Bei archäologischen Grabungen im vergangenen Jahr wurden erstaunliche Entdeckungen gemacht. Foto: Archivfoto:Bulgrin - Archivfoto:Bulgrin

Der Start der Bauarbeiten lässt auf sich warten. Die Archäologen haben ihre Arbeit auf dem Karstadt-Areal derweil größtenteils erledigt – und interessante Entdeckungen gemacht.

Esslingen Der Start der Bauarbeiten für das neue Einkaufszentrum „Die Via“ auf dem Karstadt-Areal lässt nach wie vor auf sich warten. Derweil haben die Archäologen bei ihren Untersuchungen auf dem Gelände im Bereich der Ehnisgasse weitere spannende Funde gemacht. Schon im vergangenen Jahr hatten sich die historischen Spurensucher sehr angetan von dem gezeigt, was sie in der Erde entdeckt hatten. Von Sensationen will man beim Landesamt für Denkmalpflege in Esslingen zwar nicht sprechen – aber man habe durchaus interessante Erkenntnisse gewonnen.

Jonathan Scheschkewitz, Fachbereichsleiter für Mittelalter- und Neuzeitarchäologie am Esslinger Landesamt für Denkmalpflege, sagt: „Im 16., 17. und 18. Jahrhundert ist auf dem Areal unglaublich viel passiert.“ Aus dieser Zeit habe man bei den jüngsten Grabungen im Bereich der Ehnisgasse sehr viel gefunden. Zudem sei man auch wieder auf eindeutig spätmittelalterliche Funde gestoßen. „Genaues kann man dazu noch nicht sagen, aber es sieht so aus, als ob es sich um Gebäudestrukturen aus dem 13. und frühen 14. Jahrhundert handelt.“ Unter anderem habe man sogenannte Becherkacheln gefunden, die typisch seien für diese Zeit.

An sich seien diese Entdeckungen nicht sehr ungewöhnlich in Esslingen, sagt Jonathan Scheschkewitz. Aber sie seien aus dem Grund so interessant, weil damit archäologisch belegbar sei, dass es zur Zeit des Baus der historischen Häuser in der Ehnisgasse 16 und 18 auch noch andere Gebäude auf diesem Areal gab. Diese zwei Häuser seien um 1298 erbaut worden – und zwar zunächst als ein zusammenhängender Bau. Erst später wurden daraus zwei Häuser. Auch die Gebäude Nummer 14 und 20 wurden erst später errichtet, laut Scheschkewitz vermutlich im 16. Jahrhundert. Im Hinterhof der beiden älteren Gebäude habe man Reste von möglichen Kellerbauten aus dem späten 13. oder frühen 14. Jahrhundert gefunden. „Die Funde sind eine Bestätigung dafür, dass es eine bauzeitliche Nutzung des Areals gab“, so Scheschkewitz.

Angesichts der Funde im vergangenen Jahr sei das zwar nicht mehr allzu überraschend gewesen, aber eben eine weitere Bestätigung der Erkenntnisse. „Das sind erst mal nur Mosaiksteine“, sagt Scheschkewitz – aus denen sich aber ein Bild ergeben kann. „Das ist jetzt ein weiterer Punkt in der historischen Pliensauvorstadt, an dem zu recht früher Zeit gesiedelt wurde.“ Bis vor Kurzem habe man gedacht, vor allem im Nordosten der Pliensauvorstadt, die sich in früheren Zeiten an dieser Stelle befand, hätten sich so früh Menschen angesiedelt.

Älteste Funde in dem Gebiet

Im vergangenen Jahr hatte man im Bereich der Martinstraße auf dem Areal allerdings durchaus erstaunliche Entdeckungen gemacht. Unter anderem hatte man Erdkeller gefunden, die vermutlich aus dem 12. oder sogar dem 11. Jahrhundert datieren – also früher als alle bisherigen Entdeckungen in dem Gebiet. Der bis dato älteste Fund in der historischen Pliensauvorstadt hatte laut Scheschkewitz aus dem 13. Jahrhundert gestammt. Zudem hatte man auf dem Gelände Latrinen und Brunnen sowie Hinweise auf wirtschaftliche Nutzungen auf dem Areal gefunden – unter anderem Webgewichte, die früher Teil von stehenden Webstühlen waren.

Die archäologischen Arbeiten auf dieser Fläche seien schon etwas Besonderes: „In Esslingen haben wir sonst kaum so großflächige Grabungen“, sagt Scheschkewitz. Meist sei nur eine kleine Fläche zu untersuchen, etwa wenn ein Haus abgerissen werde. Zudem habe man hier neben den bauhistorischen Erkenntnissen auch hoch spannende Entdeckungen mit Blick auf die Topografie der Stadt gemacht: „Wir konnten deutlich erkennen, dass es mal einen Abfall des Geländes Richtung Westen, also in Richtung des jetzigen Karstadt-Gebäudes, gab“, sagt der archäologische Fachmann. Es habe ganz massive Auffüllungen gegeben, die zu der heute recht ebenen Fläche im Stadtkern geführt hätten. Oft habe man in früheren Zeiten aus Gründen des Hochwasserschutzes Städte eben gestaltet und Bäche verdohlt. „Wenn man die Stadt sieht, denkt man, das war schon immer so. Aber die Landschaft in den Städten hat sich teilweise total verändert.“

Allerdings seien die Erkenntnisse noch vorläufig, die konkrete Auswertung stehe noch aus. Diese werde aber erst angegangen, wenn die Grabungen auf dem Areal komplett abgeschlossen seien – auf einem kleinen Teil des Geländes direkt bei den historischen Häusern in der Ehnisgasse stehen die archäologischen Untersuchungen noch aus. Aber selbst wenn diese erledigt sind, könne es Jahre dauern, bis sich jemand intensiv der Ergebnisse annehme. „Wir haben gar nicht die Kapazitäten dafür, alle Ausgrabungen direkt auszuwerten“, sagt Scheschkewitz. Wahrscheinlicher sei daher, dass die Ausgrabung zunächst unter bestimmten Aspekten angeschaut und vorerst nicht als Ganzes ausgewertet werde.

Auf dem Gelände zwischen Ehnisgasse und Martinstraße, wo bislang die Archäologen tätig waren, soll ein Wohn- und Einkaufskomplex entstehen. Die Einkaufspassage „Die Via“ mit verschiedenen Geschäften, Dienstleistern und Restaurants soll in den unteren Geschossen einziehen. In den oberen Etagen sind insgesamt rund 60 Wohnungen geplant. Allerdings ist noch unklar, wann die Bauarbeiten für das Mammutprojekt, für das rund 100 Millionen Euro veranschlagt waren, starten können. Denn weil die Baukosten enorm gestiegen sind, wollen die Investoren die Pläne jetzt abspecken, um einigermaßen im Budget zu bleiben. Das braucht Zeit.