Im September 2019 brennt die Vergärungsanlage Leonberg ab. Nun feiert man Richtfest. Künftig sollen hier 72 000 Tonnen Bioabfälle verarbeitet werden.
Den Adleraugen von Roland Bernhard entgeht nichts, auch wenn das in 15 Metern Höhe ist. „Da fehlen noch vier Schrauben“, sagt der Böblinger Landrat. Er und Wolfgang Bagin, der Geschäftsführer der Bioabfallverwertung Leonberg (BVL), haben zum Richtfest für den ersten Bauabschnitt der neuen Vergärungsanlage Leonberg eingeladen. Hier ist mit einem Kostenvolumen von rund 44 Millionen Euro aktuell eine der größten Baustellen des Kreises.
Kräftiger Richtspruch soll helfen
Doch das Team um Christoph Wagner, dem Chef der gleichnamigen Holzbaufirma, weiß das natürlich, denn in der luftigen Höhe am Dachtragwerk stehen noch einige Arbeiten aus. Weil das Bauwerk kein alltägliches ist, haben sie auch einen besonderen Richtstrauß mitgebracht. Und so schmückt nicht ein unscheinbares Reisig , sondern eine fast sechs Meter hohe buntbebänderte Tanne aus dem Odenwald den First der Halle.
Auch Zimmerer Christoph Wagner, dessen Firma im Auftrag von Holzingenieurbau Schaffizel aus Sulzdorf, die Montage der elf mächtigen Holzbinder bewerkstelligt hat, weiß um die Symbolik dieses Auftrags und macht es in seinem Richtspruch deutlich – zumal Schaffizel vor rund 30 Jahren am Bau des Kompostwerkes Leonberg, dem Vorgänger der am 11. September 2019 abgebrannten ersten Vergärungsanlage, mitgebaut hat. „Heute ist’s ein besonderer Fall/Denn hier schlägt man zum zweiten Mal/Mit Gottes Hilfe die Halle auf/Und setzt den Richtbaum oben drauf. /Vermutlich war der Segenspruch/ Beim ersten Mal nicht stark genug./Drum muss er heute recht kräftig sein/Und fehlen darf´s auch nicht am Wein.“
Neue Anlage soll besser werden
Dem Baustart im Oktober 2022 sind drei Jahren intensiver Vorarbeit und der Abbruch der Brandruine vorausgegangen. Es galt, die Versicherungsfragen zu klären und ein umfangreiches Genehmigungsverfahren zu absolvieren. „Die aktuelle Energiekrise macht deutlich, wie sehr wir von ausländischem Gas abhängig sind“, sagt Landrat Bernhard.
Auf kommunaler Ebene gebe es viele Gestaltungsmöglichkeiten, lokal regenerative Energie zu gewinnen, was mehr Sicherheit und mehr Klimaschutz bedeutet. „Mit diesem Projekt werden die Chancen für innovative Technologien bei der Bioabfallvergärung optimal genutzt“, ist der Landrat überzeugt. „Als Kür gibt es noch zwei Sahnehäubchen dazu, das ist einmal die Verwertung des Biogases durch Methanisierung und zweitens die daraus mögliche Kohlendioxid-Verflüssigung“, freut sich Roland Bernhard dabei besonders über die interkommunale Kooperation mit dem Landkreis Esslingen und den Stadtwerken Sindelfingen. Manfred Kopp, der Leiter des Abfallwirtschaftsbetriebs Esslingen, pflichtet ihm bei: „Hier können künftig Bioabfälle aus dem Kreis Esslingen effizient verwertet werden.“
Probebetrieb soll im Herbst 2024 starten
Beide Landkreise kooperieren seit 2005 bei der Verwertung von Bioabfällen, am Standort Leonberg wird Energie durch Vergärung gewonnen und danach aus den Gärresten in Kirchheim unter Teck Kompost hergestellt. Die neue Vergärungsanlage wird für eine Gesamtkapazität von 72 000 Tonnen aus beiden Kreisen gebaut, davon 60 000 Tonnen Bioabfälle und 12 000 Tonnen Grünabfälle. Gesamtkosten: voraussichtlich rund 44 Millionen Euro.
„Die mächtige Anlieferhalle von 70 Meter Länge steht auf der Bestandsbodenplatte des abgebrannten Gebäudes“, erläutert BVL-Geschäftsführer Wolfgang Bagin. Die Dachkonstruktion tragen elf mächtige Holzbinder mit einer Spannweite von 32 Metern. Aus zahlreichen Schichten vier Zentimeter dicken Lärchenbretten zusammengeleimt, sind sie fast zum Problem geworden. Lärchenholz stammt Größtenteils aus Russlands Norden und ist nun Mangelware. Schaffizel konnte das Holz aus Österreich beschaffen und so wurde die Montage nur um zwei Monate verzögert.
In der neuen Halle wird zukünftig das angelieferte Material bis zur Weiterverarbeitung sortiert und aufbereitet, bevor es in mehreren Schritten in das Herzstück der Vergärungsanlage gelangt, die beiden Fermenter mit einer Kapazität von 2250 Kubikmetern. Hier verrottet es und bildet Biogas. „Für das Ganze planen wir für Herbst 2024 den Probebetrieb, sodass es 2025 mit voller Kapazität losgehen kann“, sagt Bagin.