 400 Firmenchefs, Politikern aller Ebenen, Schulleitern und Bürgermeistern sprach IHK-Präsident Heinrich Baumann im Wernauer Quadrium zwar von „vorsichtigem Durchatmen“. Dieses Stimmungsbild hatte die jüngste Umfrage unter den IHK-Mitgliedern in der Region Stuttgart ergeben. Doch die Unwägbarkeiten sind 2020 beträchtlich. Baumanns Stichworte Brexit und Coronavirus reichten am Donnerstagabend, um manche Stirn in Sorgenfalten zu legen. Festredner Thomas Bauernhansl, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik, tauchte die Teilnehmer ebenfalls in ein Wechselbad der Gefühle: Die hervorragend aufgestellte Wirtschaft Baden-Württembergs werde durch globale Megatrends vor enorme Herausforderungen gestellt. Ihr blieben wenige Jahre, um die Weichen für digitale und biologische Transformation zu stellen.

Vor etlichen Politikern und Verwaltungsvertretern kritisierte der IHK-Präsident unzählige Normen, Genehmigungsverfahren, allgemein die Bürokratie, die wie ein „lähmender Schleier“ die Wettbewerbsfähigkeit gefährde und manchmal den Spaß am Unternehmertum verderbe. Noch stärker brennt ihm der Brexit unter den Nägeln. Man wisse nicht, ob und welche Handelsabkommen oder Zollschranken kommen. Für Unternehmen, die Handel mit Großbritannien pflegten, sei diese „Unsicherheit verheerend“, sagte der Geschäftsführende Gesellschafter der Eberspächer-Gruppe.

Dass Unternehmen ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten müssen, hält Baumann für selbstverständlich. Das Engagement der Jugend beeindrucke ihn. Eine massive Schwächung des Wirtschaftsstandorts durch extreme Klimaschutzmaßnahmen dürfe es aber nicht geben.

„Profitiert die regionale Wirtschaft von den globalen Megatrends?“ Der Titel des Festvortrags verschleierte leicht die alarmierende Botschaft, die Professor Bauernhansl verkündete, der auch das Institut für industrielle Fertigung an der Universität Stuttgart leitet. In der digitalen Transformation sind wir mittendrin, sagte der Wissenschaftler, noch größere Folgen werde die biologische Transformation bringen, In der Pharma- und Lebensmittelindustrie habe die Verbindung von Biologie und Technologie bereits begonnen. Aber noch haben, so Bauernhansl, die Industrie und Gesellschaft Deutschlands nicht einmal ihre Hausaufgaben im Fach Digitalisierung gemacht. Mobilfunk und schnelles Internet sind zwei Beispiele. Nach der Vernetzung stehe die Autonomisierung von Transport und Produktion an, darauf aufbauend die Optimierung mit Künstlicher Intelligenz.

„Das Wissen ist da“, lobte der Professor die Grundlagenforschung im Land, aber das Wissen müsse schneller auf den Markt kommen. „Der Mut zum Risiko fehlt“, formulierte Bauernhansl vor den versammelten Firmenchefs provokant. Unternehmen müssten stärker kooperieren, weil sie den Wandel allein nicht stemmen können. Der Wissenschaftler fordert aber auch von der ganzen Gesellschaft eine offenere Einstellung zum technologischen Wandel. Bauernhansl: „Uns geht es sehr gut, aber wir haben maximal noch ein Zeitfenster von fünf bis zehn Jahren.“ Nach dieser aufrüttelnden Analyse taten der IHK-Gesellschaft die entspannenden Country-Klänge des Musikschul-Ensembles gut. Geleitet übrigens von einem Wernauer Firmenchef: Axel Egerer, Geschäftsführer der Prakesch Zerspanungstechnik GmbH. Und bestimmt nahmen die 400 Gäste einen Rat von IHK-Präsident Baumann mit nach Hause: „Wir sollten nicht warten, bis es uns schlecht geht.“

Fleischloser Burger und biologische Transformation

The Impossible Burger: In den USA ist der unmögliche, weil fleischlose Burger schon der Renner. Er ist ein Vorbote der biologischen Transformation, die unsere Produktionsweise noch stärker verändert als die digitale Transformation, so vermutet Professor Thomas Bauernhansl vom Fraunhofer-Institut. Hergestellt wird der Burger, indem genveränderte Pilze in Hämoglobin eingefügt werden. Der Pilz fermentiert und vermehrt den Blutbestandteil. Das eisenhaltige Hämoglobin sorgt für typischen Fleischgeruch. Für den diesen Burger braucht man keine Weidefläche und keine Rinder, die das Klimaschädliche Methan ausstoßen.

Künstliche Nase: Durch die Verbindung von Biologie und Informationstechnologie lassen sich neue Produkte entwickeln. Ein Beispiel dafür sind Sensoren mit lebenden Zellen. „Koniko Kore“ nennt sich ein Sensor, dessen Zellen Sprengstoff erschnüffeln können. Dieser „Sensor der Sinne“ aus dem Silicon Valley kann beispielsweise zur Kontrolle an Flughäfen eingesetzt werden. In Baden-Württemberg gibt es etliche namhafte Sensorhersteller. Professor Thomas Bauernhansl fragte provokativ in die Runde: Wie viele beschäftigen sich schon mit Bio-Sensoren?

Genschere: Die Entschlüsselung von Gensequenzen ist inzwischen kostengünstig. Mit einer „Genschere“ können DNA-Bausteine gezielt ausgetauscht oder neu eingebaut werden. Der Krebstherapie eröffnet das enorme Möglichkeiten.