Hannes Wolf würde am liebsten noch selbst mitspielen - aber im Trainerberuf geht der 35-Jährige voll auf. Foto: dpa - Jörg Carstensen / dpa

Stuttgart – Hannes Wolf kommt an. Nicht nur, weil er den VfB Stuttgart an die Tabellenspitze der 2. Bundesliga geführt hat. Der 35-jährige Trainer ist ein akribischer Arbeiter und lebt gleichzeitig seine Leidenschaft für den Fußball aus. Schon werden Vergleiche mit Julian Nagelsmann und Thomas Tuchel gezogen, als dessen Nachfolger in Dortmund er bereits gehandelt wird. Doch Wolf hält den Ball schön flach. „Es werden mir zum Teil Eigenschaften zugeschrieben, die ich gar nicht habe. Da mache ich mir nichts vor“, sagt er im Interview.

Sie stehen enorm im Fokus der Öffentlichkeit – man hat aber auch den Eindruck, dass Sie selbst sehr genau beobachten, was im Umfeld des Vereins so passiert. Was fällt Ihnen da im Moment vor allem auf?

Wolf: Meine Themen drehen sich natürlich in erster Linie um die Mannschaft mit dem Funktionsteam und den direkten Mitarbeitern. Es herrscht eine gute Atmosphäre, weil sich alle mit unserem Weg identifizieren und sich freuen, dass es gut läuft. Dass Spieler und Verein im Moment auch von außen bestärkt werden, ist gut – entscheidend ist aber, dass wir den Weg weiter aktiv gestalten.

Sie haben vergangene Woche im Bezug auf die Gerüchte über eine mögliche Rückkehr nach Dortmund gesagt, Sie fänden es interessant, wie solche Dinge funktionieren. Wie erleben Sie den Umgang mit Ihrer Person in der Öffentlichkeit?

Wolf: Natürlich ist es spannend, weil manchmal (in diesem Fall in Artikeln über ein Interview der „Sport-Bild“; Anm. der Red.) die Überschrift etwas aussagt, was sich dann im Text nicht wiederfindet. Es ist interessant, das zu erleben. Aber ich möchte mich ja bis jetzt überhaupt nicht beschweren. Die negative Wucht habe ich noch nicht abgekriegt. Die Medienarbeit ist auch keine Belastung für mich, sondern ein Teil, der gar nicht stört. Gerade Pressekonferenzen finde ich ganz gut, weil ich da unmittelbar Themen, die wir in der Mannschaft haben, darlegen kann. Denn da schauen ja auch viele VfB-Anhänger über die sozialen Medien mit.

Ihre direkte Reaktion auf das Dortmund-Gerücht, als Sie sinngemäß sagten, Sie könnten nicht ausschließen im Jahr 2027 oder so BVB-Trainer zu werden, hat gleich das nächste Phänomen hervorgerufen: Es gibt eine Facebook-Seite mit dem Titel „Hannes 2027“.

Wolf: Das zeigt erst einmal nur, dass die Leute im Moment zufrieden sind. Aber ich mache mir überhaupt keine Illusionen: Von den vier Spielen dieses Jahres hätten wir drei auch verlieren können – auch wenn die Siege nicht unverdient waren. Ich bin mir komplett darüber bewusst, wie schnell das in eine andere Richtung gehen kann. Es ist schön, dass die Leute das gerade so sehen, aber die gleichen Leute würden es vielleicht, wenn es mal ein paar Wochen lang nicht läuft, komplett anders sehen: Dann wird die Facebook-Seite ganz schnell gelöscht und heißt dann „Tschüss Hannes“. Es werden mir zum Teil Eigenschaften zugeschrieben, die ich gar nicht habe. Da mache ich mir nichts vor. Wir fühlen uns hier total wohl. Aber in diesem Geschäft von Sicherheit zu reden, wäre hochgradig naiv.

Medien und Fans in Stuttgart hatten es aber auch noch nicht mit einem wie Ihnen zu tun: Einem, der viel Fußball-Fachjargon und gleichzeitig regelmäßig den Begriff „Kicken“ verwendet. Ist es diese Mischung aus absoluter Professionalität und der nötigen Portion Spaß, die den Erfolg ausmacht? Immerhin haben alle Profis ihr größtes Hobby zum Beruf gemacht.

Wolf: Spaß ist für mich nicht das richtige Wort, das hört sich ein bisschen nach Albernheit an. Aber ohne Freude geht es nicht. Ich habe viele Jahre im Nachwuchsbereich gearbeitet und die Erfahrung gemacht: Die Jungs kommen nach der Schule ins Training, in Zeiten von G 8 kommt für sie der Hochleistungsfußball oben drauf – die Freude am Spiel, die alle da hin gebracht hat, musst du beibehalten.

