Quelle: Unbekannt

Wir Deutschen sind ein Volk der Sparer. Umso härter trifft es uns, dass wir für unser Geld keine Zinsen mehr bekommen. Verkehrte Welt: Wer große Beträge zur Bank bringt, muss dafür blechen. Daher hat ein Run auf Sachwerte eingesetzt. In einer großen regionalen Serie spüren wir den Auswirkungen des Zinstiefs nach. Wir schreiben über die Nöte der Sparer, über Goldhändler und Hausversteigerungen. Und wir verraten Ihnen auch, wie die Reichen in diesen Zeiten ihr Geld anlegen.

Herr Schneider, angenommen, jemand hat 100 000 Euro geerbt und geht damit zu seiner Sparkasse. Was passiert dann?

Schneider: Natürlich nehmen wir das Geld noch an.

Noch?

Schneider: Wir nehmen es, und daran wird sich auch nichts ändern. Das hört sich komisch an, aber wir haben nun mal die Situation, dass keiner mehr große Geldbeträge haben will. Die Banken nicht und der Kunde auch nicht. Der hat heute viel lieber Sachwerte als Geld.

Früher hätte man solchen Kunden den roten Teppich ausgerollt.

Schneider: Mit Kusshand hätten wir das Geld genommen. Heute sind Einlagen eine schwierige Sache für die Banken. Wenn wir sie zur Europäischen Zentralbank (EZB) bringen, müssen wir dafür Negativzins zahlen, aktuell 0,4 Prozent.

Sie können das Geld an andere verleihen und die Zinsdifferenz als Einnahmen verbuchen, ganz klassisch.

Schneider: Das machen wir auch. Die Sparkassen haben aber in der Regel mehr Einlagen, als sie selbst als Kredite und Darlehen ausgeben können. Deswegen ist es nicht mehr selbstverständlich, dass so ein Kunde bei seiner Bank noch willkommen ist. Bei uns ist er das natürlich. Wo kämen wir hin, wenn die Sparkassen das Geld der Kunden nicht mehr annähmen?

Zu welchen Konditionen?

Schneider: Für die 100 000 Euro bekommen Sie auf dem Sparbuch so gut wie keinen Zins. Aber wir verlangen dafür bis jetzt auch nichts. Immerhin.

Bei welchem Betrag fiele ein Strafzins an?

Schneider: Das regelt jede Sparkasse für sich. Aber meistens ab eine Million Euro aufwärts. Man hat extra einen Begriff dafür erfunden: Verwahr-Entgelt. Wer so viel Geld zur Bank bringt, muss damit rechnen, dass er dafür bezahlen muss. Wenn sich nichts ändert, wird die Grenze, ab der man für Bargeld zahlen muss, weiter nach unten gehen. Im Grunde genommen müssten wir heute schon Negativzinsen von jedem verlangen, der sein Geld zu uns bringt. Aber das wäre für uns eine mittlere Katastrophe. Wir heißen Sparkassen, nicht Entreicherungskassen. Jeder zweite Euro, der in Deutschland gespart wird, liegt bei einer Sparkasse. Da können wir nicht unsere Kunden für ihre Ersparnisse bestrafen, bloß weil in Frankfurt bei der Europäischen Zentralbank welche sitzen, die eine abnorme Geldpolitik machen.

Wie reagieren die Kunden darauf?

Schneider: Sie ärgern sich. Zu Recht. In einem Eingriffsakt, den es so noch nie gab, wurden die Zinsen abgeschafft. Wir haben uns damit von einem jahrhundertealten und bewährten ökonomischen Prinzip verabschiedet.

Werden deutsche Kleinsparer durch die Geldpolitik der EZB in gewisser Weise enteignet?

Schneider: Ganz sicher. Natürlich gibt es auch positive Wirkungen für alle, die einen Kredit brauchen. Aber den normalen Sparer trifft es am härtesten. Der Zinseszinseffekt hat es dem Sparer immer ermöglicht, sein Vermögen zu mehren, ohne ein Risiko dafür eingehen zu müssen. Das hat viele Menschen dazu erzogen, etwas für ihre Alterssicherung zu tun, nämlich indem viele schon in jungem Alter Monat für Monat etwas auf die Seite gelegt haben. Nehmen wir an, jemand hat monatlich 100 Euro angespart, also 1200 im Jahr, dann beläuft sich die Summe nach 35 Jahren auf 42 000 Euro. Bei vier Prozent Guthabenzinsen, was früher ganz normal war, hatte er nach dieser Zeit 92 000 Euro, also mehr als das Doppelte. Heute kommt er gerade noch auf etwas mehr als die eingezahlten 42 000. Das zeigt, wie dramatisch die Folgen dieser Geldpolitik sind.

Es gibt andere Anlageformen, Aktien zum Beispiel. Warum tun sich die Deutschen damit so schwer?

