Teilnehmer einer Demonstration ziehen durch die Straßen in Stuttgart, um gegen die Luftverschmutzung zu protestieren. Im Stuttgarter Talkessel ist die Luft oft besonders schlecht. Umweltschützer fordern Fahrverbote, die Landesregierung will sie vermeiden. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Der Ministerpräsident hat die Automobilindustrie im Blick, die 225 000 Menschen beschäftigt.Grüne Konfliktlinie verläuft wie so oft zwischen dem linken und dem realpolitischen Flügel der Partei.

Von Bettina Grachtrup

Stuttgart - Thematisch könnte es derzeit für die Grünen wohl kaum besser laufen. Monatelang beherrschten die Flüchtlingskrise und die innere Sicherheit die politische Agenda. Die spielte vor allem der CDU in die Karten. Nun diskutiert Deutschland über den dreckigen Diesel, Nachrüstungen und Fahrverbote.

Klimaschutz und Umwelt sind die großen Ziele der Grünen. Und doch scheinen die bundesweiten Umfragewerte der Ökopartei seit Wochen wie eingefroren bei einer Marke von acht Prozent. Denn so richtig politisch ausschlachten können die Grünen das Thema nicht.

Als 2011 der Atomreaktor im japanischen Fukushima explodierte, sorgte dies für einen Höhenflug der Grünen, die seit ihrer Gründung den Ausstieg aus der Atomkraft forderten. Die Reaktorkatastrophe war ein Grund dafür, dass mit Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg zum ersten Mal ein Grüner zum Regierungschef gewählt wurde.

Beim Diesel-Thema sind die Dinge aber komplizierter. Die Deutsche Umwelthilfe kämpft vor Gerichten für Fahrverbote zur Luftreinhaltung und spricht damit vielen Grünen aus der Seele. Die grün-schwarze Landesregierung in Baden-Württemberg unter Kretschmann will Fahrverbote indes vermeiden.

Für den aus Filderstadt stammenden Grünen-Bundestagsabgeordneten Matthias Gastel ist der Diesel-Gipfel der Bundesregierung von Anfang August gescheitert, weil er mit der Zusage der Autobauer für freiwillige Software-Updates nur „Scheinlösungen“ gebracht habe. Kretschmann hingegen spricht von einem „ordentlichen Ergebnis“ und einem ersten Schritt, dem nun weitere folgen müssten.

Kretschmann sitzt dabei auch die CDU im Nacken, die gegen Fahrverbote ist. Zudem hat er als Ministerpräsident die Automobilindustrie im Blick, die im Südwesten - einschließlich der Zulieferer - 225 000 Menschen beschäftigt. Dass die Branche im weltweiten Wettbewerb den Anschluss an die Entwicklung neuer Antriebs- und Mobilitätsformen verpassen und massenhaft Arbeitsplätze verlieren könnte, gilt dort als der große Alptraum.

Trotz der Debatte um Stickoxide sieht der Ministerpräsident den Diesel als Übergangstechnologie hin zu emissionsfreien Antrieben. Kretschmanns Bekenntnis zum Diesel sorge für viele Irritationen, heißt es in der Partei. „Wir hören viele Fragen zum Diesel.“

Kretschmanns Umgang mit der Autobranche ist vielen Grünen zu sanft. Deutliche Worte findet der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), der den Grünen eigentlich grundsätzlich zugeneigt ist. „Kretschmann müsste von der Autoindustrie stärkere und raschere Schritte zum Wechsel der Antriebe und zur Änderung der Mobilität einfordern“, sagte BUND-Landeschefin Brigitte Dahlbender jüngst den Zeitungen „Heilbronner Stimme“ und „Mannheimer Morgen“.

Der Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim sagt, um ihre Umfragewerte nach oben zu bringen, bräuchten die Grünen im Bereich Klimaschutz ein ähnliches Ereignis wie 2011 Fukushima. Das Diesel-Thema gebe dies nicht her, weil da keine einfachen und schnellen Antworten möglich seien. „So eine differenzierte Sichtweise ist ungeeignet für einen zugespitzten Wahlkampf.“

Dabei verläuft die grüne Konfliktlinie nach seiner Einschätzung nicht zwischen Landes- und Bundes-Grünen, sondern - wie so oft - zwischen dem linken und dem realpolitischen Flügel der Partei. Zwischen denen gebe es im Bundestagswahlkampf zwar eine Art Stillhalteabkommen. Aber: „Das Ergebnis ist Profillosigkeit.“

In der grünen Landespartei hat man die Hoffnung auf das angestrebte zweistellige Ergebnis für die Grünen im Bund noch nicht aufgegeben. Dabei sollen die baden-württembergischen Grünen, die bislang immer etwas besser abschnitten als die Partei im Bund, das Gesamtergebnis nach oben reißen. Vielleicht, so heißt es in der Landespartei, brauche es einfach noch etwas Zeit, bis die derzeit so aktuellen Themen Klimaschutz samt Diesel bei den Bürgern richtig ankämen und sich für die Grünen dann auch in Umfragewerten niederschlügen.