Foto: Kaier - Kaier

Mit dem Parallel-Tandem des ADFC in Ostfildern können Menschen mitradeln, die alleine Schwierigkeiten hätten. Jetzt startet die neue Saison.

OstfildernDas Parallel-Tandem erinnert eher an eine Rikscha als an ein klassisches Fahrrad. Knapp 4000 Kilometer ist Klaus Reichert bisher damit gefahren. Er ist Vorsitzender der Ortsgruppe Ostfildern des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC). Seit zwei Jahren bietet er damit begleitetes Radfahren an, besonders für ältere Menschen, die alleine nicht mehr radeln können. Im Winter stand das Gefährt in der Garage, jetzt hat die neue Saison begonnen.

Fahrer und Gast sitzen auf dem Tandem nebeneinander auf weich gepolsterten Sitzen, der Beifahrer hat sogar Armlehnen. Lenken und Bremsen kann er aber nicht, er hat nur Pedale, in die er treten darf. Und eine eigene Klingel. Bergauf unterstützt ein Elektromotor das Tandem.

Das Ziel der Fahrt bestimmt der Fahrgast. Einige möchten Familienangehörige besuchen, manche den Friedhof. Andere wollen zu vertrauten Orten, die für sie sonst zu weit weg sind. Wie eine 90-Jährige, die ihren alten Weinberg nach Jahren mal wieder sehen wollte. Oder eine ehemalige Gärtnerin, die gerne die Rosen im Scharnhauser Park besucht. „Einmal wollte einer nach Hamburg, mit dem bin ich dann nach Kemnat ins Café Hamburg Süd gefahren“, erzählt Reichert. „Das ist ja toll“, habe der Mann erfreut ausgerufen. Die beliebteste Strecke ist allerdings der Panoramaweg in der Parksiedlung oberhalb des Neckartals mit Blick auf Esslingen. Vorbei an Osterglocken, Forsythien und blühenden Obstbäumen. „Man hört die Vögel pfeifen, aber sonst ist Ruhe“, schwärmt Reichert. Gerade zur Blütezeit sei das schön. Oder im Herbst, wenn die Bäume voll bunter Blätter hängen.

Viele der Fahrgäste kommen alleine nicht weit, erst recht nicht auf dem Fahrrad. Sie haben Gleichgewichtsprobleme oder sind unsicher im Verkehr. Für sie ist das Tandem eine gute Gelegenheit, mal wieder aus dem Haus zu kommen. Raus ins Grüne um den Wind in den Haaren zu spüren. Die Bewegung tut gut: „Meine Nachbarin hat sich jahrelang nur mit dem Rollator wenige Schritte weit bewegt“, berichtet Reichert. „Ich bin mit ihr hunderte Kilometer auf dem Tandem gefahren. Anfangs konnte sie gar nicht mittreten, aber irgendwann hat sie angefangen, mit zu radeln.“

Vor Jahren hat Reichert einen Film über das Paralleltandem gesehen, der von einem Projekt in Kopenhagen erzählt. „Die haben 30 demente Leute genommen, die sich nur noch in Rollstühlen bewegt haben, und die aufs Tandem gesetzt“, fasst er zusammen. „Und auf einmal haben sie sich wieder für die Natur und das Wetter interessiert und Pflanzen und Tiere wiedererkannt. Manche wurden sogar politisch aktiv und haben gefordert, man müsse mehr für die Radfahrer tun.“

Eine tolle Idee, fand Reichert, das müsste man auch in Ostfildern haben. Es hat geklappt, seit 2017 gehört das Parallel-Tandem dem ADFC. 13 000 Euro hat es gekostet, die Stadt, Unternehmen und Vereine haben beim Kauf geholfen. Mitfahren darf jeder. Rollstuhlfahrer können durch den drehbaren Sitz problemlos aufsteigen. Die Startpunkte liegen in Ruit, Nellingen und im Scharnhauser Park. Die Fahrt kostet nichts, aber der ADFC freut sich über Spenden. Schließlich verursacht das Tandem laufende Kosten, das Fahrzeug muss gewartet und die Versicherung bezahlt werden.

Reichert ist mit dem Tandem immer wieder auf Festen. Auch bei Kindern komme es gut an. „Geiles Teil“, sagten manche. Sie geben ihm hübsche Namen wie „Zusammenfahrrad“, ein Junge habe zu seiner Mutter gesagt: „Wenn ich groß bin, will ich auch so ein Moped!“ Anfangs traue sich erst niemand, mitzufahren, später wollen dann alle.

„Das Tollste sind die Leute, die einem entgegenkommen mit ihrem Alltagsblick“, sagt Reichert. „Sobald sie das Tandem sehen, fangen sie an zu lächeln.“

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