Übertragung der Pressekonferenz: Mario Gomez ist von den Ereignissen in Istanbul sichtlich mitgenommen. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Wolfgang Stephan

Évian-les-Bains - Auch im Quartier der Nationalmannschaft gibt es mitunter wichtigere Dinge als der Fußball: Bei Mario Gomez sind die Meldungen von den Attentaten aus Istanbul besonders schmerzlich angekommen, schließlich ist Istanbul noch seine Wahl-Heimat: „Das Land, die Menschen, die Liga, wir alle leiden darunter“, sagte Gomez gestern mit betretener Miene.

Es ist ein anderer Mario Gomez, der bei dieser EM auf dem Platz und auf dem Podium auftritt. Gomez scheint niemand mehr etwas beweisen zu müssen - und vor allem: beweisen zu wollen. Mit einer erfolgreichen Saison im Rücken war er zur Nationalmannschaft angereist. Meister mit Besiktas Istanbul, Torschützenkönig. Jetzt zwei Tore bei der EM, das macht selbstbewusst, in seinen bisher drei Spielen, davon zwei von Beginn an, strafte er alle Lästerer Lügen, die ihm den Chancentod als ständigen Begleiter nachgesagt haben.

Wer Gomez gestern erlebte, sah keineswegs einen fröhlichen Nationalspieler, der sich auf das Halbfinale gegen Italien freut. Das tue er zwar schon, betonte der 30-Jährige ausdrücklich, aber zuvor machte er deutlich, dass die Ereignisse in Istanbul nicht spurlos an ihm vorbei gehen. Seit einer Saison spielt er bei Besiktas Istanbul, ob es eine weitere Spielzeit wird, ist noch offen, vom AC Florenz ist er nur ausgeliehen.

SMS an Bekannte geschickt

Bei allen seinen Bekannten habe er sofort per SMS nachgefragt, wie es ihnen gehe, schilderte Gomez gestern seine Reaktion auf das furchtbare Geschehen am Istanbul Airport. „Wir waren erst einmal alle geschockt“, sagte er mit nachdenklicher Miene. Manchmal, so seine Hoffnung, helfe der Fußball ganz gut, um den Fokus zu verändern.

Sein Blick auf das Italien-Spiel am Samstag in Bordeaux sei keineswegs von Rachegelüsten geprägt, obwohl seine beiden Jahre in Neapel von keinem Erfolg gekrönt waren. „Zum einen bin ich kein nachtragender Mensch, zum anderen bin ich auch niemand, der die Schuld bei anderen sucht“, sagte er im Vorfeld der EM. Nach seiner unfreiwilligen Zuschauerrolle bei Deutschlands WM-Triumph vor zwei Jahren ging Gomez mit seiner erfolgreichen Rückkehr in die Nationalmannschaft demütig um. Im Trainingslager in Ascona beschrieb er seine Gemütslage so: „Mir geht es darum, dass wir Europameister werden. Und wenn ich am Ende nur drei Minuten dazu beigetragen habe, dann bin ich happy“, so der Noch-30-Jährige, der am 10. Juli Geburtstag hat - am Tag des Endspiels.

Aus drei Minuten sind mittlerweile 200 geworden, dass es mehr werden, steht außer Frage. Nach dem 1:0 gab es so etwas wie eine Renaissance im deutschen Fußball. Genau dafür habe er einen Mario Gomez im Kader, um „mal einen richtigen Neuner“ bringen zu können, reflektierte Joachim Löw den Auftritt des Torschützen Gomez nach dem Nordirland-Spiel und relativierte damit die Debatten um die richtige oder falsche Neun. Löw interpretiert dies mittlerweile so: „Es war schon gut, wie Mario zwei Gegenspieler gebunden und die Position vor dem Tor besetzt und mit physischer Präsenz gesegnet hat.“

Ein Lob für den Strafraumstürmer, der nach dem Rücktritt von Miroslav Klose im DFB-Team als Exot galt - mangels geeignetem Personal. Gomez wollte sich gestern aber nicht mit Klose vergleichen lassen, die Antwort auf die Frage ignorierte er, stattdessen kam das nüchterne Statement in eigener Sache: „Das war auch für mich ein bisher positiver Verlauf, aber dafür können wir uns nichts kaufen.“ Später drückte er es so aus: „Bisher war das gut, aber erst nach dem Finale kann ich sagen, dass es sehr gut war.“ Er blickte damit nicht nur in Richtung seiner Geburtstagsparty am 10. Juli.