Josip Brekalo hat sich offensichtlich bei seinem Traumtor zum 2:1-Sieg in Heidenheim nicht an Ihre Vorgabe gehalten. Ist das auch eine Form der Spielfreude?

Wolf: Das kam etwas falsch rüber. Als ich ihn eingewechselt habe, gab es keine Anweisung, er solle nicht aufs Tor schießen. In der Analyse des Spiels gegen Sandhausen haben wir angesprochen, dass es ein oder zwei Szenen gab, in denen wir geschossen haben, anstatt es auszuspielen. Es muss immer einen Rahmen geben, in dem die Spieler ihre Gedanken ausleben können – gerade offensiv, defensiv ist das ein bisschen anders. Ich dachte auch zuerst: Total krass, dass er da schießt, aber dann war es ein Tor des Monats mit Tendenz zum Tor des Jahres. Wer es nicht miterlebt hat, sollte es auf Video anschauen.

Ihre Sprache scheint bei den Profis gut anzukommen. Es scheint aber, dass Sie manchmal zu sehr auf die Aussage reduziert werden, Sie sprächen die Sprache der Jungen – der 31-jährige Kapitän Christian Gentner sagte kürzlich im Interview mit unserer Zeitung, er verstehe Sie hervorragend . . .

Wolf: Das ist einfach meine Sprache, ich habe sie nicht angepasst. Ich versuche natürlich als Trainer, meine Gedanken zu strukturieren und diese Gedanken über den Fußball dann verbal so zu präsentieren, dass die Spieler sie verstehen und die Inhalte umsetzen können. Aber ich spreche genauso zur Mannschaft, wie ich jetzt gerade spreche. Es ist nicht gut, wenn man sich verstellt.

Nach vier Siegen in vier Spielen und der Tabellenführung – was ist das Gefährliche an dieser Situation?

Wolf: Wir müssen jetzt nicht nach Gefahren suchen. Wir müssen auch im Spiel gegen Kaiserslautern das Gefühl haben, dass wir sehr viel gewinnen können, und nicht nur daran denken, dass wir die Siegesserie aufrecht erhalten wollen. Wir wollen die Vorbereitung gut und mit der nötigen Ernsthaftigkeit gestalten. Denn wenn man die Woche über locker ist, kann man sonntags nicht den An-Knopf drücken und total ernsthaft sein. Trotzdem wollen wir nicht künstlich unterdrücken, was sich positiv anfühlt.

Es stellt sich die Frage, wie die Mannschaft mit dem nächsten Rückschlag umgehen wird.

Wolf: Wir tun alles dafür, dass wir am Sonntag nach dem Kaiserslautern-Spiel nicht darüber nachdenken müssen. Es kommt erst einmal nur darauf an, wie wir damit umgehen, dass es im Moment gut läuft. Und dass wir dann auch gut damit umgehen, wenn wir mal verloren haben, und die richtigen Schlüsse ziehen. Wir müssen jetzt das Besondere aus dem Spiel Stuttgart gegen Kaiserslautern herausstellen, uns inhaltlich und emotional gut vorbereiten und die Begegnung mit der maximalen Intensität angehen. Die vergangenen vier Spiele zeigen ja, dass wir nur voll am Limit bestehen können. Wir haben in ganz engen Spielen dreimal durch späte Tore gewonnen. Wir werden Kaiserslautern nicht herspielen.

Hilft es zu erkennen, dass sich die Mannschaft jeden Erfolg hart erarbeiten muss und keinen der vergangenen Gegner aus dem Stadion geschossen hat?

Wolf: Damit hätten wir auch einen Umgang entwickelt (lacht). Aber es geht nur so. Ich glaube, es gab in den vergangenen Jahren kein Beispiel in der 2. Bundesliga, dass eine Mannschaft permanent 3:0 oder 4:0 gewonnen hat. Auch RB Leipzig musste vor einem Jahr richtig beißen und ist am vorletzten Spieltag aufgestiegen mit vielen Spielern, die heute noch da sind.

Die 2. Bundesliga ist besser, als einige Fans erwartet haben.

Wolf: Es ist ein anderer Fußball. Wenn du die Intensität und die Zweikämpfe nicht aushältst, dann gibt es die fußballerische Qualität nicht. Viele Mannschaften verzichten auf den Spielaufbau und verwickeln dich in Zweikämpfe – wenn du die nicht gewinnst, hast du den Ball nicht. Das auszuhalten gegen Mannschaften, die das jahrelang entwickelt haben und wie etwa Heidenheim dafür zusammengestellt wurden, das macht die Liga aus. Das ist überhaupt nicht leicht.

