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Die Zeitenwende in Bayern muss auch eine Zeitenwende im politischen Diskurs sein. Es gilt mehr denn je: Jedem zuhören, niemanden stigmatisieren – und das mit Rückgrat.

München/EsslingenEin Aspekt der Landtagswahl in Bayern kann Politikerinnen und Politiker aller Couleur erfreuen: die hohe Wahlbeteiligung. Eine hohe Mitmachquote beim Urnengang ist zwar nicht per se gut – Stichworte Nationalsozialismus oder SED-Regime –, die 72,5 Prozent der Bayern aber, die ihre Kreuzchen gemacht haben, sind eine erfreuliche Nachricht – und für die Politiker in der ganzen Republik Chance sowie Auftrag zugleich.

Die Zeitenwende in Bayern muss auch eine Zeitenwende im politischen Diskurs sein. Denn das Ergebnis hat gezeigt: Viele Leute sind politisch interessiert, sie sind sensibel und aufmerksam, sie wollen mitgestalten oder zumindest mitreden. Viele Leute wollen eher Sachlichkeit und Ehrlichkeit als Plumpheit und Populismus. Viele Leute haben die Personalquerelen, die egoistischen Scharmützel und die reflexartige Frage, welcher Kopf als nächstes rollen muss, satt. Viele Leute wollen keine taktischen Spielchen, sie wollen ein überzeugendes Konzept und eine schlüssige Strategie.

Weckruf ernstnehmen, jedem zuhören

Bedeutend ist, dass die Politiker diesen Weckruf ernstnehmen, die Leute nicht verprellen, sondern ihnen in deren Umfeld, in deren Alltag, mit deren Wünschen, Sorgen und Ideen offen begegnen. Das bedeutet: Jedem zuhören, niemanden stigmatisieren – und auch mal einen Angriff mit Ruhe, Gelassenheit und ohne Reaktion vorbeiziehen lassen. Die politische Debatte setzt voraus, eine andere Meinung zu ertragen. Die politische Debatte wird gut, wenn die andere Meinung mit Argumenten widerlegt oder bestätigt wird. Die politische Debatte kriegt eine Eins mit Stern, wenn es möglich ist, seine Meinung aufgrund guter Argumente der anderen zu ändern, ohne dass einem umgehend das Fähnchen-im-Wind-Etikett angeheftet wird.

Rein in die Debatte

Das alles gilt natürlich auch für die Medien und letztlich für jeden Bürger. In einem demokratischen Land sollte nicht nur jeder mitreden dürfen, sondern dieses Recht auch wahrnehmen. Also raus aus der Stube, raus aus der Echokammer, rein in die Debatte – von Angesicht zu Angesicht und vor allem auch digital. Mia san mia 4.0, könnten sie in Bayern sagen.

Und dann kann jeder in den Spiegel gucken, ob er eines auch umsetzt, was immer von den Politikern gefordert wird: Haltung. Wobei Haltung nicht mit Ignoranz oder Populismus zu verwechseln ist. Haltung heißt, seine Meinung in der Sache gelassen, in der Art gerne auch mal emotional, aber vor allem nicht angreifend oder diffamierend vorzutragen – und auch im unruhigen Debattenfahrwasser nicht gleich den Kurs zu ändern. Denn nur so ist eine Demokratie auch wertvoll.