Lebenshilfe-Geschäftsführerin Elke Willi (Zweite von links) schaut mit Bewohner Julian Pohl (rechts) und seinen Eltern Heidi und Helmut Pohl die neuen Räume an. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Rund 5,4 Millionen Euro hat der Esslinger Verein Lebenshilfe in ein inklusives Wohnprojekt in der Pliensauvorstadt investiert. Das innovative Wohnkonzept in der Stuttgarter Straße gilt als wegweisend in der Region.

EsslingenDie Fassade erstrahlt in einem einladenden, mediterranen Orange – drinnen verleiht derweil Fichtenholz in Fluren und Wohnungen dem vierstöckigen Gebäude eine warme, anheimelnde Atmosphäre. Nach zweijähriger Bauzeit ziehen nun die Bewohner in das rund 5,4 Millionen Euro teure Wohnprojekt des Elternvereins Lebenshilfe in der Esslinger Pliensauvorstadt ein. „Gelebte Inklusion“ lautet das innovative Konzept, das als vorbildlich in der Region gilt.

Neben zwölf Wohneinheiten für Menschen mit geistigen oder auch zusätzlichen körperlichen Behinderungen befinden sich in dem massiven Holzbau in der Stuttgarter Straße auch noch fünf Appartements mit einem oder zwei Zimmern, die inzwischen bis auf eines auf dem freien Markt vermietet worden sind. Lebenshilfe-Geschäftsführerin Elke Willi freut sich auf viele interessante Begegnungen, die nicht nur im Treppenhaus, sondern auch in einem Gemeinschaftsraum im lichtdurchfluteten Eingangsbereich oder im Grünen hinter dem Haus stattfinden können. Dort laden Bänke zum Verweilen ein, und auch ein Kräutergarten soll angelegt werden.

„Ich bin für alles offen und lasse es auf mich zukommen“, meint ein 26-Jähriger, der aus beruflichen Gründen wieder in seine Heimatstadt zurückkehrt, und mit seiner Partnerin aus Österreich eine großzügige, 80 Quadratmeter große Zweizimmerwohnung mit Dachterrasse in dem Gebäude bezieht. Eine weitere Wohnung sei von einem blinden alleinstehenden Mann gemietet worden, erzählte Elke Willi beim Tag der offenen Tür, an dem sich zahlreiche Interessenten von der Wohlfühlatmosphäre überzeugten. Der Vorteil der Wohnungen sei, dass sie alle barrierefrei sind. Bei den vermieteten gebe es keine Betreuung, stellt die Geschäftsführerin klar. Die 24 neuen Bewohner mit Behinderung, alle zwischen 20 und 50 Jahre alt, leben entweder in einem Ein-Zimmer-Appartement mit eigener Küche und Bad, wie eine junge Frau, die sehr selbstständig ist und in einem Café arbeitet. Andere teilen sich in einer Zwei-Zimmer-Wohnung ein Bad und die Küche oder leben in einer Wohngemeinschaft zu viert. Jeder kann die Tür hinter sich zumachen oder es sich am gemeinsamen Esstisch oder in der knallroten Sitzecke gemütlich machen. Jede Wohneinheit hat entweder Zugang zum Garten sowie der Dachterrasse oder verfügt über einen Balkon. 15 bis 16 angestellte Mitarbeiter des Vereins kümmern sich übrigens im Schichtdienst um das Wohl der Behinderten, die werktags in den Werkstätten arbeiten.

„Hier in der Pliensauvorstadt sind wir mitten drin im Leben“, freut sich Lebenshilfe-Geschäftsführerin Elke Willi. Die Bushaltestelle sei direkt vor der Tür, und zum Einkaufen sei es auch nicht weit. Darüber hinaus ermöglicht die Nachbarschaft zu den „Grünen Höfen“ weitere Begegnungen von Behinderten und Nichtbehinderten. Einige Nachbarn schauten beim Tag der offenen Tür bereits neugierig vorbei und waren vor allem von der Holzbauweise begeistert. Wer jedoch eine Holzfassade erwartete, wurde enttäuscht. Das passe nicht in das dortige Stadtbild, meinte Willi. Daher wurde das Gebäude verputzt und mit einem fröhlichen mediterranen Orange gestrichen. Eine Investition von rund 5, 4 Millionen Euro zu stemmen, ist für einen Elternverein wie die Lebenshilfe eine Herausforderung. Zwar sind Fördermittel vom Land und dem Bund geflossen, doch die Mitglieder mussten darüber hinaus kräftig die Werbetrommel rühren und konnten die „Aktion Mensch“ und kleinere Stiftungen gewinnen.