Von den 14 Spielern, die sie beim jüngsten 2:1 in Heidenheim eingesetzt haben, war genau die Hälfte vor der Saison noch nicht da – da wurde im Verein offensichtlich einiges richtig gemacht.

Wolf: Das ist nicht mein Thema. Wir sind eine Mannschaft und wer spielt, hat nicht nichts mit dem Alter oder der Frage zu tun, ob einer neu oder schon lange da ist. Natürlich freuen wir uns, dass wir gute Jungs dazubekommen haben, aber hier waren auch schon sehr gute Spieler, die jetzt eine wichtige Rolle in unserem System spielen.

Aber trotzdem muss so ein personeller Umbruch wie nach dem Abstieg erst einmal gelingen. Einige Spieler wie Marcin Kaminski, Anto Grgic oder Carlos Mané haben Ihre Eingewöhnungsphase abgeschlossen und sind jetzt sehr stabil.

Wolf: So etwas spricht immer für die Spieler. Das gilt aber nicht nur für die, die jetzt auf dem Platz stehen. Ich glaube, dass sich die Grundqualität im Kader erhöht hat. Es ist sehr schön zu sehen, wie sich die Spieler gerade gegenseitig helfen, auf das nächste Level zu kommen. Das erhöht die Chance, dass wir erfolgreich sind. Berkay Özcan etwa ist für mich besser als vor vier Monaten, aber trotzdem ist es für ihn im Moment schwierig, in die Mannschaft zu kommen.

Das führt zur zurzeit häufig thematisierten Frage nach den Tribünengästen des Kaders.

Wolf: Ich beantworte sie gerne: Die können nicht genug Aufmerksamkeit bekommen, denn sie verhalten sich großartig.

Und allesamt haben noch einige Entwicklungsschritte vor sich. Wird die Mannschaft, wenn sie denn den Aufstieg schafft, auch bundesligatauglich sein?

Wolf: Auch das ist überhaupt nicht mein Thema. Natürlich wollen wir eine Mannschaft entwickeln, die sich noch steigern kann. Aber das passiert nur, wenn du jeden Tag alles gibst. Der Rest entsteht daraus.

Aber man kann ja nicht im Sommer anfangen, darüber nachzudenken.

Wolf: Durch die Altersstruktur und durch die Dichte im Kader sind wir auf einem sehr guten Weg. Dass man in jeder Transferperiode schauen muss, wie man den Kader verbessern kann, ist ja klar. Wir wollen natürlich einen Kader entwickeln, der zukunftsfähig ist. Aber wenn wir jetzt darüber nachdenken, was wir lernen müssen, um in der Bundesliga zu bestehen – genau dann würden wir die 2. Bundesliga nicht respektieren. Aber das tun wir zutiefst.

Sie sind in der 2. Bundesliga angekommen und haben die Chance, nach nur wenigen Monaten mit dem VfB den nächsten Schritt zu machen. Sind Sie einer, der sich komplett über die inhaltliche Arbeit definiert, oder der sich vor ein paar Jahren gesagt hat: Ich will Trainer in der Bundesliga werden, oder besser in der Champions League?

Wolf: Ich wollte ja eigentlich gar nicht so schnell Trainer werden, weil es nichts Besseres gibt, als selber zu spielen. Aber durch Verletzungen hat das nicht geklappt und so bin ich da reingeraten (schmunzelt). Bundesligatrainer zu werden, war nie mein Ziel, sondern immer, der Mannschaft, die man hat, alles zu geben. Genau wie hier, war ich auch davor im Amateurfußball oder im Jugendbereich bei Borussia Dortmund zu hundert Prozent Trainer meiner Mannschaft. Für manche Zuschauer hier mag es heißen: Boah, krass, wir müssen 2. Bundesliga spielen. Für meinen Co-Trainer Miguel Moreira und mich heißt es: Wie geil ist das denn, wir dürfen hier Trainer sein. Wir sind auch als Lernende hier und nicht nur als Vermittelnde.

Es wird immer viel vom Potenzial in Stuttgart gesprochen: Was steckt mittelfristig in Mannschaft und Verein?

Wolf: Fakt ist, dass sich die Infrastruktur weiter verbessern muss, zum Beispiel die Platzsituation. Auch der Kraftraum ist nicht auf höchstem Niveau. Solche Dinge sind ganz elementar, denn sonst hat man einen Wettbewerbsnachteil, den du in der täglichen Arbeit nicht aufholen kannst. Spielgeschwindigkeit entwickelt sich nur auf sehr guten Plätzen.

Hört man da auf Sie?

Wolf: (Sportvorstand, Anm. der Red.) Jan Schindelmeiser und die weiteren Mitglieder der Vereinsführung behandeln diese Themen ohnehin mit höchster Priorität.

Das Interview führte Sigor Paesler.