Michael Paproth. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Michael Paproth sinniert über Wacht und Macht und schwäbisch-chinesische Begegnungen in Esslingen.

EsslingenDenkt man an China und seine Medien, kommt einem schnell das Wort Zensur in den Sinn. Einen Wächterpreis, wie er hierzulande kritische Berichterstattung honoriert, gewinnt dort kein Journalist. Weil im Reich der Mitte Wacht und Macht identisch sind, gibt’s allenfalls eins auf den Deckel, so man die eine gegen die andere mobilisiert. Der einzige Preis ist der Lobpreis – von Partei und politischer Elite. Und Wächter sind nicht die Journalisten, sondern die, die sie überwachen.

Als jedoch an einem lauen Samstagabend auf dem Esslinger Rathausplatz ein Team des chinesischen Staatsfernsehens (CCTV) eifrig seiner Arbeit nachging, wichen die kritischen Einwände wohligem Lokalpatriotismus. Kanäle, Weinberge, Fachwerkhäuser, Brunnen – gern lässt man das in chinesische Zuschaueraugen exportieren. Nur hatten die TV-Leute ihren Kamerafokus nicht so sehr auf reichsstädtische Schönheiten gerichtet, sondern auf den aus Plochingen stammenden Manager Norbert Wiest, seines Zeichens China-Geschäftsführer der Schwäbischen Werkzeugmaschinen GmbH aus Schramberg-Waldmössingen im schönen Schwarzwald. Wiest lebt seit einigen Jahren in Sushou, treibt dort das China-Geschäft der Schwaben voran, baute eine Fabrik auf und beschäftigt nun 115 Frauen und Männer.

Das CCTV-Team porträtierte Wiest und dessen Firma, aber auch andere Unternehmen im Rahmen einer Dokumentation über deutsche Industrielegenden. Dazu gehörte der Firmenbesuch im Schwarzwald ebenso wie der in Wiests Heimat – inklusive des abendlichen Treffens in Esslingen mit einem Freund im italienischen Lokal Accanto. Den ausgiebigen Dreharbeiten, in die auch noch Restaurantchef Salvatore Marrazzo eingebunden wurde, folgte das Abendessen, flankiert von Bier und Wein. Völkerverbindend hebt der Mandarin-unkundige Schwabe sein Glas, sagt „Gan bei“ und meint „Prost“. Aber: „Gan bei“ heißt „trockenes Glas“, womit „auf ex“ gemeint ist.

Hopp und ex? Mitnichten. Anders als die Briten gehören die Chinesen nicht zu den Kampftrinkern: Viele von ihnen vertragen Alkohol schlecht, da ihnen ein zum Promille-Abbau im Körper notwendiges Enzym fehlt. Die meisten halten sich daher an die Weisheit ihres Philosophen Konfuzius, der da wusste: Am Rausch ist nicht der Wein schuld, sondern der Trinker.

So findet in Esslingen zu vorgerückter Stunde der unvermeidliche Rosenverkäufer eine gesellige, doch keineswegs sturzbetrunkene Runde vor. Dank der Anwesenheit von chinesischer Assistentin und Übersetzerin kann er ein kleines Geschäft machen. Die großen Geschäfte, die Wiest in trockene Tücher bringt, lassen einen dann wieder an die trockenen Gläser denken – und man wünscht sich, dass chinesische Medien irgendwann anderes servieren dürfen als trockenes Parteibrot.