Schneider: Nur ein Siebtel unserer Kunden hat Aktien. Für die meisten unserer Sparer, die vielleicht 1000 Euro im Jahr zur Seite legen können, lohnt sich das nicht, weil da auch Provisionen und Gebühren anfallen. Dazu kommt, dass wir die Kunden, ob sie wollen oder nicht, aufgrund der Regulierung in umfangreiche Beratungsgespräche zwingen müssen, die zu einer unvorstellbaren Bürokratisierung geführt haben. Und das Risiko ist deutlich höher.

Bei einem Anlagehorizont von zehn oder fünfzehn Jahren ist das Risiko auch bei Aktien niedrig.

Schneider: Trotzdem: Aktien sind nichts für jedermann. Man braucht nicht nur einen langen Atem und viele Kenntnisse, sondern auch ein gewisses Volumen, das frei zur Verfügung steht. Und vor allem braucht man gute Nerven, um die Kursschwankungen auszuhalten. Wer schnell an sein Vermögen muss, kann nur hoffen, dass die Kurse dann gut stehen.

Was ist mit Immobilien?

Schneider: Auch da gilt: Du brauchst ein großes Geldvolumen. Die niedrigen Zinsen haben zu einer starken Nachfrage geführt, und darauf hat der Markt reagiert. Von einer Blase will ich nicht sprechen, aber die Preise sind inzwischen sehr hoch. Eine risikofreie Veranstaltung ist auch das nicht, gerade wenn es um vermietete Immobilien geht. Es gibt natürlich auch Fonds - Immobilienfonds, Aktienfonds. Diese sind für manche sicher eine interessante Alternative, da hier auch mit kleineren Summen der Einstieg gelingt.

Gold?

Schneider: Auch da sitzt man in einem Fahrstuhl, den man nicht selbst bedient. Aber wenn es um Vermögen in einer gewissen Größenordnung geht, ist ein Anteil an Gold ebenso wie Aktien sicher sinnvoll. Entscheidend ist ein möglichst breit gestreuter Mix an verschiedenen Anlagenformen.

Sehen Sie Zeichen für eine Trendwende bei den Zinsen?

Schneider: Einen grundlegenden Trend sehe ich nicht. Es ist eher das Prinzip Hoffnung. Donald Trump wird als neuer Präsident in den USA die Wirtschaft stärken. Daher hat die amerikanische Notenbank angekündigt, der Zinserhöhung vor wenigen Tagen im neuen Jahr weitere Schritte in diese Richtung folgen zu lassen. Wir hoffen sehr, dass dadurch auch der Druck auf die EZB steigt.

Sie wirken nicht gerade optimistisch.

Schneider: Ehrlich gesagt bin ich sehr skeptisch. Die Länder in Südeuropa wie Griechenland, Italien oder Spanien haben gewaltige Schuldenberge. Sollte der Zins irgendwann steigen, haben diese Länder ein richtiges Problem. Daher wird die EZB auf Biegen und Brechen an ihrem Kurs festhalten. Die niedrigen Zinsen sind ein süßes Gift. Je länger es sie gibt, umso schwieriger wird es, davon wieder wegzukommen.

Warum wehren sich die Leute in Deutschland nicht gegen die Verhältnisse?

Schneider: Weil sie nur die Spitze des Eisbergs sehen. Das, was unter Wasser liegt, also das tatsächliche Ausmaß der Folgen dieser Geldpolitik für die Altersvorsorge, die Stiftungen und andere Lebensbereiche, sehen viele noch nicht. Aber es werden sprunghaft mehr, die dem Kurs der EZB kritisch gegenüberstehen. Auch das trägt zur Wut über das Establishment bei. Ich fürchte, die Nullzinspolitik enthält großen gesellschaftspolitischen Sprengstoff.

Welche Folgen hat die Niedrigzinsphase für die Sparkassen?

Schneider: Das trifft alle Banken und Versicherungen. Uns Sparkassen vielleicht nicht so stark wie die großen Häuser. Aber natürlich müssen auch wir reagieren. Auch wir müssen sparen. Wir wollen uns nicht aus der Fläche zurückziehen, aber das Filialnetz wird zwangsläufig weniger engmaschig werden.

Das Interview führte Gerd Schneider.

Zur Person

Peter Schneider stammt aus dem Ort Riedlingen am Fuße der Schwäbischen Alb. Ihm gehört dort das historische Gasthaus „Kreuz“, das er saniert hat und das von einem Pächter betrieben wird. Bevor der CDU-Politiker 2006 in den Landtag gewählt wurde, war er 14 Jahre lang Landrat des Landkreises Biberach. Seit 2006 fungiert der heute 58-Jährige als Präsident des Sparkassen-Verbandes Baden-Württemberg. Bei den Landtagswahlen in diesem Jahr trat der Jurist nicht mehr an. Schneider ist verheiratet und hat zwei erwachsene Söhne.