Von Aliki Nassoufis

Esslingen - Es ist einer der größten Skandale der jüngeren Polizeigeschichte: Innerhalb mehrerer Jahre werden zehn Menschen ermordet. Weil die meisten von ihnen ausländischer Herkunft sind, vermuteten die Ermittler, dass die Opfer selbst in kriminelle Geschäfte verwickelt gewesen sein müssen. Erst viel später zeigt sich, dass die rechtsextreme Terrorvereinigung NSU hinter der Mordserie steckte. Wie aber erging es den Angehörigen der Opfer? Denjenigen, denen statt Mitgefühl Schuldzuweisungen und Anfeindungen entgegenschlugen? Darüber hat nun Fatih Akin einen hochaktuellen und bemerkenswerten Film gedreht: „Aus dem Nichts“.

Der Wunsch nach Rache

Katja (Diane Kruger) ist mit dem Kurden Nuri verheiratet. Gemeinsam haben sie einen Sohn und leben in Hamburg. Dann zerbricht „aus dem Nichts“ Katjas Leben: Bei einem Bombenanschlag sterben ihr Mann und ihr Sohn. Die Polizei vermutet schnell, dass Nuri mit Drogen gehandelt oder die Wut irgendwelcher Krimineller auf sich gezogen hat. Doch dann nehmen die Ermittler zwei Tatverdächtige fest, ein junges Neonazi-Pärchen. Akins Werk will keine umfassende Analyse des komplexen Themas sein, sondern fokussiert auf Katja und ist erzählerisch in drei Teile geteilt: den Anschlag, den Prozess vor Gericht und Katjas Wunsch nach Rache. So entstand etwas zwischen Gerichtsfilm, Thriller und Drama. Und doch erinnert dieser Film in seiner Wucht an Akins größten Erfolg „Gegen die Wand“. Denn auch dieses Mal beweist der Regisseur viel Einfühlungsvermögen und ein gutes Gespür für seine Hauptfigur. Er erzählt auf beklemmende Weise von Katjas scheinbar aussichtslosem Kampf um Gerechtigkeit. Akins Dialoge wirken wie aus dem Leben gegriffen, selbst kleinere Szenen mit Nebendarstellern sind präzise beobachtet und eingefangen und lassen seine Figuren authentisch wirken.

Der Filmemacher schreckt auch diesmal nicht vor provokanten Aspekten zurück. Gerade das Ende wird vielen Zuschauern nicht gefallen. Dafür ist es moralisch zu umstritten, passt aber genau zum Ton des Films und erzählt die Geschichte gleichzeitig konsequent fort. Eben dieser Schluss wird einen auch nach dem Abspann nicht so schnell loslassen. Die eigentliche Stärke des Dramas ist allerdings Diane Kruger, die im niedersächsischen Hildesheim geboren wurde und in Hollywood Karriere machte. „Aus dem Nichts“ ist nun ihr erster Film auf Deutsch - vielleicht auch ein Grund, warum Krugers Spiel hier nun so intensiv und facettenreich wirkt: Sie verausgabt sich emotional und körperlich, schreit, weint und kämpft und verkörpert diese starke Frau äußerst glaubwürdig. Wahrscheinlich ist es Krugers beste Schauspielleistung bisher. Beim Filmfestival in Cannes wurde sie unter großem Jubel als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet.

Mit seinem neuen Film „Aus dem Nichts“ kehrt Fatih Akin zurück zur emotionalen Wucht seiner früheren Werke wie „Gegen die Wand“. Nun erzählt er von einem Mord durch Neonazis - und schickt Diane Kruger auf eine bemerkenswerte Tour de Force.