Als neue Vorsitzende des Jugendgemeinderats will Helin Cengiz Akzente setzen und sich unter anderem Wohnsitzlosen zuwenden. Foto: Roberto Bulgrin - Roberto Bulgrin

Den Horizont erweitern und politisch Erfahrung sammeln, das ist Helin Cengiz wichtig. Zudem sieht sich die Vorsitzende des Esslinger Jugendgemeinderats als Coach für junge Mitglieder.

EsslingenDer Mensch wächst mit seinen Aufgaben. Das erlebt Helin Cengiz zurzeit Tag für Tag. Statt wie einige Klassenkameraden nach dem Abi zu einer Work-and-Travel-Tour zu starten oder gleich an die Uni zu gehen, hat sie sich für ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) im Esslinger Klinikum entschieden – und ist auf der Onkologie gelandet. „Das ist schon hart, denn dort betreue ich viele schwerst kranke Patientinnen und Patienten“, sagt die 19-Jährige. „Aber ich bereue diesen Entschluss keine Minute. Denn diese Arbeit bringt mir echt was fürs Leben.“ So könne sie nun ihre eigene Gesundheit erst richtig schätzen. „Wenn man auf der Onkologie arbeitet, wird man dankbar für das eigene Leben.“ Kommt es auf der Station mal arg schlimm, weiß sich die junge Frau, die kürzlich ihren 19. Geburtstag gefeiert hat, in ihrer Familie geborgen. „Ich kann immer mit meiner Mutter oder meinem Vater darüber reden. Das hilft dann sehr.“

Den Horizont zu erweitern und auch politisch Erfahrungen zu sammeln, waren für die gebürtige Esslingerin schon vor drei Jahre Antrieb, zum ersten Mal für den Esslinger Jugendgemeinderat (JGR) zu kandidieren. „Ich mag es, mit Menschen zusammen zu arbeiten und bin immer offen für neue Themen.“ Zudem passte ihr Engagement in der Esslinger Jugendvertretung zu ihren schulischen Interessensgebieten. Da naturwissenschaftliche Fächer nicht ihr Ding sind, hat sie in der Kursstufe am Theodor-Heuss-Gymnasium (THG) neben Sprachen Gemeinschaftskunde als weiteren Schwerpunkt gewählt. Familiär vorbelastet ist sie nicht. „Politisch aktiv ist zwar niemand in unserer Familie, aber wir interessieren uns daheim alle für Politik und reden darüber.“ Dabei geht der Blick immer wieder in die Türkei, wo ihr Vater geboren ist. „Da viele meiner Tanten und Cousinen in der Türkei leben, geht uns das, was dort läuft, natürlich auch noch etwas an.“

„Habe auch Vorbildfunktion“

Nachdem sie bei der Wahl Ende vergangenen Jahres erneut den Sprung in den Jugendgemeinderat geschafft hat, war es für die aufgeschlossene junge Frau keine Frage, dass sie sich als Vorsitzende zur Verfügung stellen wird. „Im neu gewählten Jugendgemeinderat haben wir ja viele junge Mitglieder“, erklärt Helin Cengiz. Und denen möchte sie zur Seite stehen. Denn aus ihrer ersten Amtszeit weiß sie noch, wie es sich anfühlt, wenn man als Youngster gewählt wird. „Es ist alles neu, man weiß nicht, wie so eine Sitzung abläuft und traut sich nicht, überhaupt mal was zu sagen.“ Zudem fühlt sie sich in ihrer jetzigen Rolle wohl. „Ich habe noch nie Probleme damit gehabt, der Kopf einer Gruppe zu sein. Und als Vorsitzende habe ich auch Vorbildfunktion.“

Dass die Anliegen des Jugendgemeinderats inzwischen mehr Gehör finden, freut die neue JGR-Vorsitzende. „Wir merken deutlich, dass der Oberbürgermeister und der Gemeinderat uns ernst nehmen.“ Das schlägt sich auch im Antragsrecht nieder, das die Jugendvertretung inzwischen hat. „Ohne das Antragsrecht hätten wir die Busverbindung in den Egert nie hinbekommen“, ist sich Helin Cengiz sicher. Während der Tour durch die Esslinger Schulen, die der JGR vor jeder Wahl startet, hat sie gemerkt, dass die Aufwertung des Gremiums auch bei der Nachwuchssuche hilft. „Unser Antragsrecht hat einige Leute motiviert, für den JGR zu kandidieren.“ Nun hofft sie, dass der noch ausstehende Antrag zum Radweg in der Breslauer Straße, der Mitte März im Mobilitätsausschuss behandelt werden soll, im Sinne des Jugendgemeinderats entschieden wird. Da sie aufs THG gegangen ist und zudem in der Nähe der Oberesslinger Realschule wohnt, „bekomme ich hautnah mit, wie gefährlich die Situation für Radler seit dem Wegfall des Radwegs ist. Da muss sich unbedingt was ändern.“

Plattform für junge Talente

Die Vorsitzende und ihr Gremium sehen sich aber nicht nur als Mittler und Sprachrohr der Esslinger Jugendlichen. Der neue JGR will auch eigene Schwerpunkte setzen. Die Arbeit mit Geflüchteten bleibe ein Thema. Zudem möchten die Jugendlichen sich künftig auch Wohnsitzlosen zuwenden. „Wir haben bereits verschiedene Arbeitsgruppen gebildet und überlegen, wie man Obdachlosen im Alltag weiterhelfen kann“, berichtet Helin Cengiz. Gemeinsam mit dem Komma plant der JGR, Jugendliche zu einer Street-Performance einzuladen, „bei der jede und jeder sein Talent zeigen kann“.

Wie das Freiwillige Soziale Jahr werde ihr das Amt der Vorsitzenden wertvolle Erfahrungen für die Zukunft und ihren späteren Beruf bringen, ist sich die 19-Jährige sicher. Wohin die berufliche Reise gehen soll, weiß die vielseitig interessierte junge Frau inzwischen ganz genau. Nach Schulpraktika in der Firma des Vaters, der als Elektriker arbeitet, sowie bei der Polizei, ist sie sicher, dass ihr Platz in der sozialen Arbeit ist. Nach Beendigung des FSJ will sie an der Hochschule Stuttgart Soziale Arbeit studieren und kann sich vorstellen, später mal in einem Jugendhaus, bei der Jugendgerichtshilfe oder auch im Jugendamt zu arbeiten. „Auch das Amt der Vorsitzenden bringt mir was fürs Leben, und ich sehe es ein Stückweit als Praxis für mein Studium.“